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Zertifikatemarkt auf österreichische Basiswerte in einer Art zunehmendem Lockdown

BSM#48 - Zertifikate

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Insgesamt läuft das Geschäft mit (internationalen) Zertifikaten zwar gut, die großen heimischen Emittenten räumen aber gleichzeitig ein, dass Discounts auf österreichische Basiswerte kein Kundeninteresse mehr hervorrufen würden und die hierzulande so beliebten Bonuszertifikate wiederum derzeit kaum darstellbar seien. Die Austro-Basiswerte und im Besonderen der Vola-Handel seien zu illiquide. Man will es aber im Q1 mit neuen Serien versuchen. 

Eine Analyse von Christian Drastil

Zum Jahreswechsel 2020/21 heißt es 30 Jahre ATX. Ich bin seit Start des Index live dabei und war es auch schon vorher: Von 1986 bis 1995 als junger Banker, danach als Medienmacher, der Börsegeschichte liebt und mit boersegeschichte.at - einem Sideprojekt von boerse-social.com - auch lebt. In diesem Zusammenhang greife ich gerne auf meine eigenen Archive zurück. In diesen fand sich zunächst viel Content über Optionen und Futures, später über Zertifikate. Ich habe diese Produkte stets in meiner Asset Allocation eingesetzt und auch laufend darüber berichtet. Unfreiwillig weniger wurde es leider ab März 2020. Warum das so ist, davon handelt dieser Artikel.

Aber beginnen wir von vorne: Ende der 80er des alten Jahrtausends ging die Tendenz zu Börsen mit Termingeschäft. Im Jahr 1988 hatte die Schweizer Soffex als erste vollelektronische Terminbörse der Welt mit integriertem Clearinghaus den Handel aufgenommen,  1990 startete die Deutsche Terminbörse, die beiden fusionierten später, im Jahr 1998, zur Eurex. In Wien hat man schon 1990 hingeschaut und sprang überraschend leidenschaftlich auf diesen Zug auf. Mit dem geborenen Mannheimer Christian Imo, der Börsendirektor an der DTB war, holte man auch rasch den richtigen Visionär. Er wurde zunächst Chef der Österreichischen Terminbörse (ÖTOB) und nach der Fusion der ÖTOB mit der Börsenkammer zur Wiener Börse AG Vorstand ebendieser. Der ATX und die ÖTOB waren untrennbar verbunden, denn im Zuge der ÖTOB wurde ein Realtime-Index benötigt, den es davor in Wien nicht gab. Nur wenige Quartale nach dem Indexstart gab es ein fettes Angebot von Optionen auf Single-Stocks sowie Optionen und Futures auf den Index selbst. Da die Geschichte sehr gut gelaufen ist, wurde das Angebot rasch und ambitioniert erweitert. Imo selbst verließ die Wiener Börse/ÖTOB nach acht Jahren Aufbauarbeit, das Geschäft rannte aber weiter, auch Optionen und Futures auf die Osteuropa-(CECE)-Familie der Wiener Börse wurden zum Renner, während das Geschäft mit Optionen auf Single Stocks langsam schwächer tendierte.

Gleichzeitig wurde gemäß des internationalen Trends - aber auch durch den Antrieb starker Einzelpersonen wie Heike Arbter (heute Eusipa-Präsidentin und RCB-Vorstand), Stefan Dörfler, Thomas Schaufler (beide Erste-Vorstand) oder Heinz Karasek (heute Szenewirt) - der Zertifikatemarkt immer stärker. Zunächst vor allem mit Indextrackern sowie Optionsscheinen, die das Wiener Publikum schon im Börseboom 1985 bis 1989 liebgewonnen hatte. 2006 wurde dann von den wichtigsten Proponenten das Zertifikate Forum Austria (ZFA) gegründet und der Wiener Markt braucht sich seither alles andere als zu verstecken. Von der Size her ist das in Zerti­fikate veranlagte Volumen pro Kopf nach wie vor größer als in Deutschland.

Ein Zeitsprung ins Jahr 2014: Die Wiener Börse nimmt die ÖTOB und damit den Handel mit standardisierten Derivaten im März aus dem Programm, dies hatte der Aufsichtsrat der Wiener Börse - für mich unverständlich - Ende 2013 beschlossen. Weitergehandelt wurde/wird fortan an der Eurex, doch bis auf ein paar ATX-Futures tut sich dort nicht mehr viel.  Die Verfalls­tage sind seither um eine wesentliche Facette ärmer geworden: Open Interest ist nicht mehr da, also gibts auch keinen Fight um bestimmte Niveaus bei Aktien oder Indizes mehr. Freilich: Es gibt einerseits eine gewisse importierte Bedeutung von Verfallstagen, zB. wenn sich im DAX was tut, ist der ATX meist ein Follower. Oder auf der anderen Seite, wenn es Veränderungen in Indexzusammensetzungen gibt, die mit den Schlusskursen von Verfallstagen schlagend werden. 

Man kann auch sagen, dass Imo das ganze Thema börseseitig sehr wichtig war, seinen Nachfolgern aber immer weniger. Nun ist seit 2016 mit Christoph Boschan erneut ein gebürtiger Deutscher CEO der Wiener Börse. Und mehr noch: Er war Euwax-Vorstand in Stuttgart, ist lizensierter Eurex-Händler, bringt also schon allein von der Herkunft her Interesse mit.  „Es tut mir leid, dass wir in Wien keine Terminbörse mehr haben. Wenn man den Local Bias aufgibt, gibt es ein Problem für den jeweiligen Markt“, sagte er mir nach Amtsantritt. Zu einem Comeback meinte er „never say never“, es ist aber wohl (das glaube ich) de facto ausgeschlossen. Damit ist eine wichtige Möglichkeit zum Hedgen, sei dies für Market Maker oder andere professionelle Teilnehmer, weitgehend weggefallen. Auch der eine oder andere Privatanleger hatte gerne darauf zurückgegriffen.

Damit schwenkt dieser Artikel in Richtung B2C. Wie sagte Eusipa-Präsidentin Heike Arbter immer wieder in Interviews, zb auch zu unserem boersenradio.at anlässlich des 25. ATX-Geburtstags vor fünf Jahren? „Bonuszertifikate sind die Österreich-Spezialität und meine auch“. So wie man gerne bei einem Auto lieber die Teilkasko- statt Vollkasko-Versicherung nimmt. Man verzichte auf einen gewissen Anteil von Schutz zugunsten einer sehr interessanten, höheren Rendite.

Nun, der Autor dieser Zeilen ist wie Heike Arbter seit eh und je Fan von Bonuszertifikaten, ich habe diese stets im Portfoliozusammenhang eingesetzt, zB wenn eine Aktie gut gelaufen ist, bin ich von Equity in ein Bonuszertifikat des gleichen Underlyings umgestiegen. Oder ich habe es als aus meiner Sicht überlegene Alternative zum Abstauberlimit gesehen, eine interessante Aktie also lieber gleich long genommen, dies mit ordentlichem Puffer nach unten und Chance auf eine fette Bonusrendite. Das hat eigentlich bis auf den März 2020 mit seinen Shakeout-Kursen immer gut geklappt. Jahrelang. 

Dazu Statistik: Der DDV unterstützt ja die Initiative der Infront Quant AG, Indizes für verschiedene Zertifikatekategorien zu berechnen und zu veröffentlichen. In einer Betrachtung seit 2006 wird jeweils der Euro Stoxx 50 gegenübergestellt. Dieser liegt im Beobachtungszeitraum 2006 bis Ende 2020 beim Ausgangswert von rund 1000. Ein Index für Discounts liegt bei rund 1660, einer für Kapitalschutz-Produkte bei rund 1600 Punkten. Und jener für Bonuszertifikate immerhin bei 1420 Punkten, der Rückstand wurde erst 2020 aufgerissen. Okay, so ist der Markt, das muss man aushalten.

Nun kommt das Problem: Es gibt nämlich seit März 2020 so gut wie keine neuen Bonuszertifikate mehr auf österreichische Aktien. Auch Discounts sucht man fast vergeblich. Damit war die Möglichkeit für Private verloren, auf dem neuen, deutlich tieferen, Niveau auf Altbewährtes zu setzen. Okay, ein paar Aktienanleihen und auch das eine oder andere Hebelprodukt wurde emittiert, aber sonst setzte man eher auf internationale Titel vor allem aus den USA.

Ich habe als Mensch mit Österreich-Bias nachgefragt. Als Anleger geht es mir hier um Möglichkeiten ausserhalb von Long Only. Und als Medienmensch mit besonderem Fokus auf die Wiener Börse und ihre gelisteten Unternehmen auch um die Umsätze, die sich zB durch Hedges in den Basiswerten ergeben. Ich finde, das sind Facetten, die den Orderbüchern gut tun und insgesamt einen Markt ausgewogener machen. Mehr Orderbuch ist zudem mehr Research, mehr Visibilität für Institutionelle, die ja hie und da auch hedgen wollen oder müssen.

Die RCB verweist auf meine Rückfrage hin auf die Tatsache, dass im Zuge der Börsenerholung in der zweiten Jahreshälfte 2020 sehr stark internationale Basiswerte nachgefragt waren. Seit vergangenem Oktober habe es aber auch mehrere Updates bei Österreich-Basiswerten gegeben, in erster Linie Optionsscheine und Discount-Zertifikate. Man räumt aber ein, dass bei den Discounts sehr wenig Umsatz zu beobachten sei. Bei den Bonus-Zertifikaten seien viele bestehende über den Cap gelaufen, von den älteren hätten wiederum einige Barriere-Durchbrüche erlitten. Man werde aber den österreichischen Markt definitiv mit Ende Jänner wieder auffüllen.

Die Erste Group drückt es noch drastischer aus, man hatte bereits überlegt, Discounts aus den Emissionsprospekten zu nehmen, Umsatz und Interesse sei de facto null. Bonuszertifikate auf österreichische Basiswerte sind im Filialvertrieb wenig nachgefragt. Kunden sind nach den Korrekturen vermehrt gleich direkt in die Aktien gegangen, daher wurden auch weniger Bonuszertifikate auf österreichische Unternehmen emittiert.

Das sagt auch die UniCredit: Bonuszertifikate auf österreichische Basiswerte bekomme das onemarkets-Team derzeit nicht durch, die Basiswerte selbst und im Besonderen der Vola-Handel seien zu illiquide. Discounts wären möglich.

Alle drei großen Institute haben mir zugesichert, dass sie „mir“ (nett, oder?) einen Schwung auf österreichische Basiswerte emittieren.

Fazit: Ich will hier freilich nicht überdramatisieren. Am Ende ist für die Zertifikate-Emittenten nicht entscheidend,  welche Basiswerte gehandelt werden, sondern dass gehandelt wird. Und es wird gehandelt (USA, DAX, Euro-Stoxx, Nachhaltigkeit). Auch die österreichischen Broker hatten 2020 tolle Umsätze. Wenn man aber die Teilfacette „Zertifikate auf österreichische Basiswerte“ herausnimmt, so sind wir immer noch teilweise im Lockdown. Aber mit Aussicht auf Besserung. Wie in der großen weiten Welt.

Wie hat es ein ehemaliger Aufsichtsrats-Vorsitzender des ZFA vor Jahren beschrieben? „Zertifikate sind die besseren Aktien“. Das stimmt für mich, zumindest für Österreich-
Basiswerte, derzeit nicht mehr. Dafür liefert das Angebot der Emittenten Produkte nach dem Motto „Zertifikate sind die besseren Anleihen“. Auch nicht schlecht. Am liebsten wäre mir beides.

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Aus dem Börse Social Magazine #48
(Dezember 2020)





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