Ein Gespräch mit Dr. Andreas Brunhart und Dr. Martin Geiger, Ökonomen am Liechtenstein-Institut.
Was bedeutet Stabilität für Ökonomen?
Martin Geiger: Makroökonomen haben diesbezüglich vor allem die kurzfristigen Schwankungen entlang des langfristigen Wirtschaftswachstums, sprich die Konjunktur, im Blick. Eine hohe konjunkturelle Schwankungsbreite macht es schwieriger, künftige Entwicklungen vorherzusehen und löst somit Unsicherheit aus. Unsicherheit wiederum führt dazu, dass Wirtschaftsakteure Konsum-, Investitions- und Anstellungsentscheidungen, die sich nicht oder nur schwer rückgängig machen lassen, hinauszögern. Außerdem steigen angesichts von Unsicherheit die Planungs- und Transaktionskosten sowie die Risikoprämie externer Finanzierung.
Wie bewerten Sie die Situation in Liechtenstein?
Andreas Brunhart: Das Wirtschaftswachstum gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) war in Liechtenstein in den letzten Jahrzehnten sehr hoch (im Durchschnitt 3.4% seit 1972), allerdings waren dies auch die Schwankungen. Im Vergleich zu anderen Sektoren ist das Wachstum des Finanzsektors vergleichsweise volatil. Finanzmarktstabilität bedeutet die Minimierung dieser Schwankungen. Das gilt in besonderem Maße auch für Liechtenstein, welches gemessen am BIP einen verhältnismäßig großen Finanzsektor hat.
Als Messgröße für konjunkturelle Volatilität wird oft die Standardabweichung des Wirtschaftswachstums – gemessen am realen BIP – herangezogen. Liechtenstein weist, wie für Kleinstaaten üblich, im Schnitt eine höhere gesamtwirtschaftliche Volatilität als größere Länder auf. Darüber hinaus können aber auch Unterschiede im zeitlichen Verlauf der Volatilität beobachtet werden: In der DACH-Region war die konjunkturelle Volatilität wie in den meisten entwickelten Volkswirtschaften bis zur Finanzkrise von 2008 rückläufig. Im Gegensatz dazu stieg sie in Liechtenstein nach einem zwischenzeitlichen Rückgang schon ab Mitte der 1990er Jahre an und erreichte im Zuge der Finanzkrise einen historischen Höhepunkt.
Hängt die hohe konjunkturelle Volatilität mit Entwicklungen des Finanzsektors zusammen?
Andreas Brunhart: Ja. Dass die konjunkturelle Volatilität in Liechtenstein bereits in den Jahren vor der Finanzkrise anstieg, kann analytisch vor allem auf die Entwicklung des Finanzsektors zurückgeführt werden. Für das Einkommensentstehungskonto der liechtensteinischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gilt: BIP = Arbeitnehmerentgelt + Bruttobetriebsüberschüsse + Produktions- und Importabgaben – Subventionen. Die anteilsmäßig wichtigsten Komponenten der Einkommensentstehungsseite des BIP sind die Arbeitnehmer-
entgelte und die Bruttobetriebsüberschüsse. Während Arbeitseinkommen ein sehr konstantes Wachstum aufweisen, schwanken die Bruttobetriebsüberschüsse stark. Die Volatilität des liechtensteinischen Wirtschaftswachstums ist deshalb in erster Linie von den Bruttobetriebsüberschüssen getrieben.
Die Bruttobetriebsüberschüsse der Sektoren «Industrie und warenproduzierendes Gewerbe» sowie «Finanzdienstleistungen» sind vor allem für die Gesamtvolatilität des Wirtschaftswachstums Liechtensteins verantwortlich.
Wie entwickelte sich die konjunkturelle Volatilität in den letzten Jahren?
Martin Geiger: Die hohe Volatilität in Liechtenstein kann damit erklärt werden, dass der Finanzdienstleistungssektor von den 1980ern bis in die 2000er Jahre insgesamt sehr dynamisch wuchs. Es lässt sich eine starke Verbindung zwischen konjunktureller Volatilität und der relativen Performance des Finanzdienstleistungssektors in Liechtenstein beobachten. Da konjunkturelle Volatilität in Summe negative Effekte hat, ist ein konstantes und kontinuierliches Wachstum des Finanzsektors aus Sicht der Finanzmarktstabilität und der Stabilität der Gesamtwirtschaft wünschenswert. Seit der Finanzkrise hat sich der Anteil der Finanzdienstleistungen, gemessen an den gesamten Bruttobetriebsüberschüssen in Liechtenstein, eingependelt bzw. ist sogar im Vergleich zu den anderen Sektoren etwas zurückgegangen. Diese Konsolidierung geht mit der allgemeinen strukturellen Veränderung des liechtensteinischen Finanzplatzes einher – unter anderem durch den Ausbau von internationaler Regulierung und Compliance-Standards. Diese strukturellen Veränderungen der letzten Jahre haben zwar zu niedrigerem, gleichzeitig aber auch zu stabilerem Wachstum des Finanzsektors geführt.
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