Wo Unsicherheit besteht, ist es schwieriger, künftige, wirtschaftliche Entwicklungen vorherzusehen. Unsicherheit lässt sich konzeptionell aber nur schwer fassen und ist schwierig zu messen. Dennoch zeigt die volkswirtschaftliche Forschung der letzten zehn Jahre, die vor allem auf Professor Nicholas Bloom der Stanford Graduate School of Business zurückgeht, dass Unsicherheit eine wichtige volkswirtschaftliche Größe ist, die sich in den Köpfen von Konsumenten, Managern und Politikern abbildet und konjunkturelle Schwankungen auslösen und verstärken kann.
Warum hat Unsicherheit negative, wirtschaftliche Effekte?
Unsicherheit führt dazu, dass Konsumentscheidungen, Investitionen und Neuanstellungen hinausgezögert werden, bis zukünftige Entwicklungen wieder besser absehbar sind. Gleichzeitig wird aus einem Vorsichtsmotiv heraus mehr gespart, um sich gegen potenzielle negative Entwicklungen abzusichern. Darüber hinaus zeigen neue Forschungsergebnisse, dass Finanzmarktfriktionen eine wichtige Rolle dabei spielen, wie Unsicherheit die Wirtschaft beeinträchtigt. Unsicherheit führt demnach zu einem Anstieg der Finanzierungskosten, da Finanzmarktakteure das mit Unsicherheit einhergehende Risiko einpreisen.
Ein stabiler Bankensektor federt die Effekte von Unsicherheit stark ab
Dr. Martin Geiger, Forschungsbeauftragter für Volkswirtschaft am Liechtenstein-Institut, hat sich in seiner Forschung intensiv mit Unsicherheit aus-
einandergesetzt. Seine Forschung zeigt, dass Staaten mit einem gesunden Bankensektor von Unsicherheit weitaus weniger stark betroffen sind als Staaten mit einem geschwächten Bankensektor. Die folgende Grafik zeigt die durchschnittliche Reaktion des jährlichen Wirtschaftswachstums der OECD-Länder auf einen Anstieg von Unsicherheit in einem Szenario mit stabilem versus gestresstem Bankensektor. Die grün-gestrichelten Linien weisen das 95%-Vertrauensintervall aus. Unsicherheit wird in diesem Fall mit einem Index abgebildet, der ungewöhnliche Abweichungen in einem Bündel wichtiger makroökonomischer und finanzwirtschaftlicher Größen misst. Der Vergleich der beiden Szenarien zeigt, dass bei einem Anstieg von Unsicherheit in einem Land mit gestresstem Bankensektor das Wirtschaftswachstum mehr als doppelt so stark einbricht. Die Finanzmarktstabilität übt somit eine wichtige Funktion für die volkswirtschaftliche Widerstandsfähigkeit eines Staates aus.
Liechtenstein weißt einen stabilen Bankensektor auf
Die liechtensteinischen Banken verfügen traditionell über ein konservatives Geschäftsmodell und legen damit großen Wert auf Stabilität. Gemäß Geiger ist der Bankensektor im internationalen Vergleich somit widerstandsfähig, sprich resilient, aufgestellt. Liechtensteinische Banken weisen hohe Eigenkapitalquoten und gleichzeitig gute Profitabilitäts- und Effizienzkennzahlen auf. Die Banken des Fürstentums gehören zu den am besten kapitalisierten in der Welt und benötigten auch in der Finanzkrise 2008 keine Staatshilfe. Der Fokus liegt auf Private Banking und Vermögensmanagement, während konventionelle Kreditvergabe eine geringere Rolle spielt. Insgesamt ist die Assetqualität liechtensteinischer Banken als sehr hoch einzuschätzen und der Anteil notleidender Kredite ist international gesehen außerordentlich gering.
Die Corona-Pandemie führt zu erhöhter Unsicherheit
Unsicherheit weist eine antizyklische Dynamik auf: Sie steigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten (Krisen, Rezessionen) an und nimmt in Aufschwungphasen ab. Im Zuge der Covid-19-Pandemie könnte Unsicherheit laut Geiger eine noch größere Rolle spielen, da quasi jeder Aspekt der Krise schlecht vorhersehbar ist: beispielsweise der weitere Verlauf der Pandemie und weitere etwaige Lockdowns, medizinische Behandlungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Konsequenzen auf Unternehmen, Staatshaushalte und Finanzmärkte, politische und soziale Entwicklungen.
Sämtliche Indizes, welche Unsicherheit messen, zeigen an, dass diese während der Corona-Pandemie stark angestiegen ist. Der Blick auf den prominenten Global Economic Policy Uncertainty Index, der von Bloom und Co-Autoren entwickelt wurde, zeigt, dass die Corona-Pandemie noch deutlich mehr wirtschaftspolitische Unsicherheit induziert hat als zum Beispiel der Handelskrieg zwischen China und den USA, der Brexit, die Finanzkrise oder die 9/11-Terroranschläge.
Finanzmarktstabilität wird ein wesentlicher Resilienzfaktor sein
Im Kontext der wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise wird die Finanzmarktstabilität eine entscheidende Rolle spielen. Eine Reihe von Studien zeigt, dass konjunkturelle Schwankungen vom Finanzmarkt verstärkt werden. Realwirtschaftliche Einbrüche können dazu führen, dass Haushalte und Betriebe ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, was zu einem Anstieg notleidender Kredite und somit zu einer Verschlechterung der Bankbilanzen führt. Mit anderen Worten sinkt in einer solchen Situation die Bonität der Banken und die Refinanzierungskosten für neue Kredite steigen. Die Konsequenz daraus ist eine Kreditklemme, was wiederum die Realwirtschaft belastet. Damit die Bonität von Banken trotz realwirtschaftlicher Einbrüche, wie sie aktuell durch die Corona-Krise stattfinden, intakt bleibt, ist eine hohe Resilienz des Bankensektors entscheidend. Finanzmarktstabilität hat folglich per se eine wichtige Rolle in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Da die Corona-Krise allerdings darüber hinaus hohe Unsicherheit induziert, ist Finanzmarkt-
stabilität laut Geiger ein besonders wichtiger volkswirtschaftlicher Resilienzfaktor in der aktuellen Situation.
Text: Christian Drastil
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