17.09.2012,
14695 Zeichen
Eine tolle Analyse von
Bantleon:
"Droht 2013 der Absturz?
In den USA startet gerade die heisse Phase des Präsidentschaftswahlkampfes und gleichzeitig rückt die sogenannte fiscal cliff immer näher. Gemeint sind damit die drohenden Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die Anfang 2013 wirksam werden, wenn sich die Politik nicht auf eine Entschärfung dieser Zeitbombe einigt. Vom Umfang her machen diese Massnahmen im Fiskaljahr 2013 (1. Oktober 2012 bis 31. September 2013) zusammen knapp 500 Mrd. USD aus, was auf das Kalenderjahr 2013 bezogen fast 4% des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Sollte die Wirtschaftsleistung tatsächlich in dieser Grössenordnung einbrechen, würde die US-Wirtschaft unweigerlich in eine Rezession stürzen. Werden die Sparmassnahmen dagegen ein weiteres Mal verschoben, droht die US-Staatsschuld weiter anzusteigen. Was folgt aus diesem Dilemma für die Wachstumsperspektiven der US-Wirtschaft?
Woher kommt die »fiscal cliff«?
In Tabelle 1 ist aufgelistet, aus welchen Einzelposten die fiskalische Klippe besteht, über die die US-Wirtschaft zu stürzen droht. Den grössten Posten machen dabei mit 225 Mrd. USD die Ende 2012 auslaufenden Steuersenkungen der zurückliegenden Jahre aus, die zum Teil bis ins Jahr 2001 zurückreichen, als der damalige Präsident George W. Bush die Einkommenssteuer vor allem der höheren Einkommensklassen befristet senkte, um damit die Budgetüberschüsse der Clinton-Ära zu verteilen. Hinzu kommen die Konjunkturprogramme im Nachgang der letzten Rezession (u.a. Senkung der Rentenversicherungsbeiträge, Verlängerung der Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe, Abschreibungserleichterungen). Schliesslich greifen ab 2013 die automatischen Ausgabenkürzungen, die Mitte vergangenen Jahres für den Fall vereinbart wurden, dass sich die Parteien nicht auf ein langfristiges Programm zur Haushaltskonsolidierung einigen können (die diesbezüglichen Verhandlungen des sogenannten Supercommittees scheiterten im Herbst 2011).
Tab. 1: Immer wieder aufgeschoben — jetzt droht ein massiver fiskalischer Bremseffekt
Quellen: CBO,
Bantleon
Wie geht es auf der politischen Bühne weiter?
Im gegenwärtigen Stadium, kurz vor der Präsidentschafts- und den Kongresswahlen am 6. November 2012
1, gewinnt die politische Auseinandersetzung an Schärfe und es ist nicht davon auszugehen, dass mit Blick auf die drohende »fiscal cliff« bald entscheidende Fortschritte gemacht werden. Der Fokus richtet sich damit auf die Zeit nach dem 6. November. Können in den verbleibenden wenigen Wochen bis zum Jahresende die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, um die drohenden fiskalischen Einschnitte zu vermeiden?
Ganz so aussichtslos, wie es angesichts der kurzen Zeitspanne erscheint, ist die Lage nicht. Die involvierten politischen Gremien haben jede für sich bereits eine Reihe von Gesetzesvorlagen beschlossen, die eine Verlängerung wesentlicher Elemente des auslaufenden Massenpakets betrifft:
- Das derzeit republikanisch dominierte Repräsentantenhaus hat dafür votiert, die automatischen Budgetkürzungen des Budget and Control Act im Jahr 2013 auszusetzen (ein Beschluss dazu vom Senat steht noch aus).
- Der aktuell mit knapper Mehrheit von den Demokraten dominierte Senat beschloss eine Verlängerung der 2001/2003-Steuersenkungen für Einkommensbezieher unter 250.000 USD (eine Senkung für alle Einkommensklassen wurde abgelehnt).
- Das Repräsentantenhaus sprach sich dafür aus, alle Einkommenssteuersenkungen aus den Jahren 2001/2003 zu verlängern (eine Senkung nur für Einkommensbezieher unter 250.000 USD wurde abgelehnt).
- Der Finanzausschuss des Senats verabschiedete ein Gesetz zur Verlängerung auslaufender Unternehmenssteuersenkungen und zur Vermeidung der kalten Progression (Alternative Minimum Tax).
Die gefassten Beschlüsse zeigen, dass eigentlich alle Beteiligten eine Verschiebung grosser Teile der drohenden Steuererhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen befürworten. Insofern ist es wahrscheinlich, dass nach dem Wahlkampf die notwendigen Einigungen bzw. Kompromisse erzielt werden können. Je nach Wahlausgang wird dieser Prozess leichter oder schwieriger umzusetzen sein:
- Am »einfachsten« dürfte sich die Lage präsentieren, wenn der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney siegt, sich dementsprechend auch im Senat die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Republikaner wandeln und das Repräsentantenhaus weiterhin von den Republikanern dominiert wird. Dann sollte die von den Parteiführern in Aussicht gestellte komplette Verlängerung aller Einkommenssteuersenkungen beschlossen werden.
- Im Falle einer Wiederwahl Barack Obamas und der dann auch wahrscheinlichen Bestätigung der Senatsmehrheit der Demokraten würden die politischen Machtverhältnisse nahezu unverändert bleiben. Da aber beide grossen Parteien kein Interesse daran haben, dass die US-Wirtschaft in eine politisch verursachte Rezession stürzt, ist auch in diesem Fall von einer Verlängerung wichtiger Steuerentlastungen auszugehen, zumal die Positionen (wie oben ausgeführt) nicht sehr weit auseinanderliegen. Wegen der geringeren Verhandlungsmacht der Republikaner dürfte der von ihnen favorisierte Sparkurs indes weniger ausgeprägt ausfallen und mithin der unmittelbare konjunkturelle Bremseffekt kleiner sein.
Stolpersteine auf dem Weg zur Fiskalkonsolidierung
Trotz der sich abzeichnenden politischen Kompromisse – die Stolpersteine auf dem Weg zu einem geordneten Ablauf der Fiskalkonsolidierung sind zweifelsohne gross. Selbst wenn die Republikaner in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheiten gewinnen, ist damit noch nicht klar, dass die notwendigen Gesetzesänderungen rechtzeitig vorgenommen werden. Der neue Kongress wird nämlich erst Anfang Januar vereidigt. Damit die Ende des Jahres auslaufenden Steuersenkungen respektive die zum Anfang des neuen Jahres greifenden Ausgabenkürzungen trotzdem rechtzeitig verschoben werden können, ist der noch bestehende Kongress gefordert, diese Schritte nicht zu blockieren.
Sollte die Vermeidung der Steuererhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen aber nicht rechtzeitig greifen, droht der private Verbrauch als Hauptleidtragender Anfang des Jahres infolge der massiven Steuererhöhungen regelrecht einzubrechen. Das wiederum könnte zu rückläufigen Investitionen und zunehmenden Entlassungen führen und damit eine sich selbst verstärkende konjunkturelle Abwärtsspirale in Gang setzen – der Absturz in eine neue Rezession muss also durchaus als reale Gefahr angesehen werden.
Konsequenzen für den kurzfristigen Konjunkturausblick
Wir sehen in dieser Option aber nur ein Risikoszenario und gehen stattdessen davon aus, dass die politisch Verantwortlichen »vernünftig« handeln – der Absturz über die fiskalische Klippe sollte somit vermieden werden können. So weit die gute Nachricht. Das heisst allerdings nicht, dass gar keine Turbulenzen zu spüren sein werden. Als eine Gemeinsamkeit in den jeweiligen Programmen der beiden grossen Parteien zeichnet sich beispielsweise ab, dass die 2010 erstmals beschlossene Senkung der Rentenversicherungsbeiträge (die 2011 verlängert wurde) nun ausläuft. Ähnlich sieht es mit der befristeten Ausweitung der Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstützung aus. Würden diese beiden Massnahmen Ende 2012 tatsächlich enden, könnte damit der Fehlbetrag im Bundeshaushalt im kommenden Jahr um mehr als 100 Mrd. sinken und die private Nachfrage entsprechend unter Druck kommen.
Unser Basisszenario zur Wachstumsprognose 2013 fusst auf dieser Annahme. Die Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge, die von den Arbeitgebern zusammen mit der Lohnsteuer einbehalten werden, dürfte dementsprechend vor allem am Anfang des Jahres die privaten Haushalte belasten. Aus diesem Grund rechnen wir mit einer Stagnation der Konsumausgaben im 1. Quartal und erst ab dem 2. Quartal wieder mit einem anziehenden Wachstum des privaten Verbrauchs.
Wegen der starken Abhängigkeit der US-Wirtschaft von den Konsumausgaben wird sich diese Pause im Konsumwachstum in einer spürbaren Verlangsamung des BIP-Wachstums im 1. Quartal 2013 auf moderate 0,0 bis 0,5% (annualisiert gegenüber dem Vorquartal) niederschlagen.
Dilemma der US-Haushaltskonsolidierung — die langfristige Perspektive
Die Aussicht auf einen kurzfristig kaum zu umgehenden konjunkturellen Bremseffekt stellt aber nur das eine Problem dar. Das andere Problem ergibt sich daraus, dass der vermiedene Sturz über die »fiscal cliff« mit einem dann umso grösseren langfristigen Konsolidierungsbedarf erkauft wird.
Abb. 1: Rasanter Anstieg der US-Staatsschuld
Quellen: CBO, IWF, Eurostat,
Bantleon
Schon jetzt ist die Staatsschuld in den USA in Höhe von 101% des BIP (Stand 2011) ausgesprochen hoch – in den vergangenen vier Jahren ist sie in Rekordtempo um rund die Hälfte gewachsen (in 2007 betrug sie noch 65%). In der Eurozone wuchs die Staatsschuld dagegen im gleichen Zeitraum »nur« um ein Drittel und mit 87% liegt sie inzwischen erkennbar unter dem Wert der USA (vgl. Abbildung 1).
Spiegelbildlich stellt sich die Lage beim laufenden Haushaltsdefizit dar. Hier wiesen die USA in 2011 einen Fehlbetrag in Höhe von 9,5% des BIP aus – in der Eurozone waren es mit 4,1% weniger als die Hälfte (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Im Vergleich zu den USA sind die Konsolidierungspläne in Europa vorbildlich
Quellen: CBO, IWF, Eurostat,
Bantleon
Aber nicht nur das aktuelle Niveau der wichtigsten Schuldenkennzahlen ist besorgniserregend. Auch der Ausblick auf deren Entwicklung in den kommenden Jahren ist bedenklich. Das zeigen beispielsweise die 10-Jahres-Projektionen des überparteilichen Congressional Budget Office (CBO), das regelmässig die Haushaltspläne des Bundes durchleuchtet. Demnach würde bei einer Verschiebung eines grossen Teils der eigentlich Ende dieses Jahres auslaufenden Steuersenkungen respektive der einsetzenden Ausgabenkürzungen das laufende Haushaltsdefizit des Bundes nur langsam abnehmen: Von den für 2012 avisierten 7,3% sinkt es in 2013 lediglich auf 6,5% und in 2014 auf 5,6%. Im Vergleich dazu sind die in der Eurozone ergriffenen Pläne, die den Fehlbetrag bis 2014 auf 2,2% senken, geradezu vorbildlich (vgl. Abb. 2).
Für den Schuldenstand folgt daraus in den nächsten Jahren eine weitere deutliche Zunahme — von Haushaltskonsolidierung im eigentlichen Sinne kann somit unter diesem Szenario gar nicht gesprochen werden (vgl. Abb. 1). Gleichwohl sieht sich die Konjunktur permanentem Gegenwind ausgesetzt. Denn die jährliche Reduktion des Fehlbetrags um 1,0%-Punkte — die gemessen am aktuellen Defizit von 7,3% in 2012 wenig ist — bremst das Wirtschaftswachstum jedes Jahr um ebenfalls rund 1,0%-Punkte, was gemessen am niedrigen Wachstum der vergangenen Jahre (durchschnittlich 2,1% in den letzten 2 ½ Jahren) bedenklich viel ist. Wir bleiben daher bei unserem langfristig skeptischen Wachstumsausblick (der auch auf dem anhaltenden Entschuldungsbedarf in der Privatwirtschaft zurückzuführen ist). Demnach wird der inzwischen ausklingende Bremseffekt vom Immobilienmarkt von den Bremswirkungen abgelöst, die von den staatlichen Sparbemühungen ausgehen. Folglich sollte das BIP-Wachstum auch in den kommenden Jahren nur wenig über 2,0% liegen.
Mangelnde Planungssicherheit
Die Aussicht auf einen länger anhaltenden direkten fiskalischen Gegenwind, der unmittelbar aus der Reduktion des Haushaltsdefizits resultiert, ist für sich genommen schon problematisch. Hinzu kommt aber auch noch die wachsende Ungewissheit, auf welche Art und Weise die hohen Defizite tatsächlich abgebaut werden sollen. Die unseren Modellrechnungen zugrunde gelegten Zahlen basieren auf einem rein hypothetischen Szenario des CBO. Die massgeblichen politischen Gremien – also das Weisse Haus und der Kongress – sind dagegen bis zuletzt einen glaubhaften Plan schuldig geblieben, wie die ausufernde Staatsschuld in den Griff zu bekommen ist. Erinnert sei hier nur an das Scheitern des oben bereits erwähnten »Supercommittees« im Herbst letzten Jahres. Für Unternehmen und Haushalte nimmt folglich mit fortschreitender Zeit die Unsicherheit immer weiter zu, welche Steuererhöhungen bzw. Staatsausgabenkürzungen künftig auf sie zukommen werden. Als Konsequenz daraus dürften Investitionsprojekte und Neueinstellungen noch zögerlicher vorgenommen werden als ohne diesen Unsicherheitsfaktor.
Risiko Bonitätsverlust
Bis zuletzt sahen sich die USA in der komfortablen Situation, dass trotz emporschnellender Verschuldung die Zahlungsfähigkeit des Staates nicht infrage gestellt wurde. Anders als bei den hochverschuldeten Staaten der Eurozone bewegten sich beispielsweise die CDS-Prämien US-amerikanischer Staatsanleihen in den letzten drei Jahren tendenziell seitwärts. Gleichzeitig sanken die Treasury-Renditen auf immer neue Tiefststände.
Die Tatsache, dass die Zahlungsfähigkeit des US-Staates bislang nicht grundsätzlich angezweifelt wurde, bedeutet aber nicht, dass das immer so bleiben muss. Blickt man auf die bislang allesamt gescheiterten Vorhaben, einen Fahrplan für eine langfristige Haushaltskonsolidierung zu beschliessen, ist Skepsis angebracht, ob solch ein Kraftakt künftig gelingen wird. Werden die notwendigen, unbequemen Entscheidungen aber immer nur kurzfristig auf die Zukunft verschoben – wie bisher – wächst das Risiko, dass auch die Finanzmärkte eines Tages daran zweifeln, ob der US-Staat langfristig seine Verbindlichkeiten bedienen wird. Die Folge wäre ein massiver Vertrauensverlust in den US-Dollar, verbunden mit kräftig steigenden Renditen. Wie schnell sich in solch einer Situation die Lage zuspitzen kann und wie sehr die Realwirtschaft darunter leiden würde, wird uns gerade in den Krisenländern der Eurozone plastisch vor Augen geführt.
Fazit
Man kann es drehen und wenden wie man will – die hohe und weiter ansteigende Staatsverschuldung in den USA lastet zunehmend auf den Wachstumsperspektiven der weltweit grössten Volkswirtschaft. Mit der zum Jahresende drohenden »fiscal cliff« rückt die Problematik gegenwärtig in den Fokus der Betrachtung, weil das reale Risiko besteht, dass befristete Steuererhöhungen nun endlich auslaufen und geplante Ausgabenkürzungen tatsächlich zum Tragen kommen. Die US-Wirtschaft würde in der Folge wegen des massiven Kaufkraftentzugs unweigerlich in eine Rezession stürzen.
Wir halten dieses Szenario zwar für unwahrscheinlich und rechnen stattdessen nach der Präsidentschafts- und Kongresswahl am 6. November mit einem Gegensteuern der politisch Verantwortlichen. Der kurzfristige Bremseffekt sollte daher vergleichsweise moderat ausfallen. Das grundsätzliche Problem der hohen Staatsverschuldung wird damit indes nicht gelöst, sondern sogar noch verschärft. Problematisch ist vor allem, dass die notwendigen unbequemen Entscheidungen erneut in die Zukunft verschoben werden, was die langfristigen Konjunkturperspektiven zunehmend belasten sollte.
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