17.10.2024, 6276 Zeichen
Wien (OTS) - Eine seit Jahren bekannte Ursache für hohe Baukosten ist
die
verpflichtende Einhaltung von Baustandards, wie z.B. Bauordnungen
oder technische Normen. Jeder Standard für sich mag seine Begründung
haben, aber zu viele Bauvorschriften erhöhen nicht nur die Baukosten,
sondern verhindern auch Innovationen: so müssen Planer und Baufirmen
in der Praxis an - teilweise auch veralteten - Lösungen festhalten,
bloß um der Norm zu entsprechen und sich damit gegen eventuelle
spätere Haftungsansprüche abzusichern. Gleichwertige, innovative und
womöglich kostengünstigere Ausführungsalternativen können dadurch gar
nicht erst in Betracht gezogen werden.
Um dem entgegenzuwirken, wurde in einem Forschungsprojekt im
Auftrag des österreichischen Baugewerbes untersucht, inwieweit von
kostenintensiven und innovationshemmenden Vorschriften abgewichen
werden kann und dabei gleichzeitig eine vergleichbare Qualität in der
Umsetzung von Bauprojekten erreicht werden kann. Weiters wurde
analysiert, welche gesetzliche Maßnahmen hierzu notwendig wären. Ziel
dieses Projektes war es, einen Rahmen zu schaffen, damit
Bauunternehmen und Planende nach innovativen Lösungen suchen und
diese auch ohne überproportionales Risiko umsetzen können. Vorbild
für diesen Rahmen ist der sogenannte Gebäudetyp E, der in Deutschland
bereits gelebte Praxis ist und entsprechende Freiräume für Bauherrn
und Bauschaffende öffnet. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes
wurden heute im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert.
Technische Möglichkeiten ausschöpfen
„Wir müssen anfangen, den Weg für Innovationen aufzubereiten und
das Wissen aus der Baupraxis im Sinne unserer Auftraggeber nutzbar zu
machen“, so Anton Rieder, Bundesinnungsmeister-Stellvertreter und
Initiator des Forschungsprojektes. „Die aktuelle Rechtslage erweist
sich allerdings als Bremser und verhindert kostengünstigere Lösungen.
Wir wollen den Bauherren motivieren, neue Wege zu gehen und ihm den
rechtlichen Rahmen geben, die technischen Möglichkeiten der
ausführenden Bauwirtschaft auszuschöpfen.“
Georg Fröch, Assistenz-Professor an der Universität Innsbruck,
hat im Zuge des Projektes mehrere Beispiele ausgearbeitet, die
aufzeigen, wie man durch sinnvolles Abweichen von Normen eine
ausreichende Qualität, aber mit geringeren Kosten als mit den
Standard-Anforderungen, erreichen kann ( s. pdf-Anhang ). Fröchs
Resümee: „Bei der Ausarbeitung der Beispiele hat sich gezeigt, dass
bei relevanten Abweichungen von normativen Anforderungen
Kosteneinsparungen relativ leicht möglich sind, ohne dabei das
übliche Sicherheitsniveau für die Nutzer zu beeinträchtigen. Es geht
um die Nutzung von Sicherheitspuffern, die Fokussierung auf den Zweck
eines Bauteiles bzw. um die Rücknahme von Komfortstandards auf Wunsch
des Bauherrn. Dabei können Kosten eingespart werden, ohne
gleichzeitig die geltenden Sicherheitsstandards zu verlassen.“
Rechtliche Zulässigkeit von Normenabweichungen
Damit diese technischen Möglichkeiten auch rechtlich umsetzbar
werden, hat die renommierte Rechtsanwaltskanzlei Heid & Partner
rechtliche Lösungsvorschläge ausgearbeitet (s. 2. pdf-Anhang) .
Daniel Deutschmann, Leiter dieses Projektes bei Heid & Partner, fasst
zusammen: „Es könnte - wie in Deutschland beim Gebäudetyp E - eine
Bestimmung im Baurecht verankert werden, welche dem Bauwerber einen
Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung trotz Abweichung von
technischen Normen gibt. Dabei müsste nachgewiesen werden, dass die
wichtigsten Sicherheitsstandards - Standsicherheit, Brandschutz,
Schallschutz usw. - eingehalten werden. Darüber hinaus könnten im
Zivilrecht - also im ABGB und in anderen Gesetzen, die für Verträge
über Gebäude oder Gebäudeteile gelten wie u.a. Bauwerkverträge,
Kaufverträge, Mietverträge - Bestimmungen zur Zulässigkeit der
Normenabweichung angedacht werden; dies immer mit der Auflage, dass
die zwingenden baurechtlichen Bestimmungen und behördlichen
Anordnungen eingehalten werden.“
Auch von Seiten der Ziviltechniker:innen setzt man auf ein großes
Umdenken, wenn es darum geht, Normen zu definieren und diese in der
Praxis umzusetzen: „Normen tragen einen Teil zum Stand der Technik
bei. Das ist an sich gut aber eben auch ein Problem, da der Stand der
Technik sich schneller wandelt als die Normen. Zu viele Normen können
Widersprüche und Rechtsunsicherheit schaffen“, so Arch. DI Guido
Strohecker von der Kammer der Ziviltechniker:innen. „Es braucht auch
dringend schnellere Verfahren sowie Eigenverantwortung in der
Verwaltung und der Planungsbeteiligten, denn Gesetze und Normen
lassen durchaus Spielraum zu. Dieser kann genutzt werden, um
Verwaltungsprozesse flexibler und effizienter zu gestalten, ohne den
gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Der Gebäudetyp E3, den die
Ziviltechnikerkammer im engen Austausch mit den deutschen
Kolleg:innen seit rund 1 Jahr erarbeitet, erlaubt, dass man teilweise
außerhalb bestehender Normen agieren kann und dennoch dieselben
Qualitäten und Sicherheitsstandards erreicht. Wir arbeiten intensiv
über alle Grenzen und mit allen Beteiligten daran, dass dieses Modell
in Österreich auf eine breite Basis zur Umsetzung zum Wohle sowohl im
Consumer- wie auch im Businessbereich trifft.“
Anton Rieder abschließend: „Wir wollen als Unternehmer wieder
mutig sein, Eigenverantwortung fördern und gemeinsam mit den Bauherrn
neue Wege in der Bauausführung gehen. Dazu brauchen wir aber die
entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. In Summe sollen unsere
Bemühungen dazu führen, die Baukosten nachhaltig zu senken, damit
leistbares Wohnen und Arbeiten wieder zu ermöglichen und darüber
hinaus den CO2-Fußabruck zu verkleinern. Wir fordern - in Anlehnung
an den neuen Gebäudetyp E in Deutschland - einen Gebäudetyp E3, der
für mögliche Normenabweichungen in Österreich stehen soll.“
Insgesamt ist dieses Projekt der Startschuss von weiteren
Projekten des Baugewerbes, die zeigen sollen, dass Bauen mit
Hausverstand ohne unnötige Normenzwänge einen wichtigen Beitrag zur
Reduktion von Baukosten liefern kann. Diese Projekte sind in
Ausarbeitung und deren Ergebnisse werden in den nächsten Monaten
präsentiert.
Als Download erhältlich (s. pdf-Anhänge):
- Bauen außerhalb der Norm - Zusammenfassung rechtlicher Aspekte (
Heid & Partner)
- Bauen außerhalb der Norm - Praxisbeispiele für
Einsparungspotentiale, (Universität Innsbruck)
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