Das Fürstentum Liechtenstein hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg von einem sehr armen Agrarstaat zu einem Land mit enormem Wohlstand und hoher volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entwickelt. Mit fast 41.000 ist die Zahl der Arbeitsplätze höher als jene der Einwohner. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind dabei Grenzgänger aus den beiden Nachbarstaaten Österreich und Schweiz.
Liechtenstein ist im Ausland oftmals nur durch seinen Finanzplatz bekannt. In der Tat weist Liechtensteins Wirtschaft einen hohen Anteil an Finanzdienstleistungen auf. Im Jahr 2017 machten die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 11% der nationalen Bruttowertschöpfung aus und damit mehr als doppelt so viel wie im EU-Durchschnitt. Inklusive der Steuerberatung, Rechts- und Wirtschaftsprüfung beläuft sich der Anteil der Bruttowertschöpfung der Finanzdienstleistungen sogar auf 20 Prozent. Zugleich verfügt Liechtenstein aber auch über einen großen und breit diversifizierten Industriesektor, der inklusive des warenproduzierenden Gewerbes ungefähr 47% der nationalen Bruttowertschöpfung ausmacht. Im Vergleich dazu liegt der Anteil des Industriesektors an der Bruttowertschöpfung im EU-Durchschnitt bei 25%. Zu bekannten Unternehmen mit Sitz in Liechtenstein zählen Hilti, Thyssenkrupp Presta, Hoval, Oerlikon Balzers, Ivoclar Vivadent, Ospelt-Gruppe (Malbuner), Neutrik oder Hilcona.
Forschung zu Liechtenstein zeigt, dass sich dessen Volkswirtschaft trotz massiver Wachstumseinbrüche durch die Finanzkrise, der Aufwertung des Schweizer Frankens – der offiziellen Währung Liechtensteins – und der Finanzplatz-Transformation insgesamt als erstaunlich robust erwiesen hat. So war die Arbeitslosenquote in den letzten Jahrzehnten durchgehend niedrig und lag auch im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 unter 3% (2019: 1.5%). Das Bruttonationaleinkommen pro Kopf ist das mit Abstand höchste aller EU-/EFTA-Staaten, auch wenn man das hohe Preisniveau in Liechtenstein berücksichtigt. Standard&Poor’s bewertet Liechtenstein mit dem höchsten Rating AAA – eine Bewertung, die sonst nur zehn anderen Staaten verliehen wurde.
Entscheidende Wachstumsfaktoren
Gemäß Dr. Andreas Brunhart, Forschungsleiter Volkswirtschaft am Liechtenstein-Institut, lässt sich die positive Entwicklung Liechtensteins mit den speziellen Rahmenbedingungen erklären: Einerseits die Partnerschaft mit den Nachbarländern, vor allem mit der Schweiz, mit welcher Liechtenstein eine Zollunion, eine Währungsunion und viele weitere bilaterale Abkommen teilt. Andererseits die wirtschaftliche Integration, insbesondere Liechtensteins Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und in der Welthandelsorganisation (WTO). Gerade durch die enge Zusammenarbeit mit der Schweiz konnte Liechtenstein gewisse Staatsaufgaben „outsourcen“. Auch die politische Stabilität im Zusammenspiel von direkter Demokratie und Monarchie war eine wichtige Bedingung für den wirtschaftlichen Erfolg, gepaart mit einer umsichtigen Finanzpolitik in Politik und Wirtschaft, welche zu hoher Reservebildung der öffentlichen Haushalte und starker Eigenkapitalisierung der Unternehmen führte.
Innerhalb dieser Rahmenbedingungen gelang es Liechtenstein, die Vorteile der Kleinheit in Verbindung mit der Eigenstaatlichkeit für sich zu nutzen. Wichtige rechtliche und wirtschaftspolitische Grundlagen hierfür wurden gemäß Brunhart bereits in der Zwischenkriegszeit gelegt, zum Beispiel durch die Schaffung einer liberalen Wirtschafts- und Rechtsordnung, kombiniert mit tiefer Steuer- und Abgabenbelastung. Hierbei waren und sind die kleinstaatlichen „kurzen Wege“ in Politik, Verwaltung und Wirtschaft und damit verbundene Effizienz, Flexibilität und Handlungsschnelligkeit hilfreich.
Klein, aber widerstandsfähig
Zwar besteht gemäß Brunhart aufgrund der fehlenden Pufferfunktion der kleinen Binnenwirtschaft eine höhere Sensitivität gegenüber internationalen Konjunkturschocks. In einem sehr kleinen Staat werde den Unternehmen eine gewisse Widerstandsfähigkeit aber auch „quasi anerzogen“, da sie stets dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt seien, sagt Brunhart. Zudem könne sich die Wirtschaft in Liechtenstein nicht auf finanzielle Unterstützungsmaßnahmen verlassen, weil das Fürstentum über keine autonome Geldpolitik verfüge: „Der Hebel der Fiskalpolitik ist klein, da der Großteil der Nachfrage nach liechtensteinischen Gütern und Dienstleistungen im Ausland liegt.“
Durch eine konsequente Nischenstrategie kann ferner die kleinheitsbedingte Not zur Tugend gemacht werden. Das zeigt sich auch in Liechtenstein. Nischenstrategien und Anpassungsfähigkeit haben in Liechtensteins Wirtschaft zu hoher Innovationskraft geführt: Die privaten Forschungsausgaben in Relation zum BIP sind mehr als doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt und auch die Anzahl der angemeldeten Patente pro Kopf liegt weit über dem EU-Durchschnitt.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass es Liechtenstein gelungen ist, viele ökonomische Kostennachteile der Kleinheit abzufedern. In der Vergangenheit hat sich Liechtenstein deshalb gegenüber Krisen gerade im Hinblick auf Beschäftigung und Produktionskapazitäten als stabil erwiesen. Aufgrund der verhältnismäßig hohen Reserven von Staat und Wirtschaft verbunden mit dem im internationalen Vergleich widerstandsfähigen Finanzsektor kann somit davon ausgegangen werden, dass die liechtensteinische Volkswirtschaft auch für die aktuellen und kommenden Herausforderungen aus der Covid-19-Pandemie gerüstet ist.
von Christian Drastil
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