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Gefährden Einsparungen bei Justiz den Rechtsstaat? (Günter Luntsch)

27.08.2018, 12574 Zeichen

Gefährden Einsparungen bei Justiz den Rechtsstaat? Als im Frühjahr von Einsparungen auch bei der Justiz die Rede war, begaben sich Vertreter eben dieser zu einer Podiumsdiskussion, um dort klar und deutlich ihre Meinung kund zu tun. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Redner sich als über Regierung und Volk stehend sahen, erschreckte mich. Politik braucht Kontrolle durch die Justiz, gut, so soll es sein, wenn die Regierung die Bürger schlecht behandeln will. Auch wenn geringschätzig über bildungsferne Politiker, "die nicht einmal ihr Jus-Studium abgeschlossen haben", gesprochen wurde, so sind unsere im Parlament vertretenen Parteien (egal wer es gerade in die Regierung schafft) immerhin demokratisch gewählt und legitimiert worden. Ich fände es traurig, wenn im Parlament wirklich nur studierte Juristen sitzen dürften. Wie sollen diese die Sorgen und Nöte des Kellners, des Arbeitslosen, des Maurers, des Bergbauern vertreten können? Diversität ist in allen Gremien von Vorteil, so auch im Parlament. Dort brauchen wir Menschen, die Hausverstand mitbringen, nicht nur juristische Bildung. Österreich rühmt sich so wie auch auf dieser Veranstaltung gerne einer "unabhängigen" Justiz, und der Gerichtspräsident fand es gut, dass 50% der Österreicher mit der Justiz unzufrieden sind, seiner Logik zufolge müsse das so sein, denn "wenn einer gewinnt, muss der andere verlieren". Aber so ein hohes Misstrauen der Justiz gegenüber kommt nicht nur von Menschen, die einen Gerichtsprozess verloren haben, das Misstrauen geht durch die gesamte Bevölkerung, und das ist wirklich nichts, worauf die Justiz stolz sein kann. Die Vertreter der Justiz auf dieser Veranstaltung wollten jedenfalls noch unabhängiger sein und sich vom Justizminister (Politiker) auch keinen Personalstand vorschreiben lassen. Schließlich würde die Justiz den Steuerzahler nichts kosten, weil die Justiz ihre Kosten selbst erwirtschafte und sich über Gebühren und Strafen selbst finanziere. Mich schaudert. Wie kann man so vermessen sein und von "erwirtschaften" sprechen, so als ob die Justiz am freien Markt bestehen müsste und nicht vom Kontrahierungszwang profitieren würde? Wie kann man stolz auf die hohen Gerichtsgebühren in Österreich sein, die längst nur mehr einem kleinen Teil des Volkes den Weg zum Recht erlauben? Man muss nicht arm sein, um vom Weg zum Recht abgeschnitten zu sein, das wird so mancher wissen, der einmal zur Mittelschicht gehört und durch seine Suche nach Recht oder gar Gerechtigkeit Haus und Hof verloren hat, das Gericht ist hier nicht zimperlich, für die Justiz gibt es offenbar das Recht auf ein menschenwürdiges Überleben schon längst nicht mehr, exekutiert wird um jeden Preis, egal wie sinnvoll oder nicht. Unangenehm fiel mir auch eine Vertreterin der Rechtsanwälte auf, die schnellere automatisierte Exekutionsbewilligungen forderte. Das heißt: kein händisches Abwägen mehr, der Apparat soll Exekutionen bewilligen, niemand soll in die Arbeit der EDV mehr eingreifen, kein Mensch und keine Menschlichkeit. Unter anderem solche Auswüchse, finde ich, bedürfen der Kontrolle durch eine demokratisch legitimierte Politik. Stolz war man auch auf die Unkündbarkeit, durch welche man sich als unabhängige Überwachungsinstanz über die Politik bestimmt sieht. Wer unkündbar ist, versteht wohl am allerwenigsten die (wie oben erwähnt) Sorgen und Nöte des Bürgers, der um seine Existenz kämpfen muss. Wer sich auf einer derartigen Ansammlung von hochrangigen Juristen als Vertreter des einfachen Volks outet, wird sofort und spürbar als Bürger letzter Klasse behandelt, praktisch nicht sichtbar, seine Frage wird ignorant weggewischt: Es darf auch bei Härtefällen keine Nachsicht von der Exekution der Strafen bei verspäteter Einreichung einer Bilanz geben, und sei es bis zum Lebensende, egal ob der Bestrafte genug Geld zum Überleben hat, denn Recht muss Recht bleiben, und auch für sinnlose, aber spezial- und generalpräventive Exekutionsführung braucht man halt viel Personal. Es geht also ums Prinzip, keiner darf ungestraft davonkommen, justament, die Auswirkungen einer verspäteten Bilanzeinreichung soll man ein Leben lang spüren. Die Veranstaltung wäre wohl einen eigenen Beitrag wert, denn ich meine, das Volk und auch unsere Politiker haben ein Recht darauf, zu wissen, was die Spitzen der Justiz über sie denken. Und welche Fehlentwicklungen es gibt. Auch wenn die Unfehlbarkeit der Justiz (zumindest glaubt man, dass Fehler von unteren Rängen der Justiz eh von höheren Instanzen ausgebügelt werden) hierzulande ein Dogma ist, man hört immer wieder "Gerichtsurteile sind anzuerkennen", das kritische Hinterfragen der Denkweise und der Entscheidungen der Richter muss gerade in einem Rechtsstaat erlaubt sein.

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte es eine Satire wie MA2412 sein: Seit mehr als zwei Jahren bin ich als Begleiter beim Kampf um Anerkennung eines Geschäftsführers als menschliches Wesen auf vielen Gerichten unterwegs. Vom Handelsgericht über das Oberlandesgericht bis hin zum Bezirksgericht als Exekutionsgericht habe ich Gerichte viele Male von innen gesehen. In all diesen Jahren habe ich noch keinen einzigen für diesen Fall zuständigen Beamten treffen können. Urlaub? Längere Mittagspause? Heimarbeit? Kollegen auf dem Weg zur Küche oder zurück wissen nichts. Er/Sie muss sich nicht abmelden, wenn er/sie nicht da ist. Die große Freiheit. Schriftlichen Ansuchen um persönliche Anhörung wird nicht entsprochen. Die natürlichen Personen hinter dem Computer und den vielen aus einfallslosen Textbausteinen ("spezial- und generalpräventiv notwendig", kennt man ja von allen Behörden, die die deutsche Amtssprache mit lateinischen Worten aufmotzen zu müssen glauben) zusammengesetzten automatisiert erstellten Bescheiden wollen nicht sichtbar dem Menschen gegenüber sein, über dessen unverzeihliches Fehlverhalten gerichtlich abgesprochen wird. Die Beamten, denen man 10 Minuten beim Spielen mit ihrem Smartphone oder beim Lesen der Kronenzeitung zuschauen muss, bevor sie ihren Kopf erheben, damit der Bittsteller (eigentlich will ja das Gericht was von ihm, er will ja eh nur seine Ruhe vor dem Gericht) sein Anliegen vorbringen kann, möchte ich nicht tadeln, die sind zumindest anwesend und somit ihr Salär wert. Sehr bedenklich finde ich gedankenlos ausgestellte Bescheide, aus denen unschwer zu erkennen ist, dass der Bescheidersteller nicht einmal des sinnerfassenden Lesens des Parteianliegens mächtig ist, ja, das tut mir auch als Steuerzahler weh, wenn ausstudierte Juristen auf meine Kosten einen sicheren und gut dotierten Job haben, den sie nicht haben sollten, weil sie einfache Texte nicht verstehen. Es gibt offenbar keine Qualitätskontrolle, das würde ja die Unabhängigkeit gefährden. Zum angeblichen Personalmangel der Justiz und zu der damit einher gehenden Gefährdung des Rechtsstaats ist nur zu sagen: Beamtenmikado gibt es wirklich nicht nur in seichten Witzen von Boulevardzeitungen, diesen Eindruck muss jemand gewinnen, der den Bewegungen von Gerichtsbediensteten an ihrem Arbeitsplatz wie ich zusehen durfte. Den anwesenden. Ich betone: das ist nur meine Wahrnehmung, ganz sicher wird es auch in der Justiz dynamische Menschen geben, die einen Akt nicht in Zeitlupe von einem Zimmer ins andere tragen. Sie arbeiten wahrscheinlich zu Zeiten, in denen ich schlafe.

An nämlichem Fall ärgert mich besonders, dass die Gerichte die Intentionen des Gesetzgebers ungeniert ignorieren. Zum einen gibt es in der Theorie die Möglichkeit der Nachsicht bei besonderer Härte, wenn kein Schaden entstanden ist, und wenn das Verschulden gering ist. Aber eine Bilanzverspätung aufgrund schwerer Erkrankung kann nie nachgesehen werden, meinen die Gerichte, da eine Bilanzverspätung NIE ein geringes Verschulden sein kann. Man hätte ja VOR der Erkrankung die Bilanz schon abgeben können, und wenn man wirklich keine Bilanz hat, hätte man ja auch während der schweren Krankheit einfach IRGENDWAS reinschreiben können, also eine "vorläufige" (unrichtige) Bilanz abgeben. Worin bei einer falschen Bilanz der angeblich angestrebte Gläubigerschutz bestehen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Vorschrift ist Vorschrift, egal ob dem Gedanken des Gesetzgebers (hier: Gläubigerschutz) entsprochen wird oder nicht. Zumal es hier (außer dem Gericht) nicht einmal Gläubiger gibt, denn einer Pimperl-GmbH ohne Kapital borgt eh niemand etwas. Zum zweiten hat selbst die letzte und wirklich nicht unternehmerfreundliche Regierungskoalition Rot-Schwarz verstanden, dass die Strafen für minimale Bilanzverspätungen bei Kleinst-GmbHs viel zu hoch sind, die Intention der winzigen Gesetzesreparatur (Mindeststrafe wurde für die allerkleinsten herabgesetzt) war eindeutig: die Strafen zu entschärfen. Mehr in diese Richtung oder gar eine Abschaffung der Strafen hat man sich nicht getraut. Wir können also davon ausgehen, dass es breiter Konsens in Politik und Gesellschaft ist, dass die Strafen für kleine Bilanzverspätungen viel zu hoch sind, wenn sogar die SPÖ dieser Minimalentschärfung zugestimmt hat. Den Gerichten ist diese Intention wurscht: bei Geschäftsjahren vor Beginn 1.1.16 sind die alten und noch höheren Mindeststrafen von 2 x 700 Euro = 1.400 Euro (700 für die Gesellschaft und 700 für jeden Geschäftsführer) zu exekutieren, aus "spezial- und generalpräventiven Gründen". Es bedürfe der exekutiven Einbringung der Zwangsstrafe, "um andere Unternehmen künftig zur zeitgerechten Offenlegung anzuhalten". Auf die Vermögensverhältnisse der Rekurswerber (GmbH und Geschäftsführer) sei "mangels Relevanz" nicht einzugehen. Es muss also um jeden Preis vollstreckt werden, es geht den Gerichten ums Prinzip, keiner darf davonkommen, auch nicht einer, dessen Firma nicht so gut läuft (so etwas gibt es nämlich auch, Unternehmerrisiko). Der soll ewig Angst haben, denn täglich kann der Exekutor ihn aus dem Schlaf klingeln. Wie es schon passiert ist, während des laufenden Verfahrens, weil bei Gericht eine Hand nicht weiß, was die andere tut, es herrscht totales Chaos. Der Exekutor hat schon festgestellt, dass nichts Verwertbares (welcher Unternehmer, der seine Firma retten muss, investiert noch in teure Innenausstattung?) in der Wohnung ist, egal, die Gerichte sind unbarmherzig. Zum dritten hat die aktuelle Regierung "Beratung statt Strafe" zum Leitbild erhoben, und hier ist es ganz eindeutig: Es hätte gereicht, die 1.400 Euro Strafe anzudrohen und zu sagen, dass der Unternehmer halt irgendwas, wurscht was, schreiben soll, Hauptsache es sieht nach Bilanz aus. Keiner zahlt gern 1.400 Euro für nichts. Schon gar nicht jemand, dem ohnehin schon die Mittel zum (Über)Leben fehlen. Laut Gericht hätte der Unternehmer die Möglichkeit gehabt, vor Bescheiderlassung noch straffrei etwas abzugeben, nach Bescheiderlassung sei das nicht mehr möglich. Und zwar ohne Vorwarnung. D.h. 1 Tag vor Bescheiderlassung, auch verspätet, aber absolut straffrei, ein Glücksspiel. Der einen Tag länger braucht, den trifft die volle Härte der Justiz. Sie braucht Geld. Weil sie sich ja selbst finanziert. Der (gesundheitlich angeschlagene) Unternehmer kann sein laufendes Geschäft nur sehr eingeschränkt entwickeln, da die Abwehr der gerichtlichen Begehrlichkeiten den Hauptteil seiner Energie und Zeit in Anspruch nimmt. Die Gerichte dagegen haben alle Zeit der Welt und genug Kapazitäten, um den kleinen Unternehmer fertig zu machen. Ja, die Beamten werden sogar noch bezahlt für ihre volkswirtschaftlich kontraproduktive Tätigkeit.

Das mit der generalpräventiven Wirkung wirkt sicher, keiner meiner Leser wird sich mehr trauen, bei schwerer Krankheit auf die Bilanzeinreichung zu vergessen, es gibt nichts wichtigeres als die rechtzeitige Bilanzeinreichung. Obwohl die rechtzeitige Bilanzeinreichung 9 Monate nach Bilanzstichtag auch schon ein Grenzfall ist, in mehreren Bescheiden kritisieren die Gerichte, es gehe hier nicht um eine 2-monatige Verspätung, sondern um eine 11-monatige Verspätung, denn die Bilanz sollte eigentlich schon am Bilanzstichtag fertig sein. So stellen sich Leute das vor, die nie eine Bilanz erstellt haben. Dass über das Strafverfahren und das Nachsichtsverfahren sowohl am Handelsgericht als auch am Oberlandesgericht die gleichen Leute mit ziemlich dem gleichen Wortlaut entscheiden, obwohl sie beim zweiten Durchgang eindeutig befangen sind, ist in Österreich auch schon wurscht.

Ich appelliere an den Justizminister und an Regierung und Parlament, dieser Pervertierung der gesetzgeberischen Intentionen ein für allemal Einhalt zu gebieten. Auch die unabhängigen Richter sollten diese Intentionen würdigen, immerhin sind wir eine Demokratie.


(27.08.2018)

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    Wenn es nicht so traurig wäre, könnte es eine Satire wie MA2412 sein: Seit mehr als zwei Jahren bin ich als Begleiter beim Kampf um Anerkennung eines Geschäftsführers als menschliches Wesen auf vielen Gerichten unterwegs. Vom Handelsgericht über das Oberlandesgericht bis hin zum Bezirksgericht als Exekutionsgericht habe ich Gerichte viele Male von innen gesehen. In all diesen Jahren habe ich noch keinen einzigen für diesen Fall zuständigen Beamten treffen können. Urlaub? Längere Mittagspause? Heimarbeit? Kollegen auf dem Weg zur Küche oder zurück wissen nichts. Er/Sie muss sich nicht abmelden, wenn er/sie nicht da ist. Die große Freiheit. Schriftlichen Ansuchen um persönliche Anhörung wird nicht entsprochen. Die natürlichen Personen hinter dem Computer und den vielen aus einfallslosen Textbausteinen ("spezial- und generalpräventiv notwendig", kennt man ja von allen Behörden, die die deutsche Amtssprache mit lateinischen Worten aufmotzen zu müssen glauben) zusammengesetzten automatisiert erstellten Bescheiden wollen nicht sichtbar dem Menschen gegenüber sein, über dessen unverzeihliches Fehlverhalten gerichtlich abgesprochen wird. Die Beamten, denen man 10 Minuten beim Spielen mit ihrem Smartphone oder beim Lesen der Kronenzeitung zuschauen muss, bevor sie ihren Kopf erheben, damit der Bittsteller (eigentlich will ja das Gericht was von ihm, er will ja eh nur seine Ruhe vor dem Gericht) sein Anliegen vorbringen kann, möchte ich nicht tadeln, die sind zumindest anwesend und somit ihr Salär wert. Sehr bedenklich finde ich gedankenlos ausgestellte Bescheide, aus denen unschwer zu erkennen ist, dass der Bescheidersteller nicht einmal des sinnerfassenden Lesens des Parteianliegens mächtig ist, ja, das tut mir auch als Steuerzahler weh, wenn ausstudierte Juristen auf meine Kosten einen sicheren und gut dotierten Job haben, den sie nicht haben sollten, weil sie einfache Texte nicht verstehen. Es gibt offenbar keine Qualitätskontrolle, das würde ja die Unabhängigkeit gefährden. Zum angeblichen Personalmangel der Justiz und zu der damit einher gehenden Gefährdung des Rechtsstaats ist nur zu sagen: Beamtenmikado gibt es wirklich nicht nur in seichten Witzen von Boulevardzeitungen, diesen Eindruck muss jemand gewinnen, der den Bewegungen von Gerichtsbediensteten an ihrem Arbeitsplatz wie ich zusehen durfte. Den anwesenden. Ich betone: das ist nur meine Wahrnehmung, ganz sicher wird es auch in der Justiz dynamische Menschen geben, die einen Akt nicht in Zeitlupe von einem Zimmer ins andere tragen. Sie arbeiten wahrscheinlich zu Zeiten, in denen ich schlafe.

    An nämlichem Fall ärgert mich besonders, dass die Gerichte die Intentionen des Gesetzgebers ungeniert ignorieren. Zum einen gibt es in der Theorie die Möglichkeit der Nachsicht bei besonderer Härte, wenn kein Schaden entstanden ist, und wenn das Verschulden gering ist. Aber eine Bilanzverspätung aufgrund schwerer Erkrankung kann nie nachgesehen werden, meinen die Gerichte, da eine Bilanzverspätung NIE ein geringes Verschulden sein kann. Man hätte ja VOR der Erkrankung die Bilanz schon abgeben können, und wenn man wirklich keine Bilanz hat, hätte man ja auch während der schweren Krankheit einfach IRGENDWAS reinschreiben können, also eine "vorläufige" (unrichtige) Bilanz abgeben. Worin bei einer falschen Bilanz der angeblich angestrebte Gläubigerschutz bestehen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Vorschrift ist Vorschrift, egal ob dem Gedanken des Gesetzgebers (hier: Gläubigerschutz) entsprochen wird oder nicht. Zumal es hier (außer dem Gericht) nicht einmal Gläubiger gibt, denn einer Pimperl-GmbH ohne Kapital borgt eh niemand etwas. Zum zweiten hat selbst die letzte und wirklich nicht unternehmerfreundliche Regierungskoalition Rot-Schwarz verstanden, dass die Strafen für minimale Bilanzverspätungen bei Kleinst-GmbHs viel zu hoch sind, die Intention der winzigen Gesetzesreparatur (Mindeststrafe wurde für die allerkleinsten herabgesetzt) war eindeutig: die Strafen zu entschärfen. Mehr in diese Richtung oder gar eine Abschaffung der Strafen hat man sich nicht getraut. Wir können also davon ausgehen, dass es breiter Konsens in Politik und Gesellschaft ist, dass die Strafen für kleine Bilanzverspätungen viel zu hoch sind, wenn sogar die SPÖ dieser Minimalentschärfung zugestimmt hat. Den Gerichten ist diese Intention wurscht: bei Geschäftsjahren vor Beginn 1.1.16 sind die alten und noch höheren Mindeststrafen von 2 x 700 Euro = 1.400 Euro (700 für die Gesellschaft und 700 für jeden Geschäftsführer) zu exekutieren, aus "spezial- und generalpräventiven Gründen". Es bedürfe der exekutiven Einbringung der Zwangsstrafe, "um andere Unternehmen künftig zur zeitgerechten Offenlegung anzuhalten". Auf die Vermögensverhältnisse der Rekurswerber (GmbH und Geschäftsführer) sei "mangels Relevanz" nicht einzugehen. Es muss also um jeden Preis vollstreckt werden, es geht den Gerichten ums Prinzip, keiner darf davonkommen, auch nicht einer, dessen Firma nicht so gut läuft (so etwas gibt es nämlich auch, Unternehmerrisiko). Der soll ewig Angst haben, denn täglich kann der Exekutor ihn aus dem Schlaf klingeln. Wie es schon passiert ist, während des laufenden Verfahrens, weil bei Gericht eine Hand nicht weiß, was die andere tut, es herrscht totales Chaos. Der Exekutor hat schon festgestellt, dass nichts Verwertbares (welcher Unternehmer, der seine Firma retten muss, investiert noch in teure Innenausstattung?) in der Wohnung ist, egal, die Gerichte sind unbarmherzig. Zum dritten hat die aktuelle Regierung "Beratung statt Strafe" zum Leitbild erhoben, und hier ist es ganz eindeutig: Es hätte gereicht, die 1.400 Euro Strafe anzudrohen und zu sagen, dass der Unternehmer halt irgendwas, wurscht was, schreiben soll, Hauptsache es sieht nach Bilanz aus. Keiner zahlt gern 1.400 Euro für nichts. Schon gar nicht jemand, dem ohnehin schon die Mittel zum (Über)Leben fehlen. Laut Gericht hätte der Unternehmer die Möglichkeit gehabt, vor Bescheiderlassung noch straffrei etwas abzugeben, nach Bescheiderlassung sei das nicht mehr möglich. Und zwar ohne Vorwarnung. D.h. 1 Tag vor Bescheiderlassung, auch verspätet, aber absolut straffrei, ein Glücksspiel. Der einen Tag länger braucht, den trifft die volle Härte der Justiz. Sie braucht Geld. Weil sie sich ja selbst finanziert. Der (gesundheitlich angeschlagene) Unternehmer kann sein laufendes Geschäft nur sehr eingeschränkt entwickeln, da die Abwehr der gerichtlichen Begehrlichkeiten den Hauptteil seiner Energie und Zeit in Anspruch nimmt. Die Gerichte dagegen haben alle Zeit der Welt und genug Kapazitäten, um den kleinen Unternehmer fertig zu machen. Ja, die Beamten werden sogar noch bezahlt für ihre volkswirtschaftlich kontraproduktive Tätigkeit.

    Das mit der generalpräventiven Wirkung wirkt sicher, keiner meiner Leser wird sich mehr trauen, bei schwerer Krankheit auf die Bilanzeinreichung zu vergessen, es gibt nichts wichtigeres als die rechtzeitige Bilanzeinreichung. Obwohl die rechtzeitige Bilanzeinreichung 9 Monate nach Bilanzstichtag auch schon ein Grenzfall ist, in mehreren Bescheiden kritisieren die Gerichte, es gehe hier nicht um eine 2-monatige Verspätung, sondern um eine 11-monatige Verspätung, denn die Bilanz sollte eigentlich schon am Bilanzstichtag fertig sein. So stellen sich Leute das vor, die nie eine Bilanz erstellt haben. Dass über das Strafverfahren und das Nachsichtsverfahren sowohl am Handelsgericht als auch am Oberlandesgericht die gleichen Leute mit ziemlich dem gleichen Wortlaut entscheiden, obwohl sie beim zweiten Durchgang eindeutig befangen sind, ist in Österreich auch schon wurscht.

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      2024
      Muga / Ediciones Posibles

      Ed van der Elsken
      Liebe in Saint Germain des Pres
      1956
      Rowohlt