16.12.2024, 5257 Zeichen
Wien (OTS) - Wissenschafter*innen der St. Anna Kinderkrebsforschung
haben einen
Meilenstein in der Erforschung der seltenen und komplexen Langerhans-
Zell-Histiozytose (LCH) erreicht. Dank eines innovativen Modells auf
Basis induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSCs) konnten die
Mechanismen der Krankheit erstmals umfassend untersucht werden. Die
bahnbrechenden Ergebnisse wurden im Fachjournal Blood veröffentlicht
und geben Hoffnung auf neue Behandlungsstrategien für Betroffene.
Die Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH) ist eine seltene und
komplexe Erkrankung des blutbildenden Systems, die eine enorme
Bandbreite an Symptomen aufweist. Sie reichen von selbstheilenden
Veränderungen bis hin zu tumorartigen Läsionen in mehreren Organen,
systemischen Entzündungen und fortschreitender Neurodegeneration.
Mangels geeigneter Modelle war die Erforschung der
Krankheitsmechanismen bislang stark eingeschränkt.
Eine wegweisende neue Studie, die in der Fachzeitschrift Blood
veröffentlicht wurde, liefert nun entscheidende Einblicke in die
Mechanismen der LCH und mögliche Behandlungsstrategien. Ein Team
unter der Leitung von Caroline Hutter, Forschungsgruppenleiterin an
der St. Anna Kinderkrebsforschung, Ärztliche Leiterin des St. Anna
Kinderspitals und Professorin für Kinderonkologie an der MedUni Wien,
ist es nun gelungen, ein In-vitro-Modell der LCH zu entwickeln. Durch
den Einsatz eines innovativen, im Labor entwickelten Modells auf
Basis von induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSCs) kann auf
Tierversuche verzichtet werden.
Zwtl.: Innovatives Stammzellmodell als Durchbruch in der Forschung
Um das Modell zu entwickeln, haben die Wissenschafter*innen im
Labor die sogenannte BRAFV600E-Mutation - die häufigste genetische
Veränderung bei LCH - in menschliche Stammzellen eingeführt. Diese
Mutation löst Veränderungen in der Zellentwicklung aus und führt
dazu, dass sich die Zellen ähnlich verhalten wie bei LCH-typischen
Gewebeschäden.
„Unsere Forschung verdeutlicht, wie die BRAFV600E-Mutation
wesentliche Merkmale der LCH, darunter entzündlicher Reaktionen und
neurodegenerativer Schäden, hervorruft“ , so Caroline Hutter. „Das
iPSC-Modell schließt eine entscheidende Lücke in der LCH-Forschung
und erlaubt uns, die molekularen Mechanismen des Krankheitsverlaufs
in verschiedenen Zelltypen zu analysieren.“ , sagt Co-Seniorautor
Sebastian Eder, klinischer Wissenschafter und Kinderonkologe am St.
Anna Kinderspital.
Zwtl.: Von Vorläuferzellen zu krankhaften Gewebeschäden
Die Forscher*innen konnten mit ihrem Modell zeigen, dass die
BRAFV600E-Mutation tiefgreifende Veränderungen während der
Blutbildung auslöst. Dabei beeinflusst sie die Art und Weise, wie
bestimmte Gene in den Zellen abgelesen und genutzt werden - ein
Prozess, der als Transkriptionsregulation bezeichnet wird. Diese
Veränderungen führen dazu, dass sich bestimmte Vorläuferzellen im
Blut so entwickeln, dass sie den Zellen ähneln, die bei LCH-Patient*
innen in den erkrankten Geweben gefunden werden.
Zwtl.: Molekulare Schäden rückgängig machen
Ein besonders wichtiger Durchbruch war der Nachweis, dass diese
krankheitsbedingten Veränderungen reversibel sind. Durch den Einsatz
von speziellen Medikamenten, den sogenannten MAPK-Weg-Inhibitoren (
MAPKi), konnten die molekularen Störungen in den Zellen rückgängig
gemacht werden. Dies deutet darauf hin, dass solche Medikamente
potenziell auch bei der Behandlung von LCH-Patient*innen hilfreich
sein könnten.
Zwtl.: Mutierte Mikroglia treiben Neurodegeneration voran: Neue
Einblicke in LCH-Komplikationen
Das Team untersuchte ebenfalls das Zusammenspiel zwischen
mutierten Mikroglia-Zellen (eine Art von Immunzellen im Gehirn) und
Neuronen (den Nervenzellen) und zeigte, wie die BRAFV600E-Mutation
Neurodegeneration antreibt. Dabei wurde deutlich, dass diese
mutierten Mikroglia erhebliche Schäden an den Neuronen verursachen
und gleichzeitig Stoffe freisetzen, die als Marker für
Neurodegeneration gelten. „Die Neurodegeneration ist derzeit die
schwerwiegendste Komplikation in der Behandlung der LCH“ , sagt
Raphaela Schwentner, Co-Erstautorin der Studie. „Mit diesem System
können wir die Interaktion zwischen verschiedenen Zelltypen, wie den
sonst schwer zu untersuchenden Neuronen, erforschen und hoffentlich
neue Therapieansätze entwickeln.“
Diese Studie stellt einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis
der LCH dar und bietet neue Hoffnung für Patient*innen mit schweren
und therapieresistenten Formen der Krankheit. Durch die Anwendung
modernster Stammzelltechnologie haben die Forscher*innen ein
vielseitiges Werkzeug für mechanistische Studien und die
Wirkstoffentwicklung geschaffen. „Unser Modell zeigt die
Vielseitigkeit von iPSCs in translationaler Forschung“ , sagt Giulio
Abagnale, Co-Erstautor der Studie. „Wir hoffen, durch unsere Arbeit,
das Leben von Patient*innen mit LCH und ihren Familien zu
verbessern.“
Publikation:
Abagnale G*, Schwentner R*, Ben Soussia-Weiss P, van Midden W,
Sturtzel C, Pötschger U, Rados M, Taschner-Mandl S, Simonitsch-Klupp
I, Hafemeister C, Halbritter F, Distel M, Eder SK#, Hutter C#.
BRAFV600E induces key features of LCH in iPSCs with cell type-
specific phenotypes and drug responses . Blood . 2024 Dec
4:blood.2024026066.
doi: 10.1182/blood.2024026066.
(*Co-Erstautoren, #Co-korrespondierende Autoren)
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