08.04.2020, 6023 Zeichen
Leichtathletik-Weltverband friert World Ranking ein. Keine Limit-Chance bei Herbstmarathons
Hobbyläufer können auf die Durchführung von Herbstmarathons hoffen, für Topathleten gibt es dabei jedoch keine Olympia-Qualifikationsmöglichkeit. Der internationale Leichtathletik-Verband World Athletics (WA) hat überraschend den Qualifikationszeitraum für die Olympischen Spiele in Tokio, die nach der Verschiebung aufgrund der Coronavirus-Krise nun im Sommer 2021 stattfinden sollen, bis Ende November ausgesetzt. Im Marathonlauf hat diese Entscheidung direkte Auswirkung auf Topathletinnen und -athleten sowie auf Veranstalter. Dieser Schritt dürfte sehr gemischte Reaktionen hervorrufen - ganz unabhängig davon, ob im Herbst überhaupt wieder gelaufen werden kann. World Athletics hatte schon bei vorangegangenen Änderungen im Straßenlaufsport - zum Beispiel werden diverse Weltrekorde seit einiger Zeit nicht mehr geführt - unglückliche Entscheidungen getroffen.
Viele Topläufer betroffen, bestehende Limits bleiben gültig
Das Aussetzen des Qualifikationszeitraumes bedeutet, dass sich die Athleten erst wieder ab Dezember 2020 für die Olympischen Spiele qualifizieren können. Wenn ein Marathonläufer also zwischen September und November die Qualifikationszeit erreicht oder einen entsprechenden Platz bei einem Top-Rennen belegt, würde World Athletics dieses Ergebnis nicht für die Olympia-Qualifikation gelten lassen. Auch wird das World Ranking, das ebenfalls Qualifikationsmöglichkeiten bietet, mit Stand 6. April 2020 eingefroren und erst im Dezember wieder aktiviert.
Dies trifft besonders jene Marathonläufer, die bisher noch nicht die internationalen Normen von 2:11:30 Stunden (Männer) beziehungsweise 2:29:30 (Frauen) erreicht beziehungsweise unterboten haben. Aus Österreich sind das beispielsweise Eva Wutti und Valentin Pfeil, die im Vorjahr mit starken Leistungen ihre Chance aufs Olympialimit unterstrichen haben, auch Aufsteiger Timon Theuer, der beim VCM 2020 seinen ersten Marathon laufen wollte, oder Christian Steinhammer, der bis zum Corona-Stopp sehr gute Leistungen brachte. In Deutschland ist das u.a. für Rekordhalter Arne Gabius eine neue Situation, der am 19. April beim Vienna City Marathon starten wollte. Auch die Hahner-Twins Anna und Lisa sind noch ohne Olympia-Ticket.
Für die bereits qualifizierten Läufer – in Österreich sind das Lemawork Ketema (2:10:44 beim VCM 2019) und Peter Herzog (2:10:57 in Berlin 2019) – ändert sich durch diese Entscheidung nichts. Ihre erbrachten Limits bleiben gültig.
Herbstmarathons ohne Reiz der Olympiaqualifikation
Alle hochklassigen internationalen Marathonrennen in dieser Zeit verlieren nun den sportlichen Wert eines Olympia-Qualifikationslaufes. Nach der Verschiebungswelle vom Frühjahr in den Herbst 2020 sind das sehr viele. In Deutschland zählt neben Berlin und Frankfurt in diesem Herbst auch Hamburg dazu, denn der Lauf wurde in den September verschoben. Dazu kommen Top-Rennen wie Paris, Rotterdam, Amsterdam. Und auch in Chicago, New York, London oder Boston - also der kompletten World Marathon-Majors-Serie im Herbst - ist nach dem Beschluss von WA keine Olympia-Qualifikation möglich.
Fokus auf Dezember 2020 und danach
Nationale Marathon-Meisterschaften, wo es großzügige Punkte für das World Ranking gibt, fallen als Qualifikationsmöglichkeit in diesem Zeitraum bis Ende November ebenfalls weg. Möglicherweise werden einzelne Länder nun versuchen, ihre Marathon-Meisterschaften an Terminen im Dezember 2020 und im Frühjahr 2021 durchzuführen. Mit dem Einfrieren der Olympiaqualifikation steigt mit einem Schlag das Interesse für Marathons wie Valencia und Fukuoka, die beide am 6. Dezember stattfinden, und Abu Dhabi, wo am 11. Dezember gelaufen werden soll, sowie auf weitere Marathons im Jänner 2021 vor allem in Asien, auch in Houston (USA).
Ist die Entscheidung klug oder unglücklich?
Die Bekanntgabe von World Athletics ist in jedem Fall überraschend und wirkt auf den ersten Blick verstörend. Bereits Ende Jänner hat WA eine Entscheidung getroffen, die zunächst nicht ganz verständlich war. Damals wurde die Leichtathletik Hallen-WM in Nanjing, China, die für 13.-15. März geplant war, um ein Jahr verschoben. Andere Gastgeberstädte in Europa wären für eine Durchführung zum ursprünglichen Termin bereitgestanden. Damals hatte in Europa allerdings noch kaum jemand die Gefahr des Coronavirus erkannt. WA entschied gegen eine örtliche Verlegung mit der Begründung, dies könnte aufgrund der Corona-Ausbreitung erst recht eine zeitliche Verschiebung nötig machen. Damit lag WA, wie wir heute wissen, absolut richtig.
Das Einfrieren der Olympiaqualifikation verschiebt den Druck zunächst zeitlich weiter nach hinten. Sie kann durchaus ein Beitrag zur Chancengleichheit und Beruhigung sein, denn ob Herbst 2020 bereits Reisefreiheit besteht, Dopingkontrollen in allen Ländern durchgeführt werden und Sportevents stattfinden können, ist jedenfalls fraglich. Gut möglich, dass es zu diesem Zeitpunkt weiterhin Beschränkungen gibt oder dass bei Reisen in andere Länder nach wie vor Quarantänebestimmungen gelten. Diese Vorgangsweise wirkt jedenfalls verantwortungsvoller und näher an der Realität, als die Bemühungen der Formel 1, den Motorsport-Zirkus im Sommer als Geisterrennen durchzuziehen.
Ein Hintergrund bei WA dürfte auch sein, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) die olympischen Startplätze in der Leichtathletik deutlich reduziert hat. Dadurch können nach dem aktuellen Stand im Marathon nur jeweils 80 Männer und Frauen teilnehmen, während es bei den vorangegangen Spielen jeweils fast doppelt so viele waren. Nach der Olympia-Verschiebung hatte das IOC sehr schnell angekündigt, dass die Qualifikationsleistungen der einzelnen Athleten bestehen bleiben und auch für die Spiele in 2021 zählen. Von einer Erhöhung der Teilnehmerzahlen war jedoch nicht die Rede.
VCM News. Text: Jörg Wenig - race-news-service.com / Andreas Maier /i>
Im Original hier erschienen: Marathon Olympia-Qualifikation erst wieder ab 1. Dezember
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