23.10.2024, 11164 Zeichen
Wien (OTS) - Das erste Nachhaltigkeitssymposium der Ãsterreichischen
Gesellschaft
für Nachhaltige Immobilienwirtschaft legte den Fokus auf die Praxis.
Im Zentrum stand die Präsentation von Lösungsansätzen und Forderungen
an Gesellschaft und Politik in den Bereichen Kreislaufwirtschaft,
Digitalisierung sowie Städte und Gemeinden, mit dem Schwerpunkt auf
der Umsetzung einer nachhaltigen Bau- und Immobilienwirtschaft. Als
Stargast fungierte Cate Blanchett.
Der elegante Festsaal der Hofburg war in tiefes Blau und Grün
getaucht, als die Eröffnungsmusik den Beginn des Symposiums
ankündigte. Sichtlich ergriffen betraten, nach der Moderatorin Mari
Lang, ÃGNI Präsident Andreas Köttl und ÃGNI Geschäftsführer Peter
Engert die Bühne. Wie es sich für eine Veranstaltung gehört, in deren
Mittelpunkt die Praxis und die Anwendbarkeit von Lösungen stehen,
ging es danach sogleich in medias res.
KREISLAUFWIRTSCHAFT - DER KODAK-MOMENT
Eigentlich spricht man ja ungern über Negativbeispiele - aber dennoch
bringt Walter Senk bei der Präsentation der ersten Arbeitsgruppe den
Namen Kodak ins Spiel, das Unternehmen, das eigentlich in der Pole-
Position gewesen wäre und doch den Schritt von der Analogfotografie
hin zur Digitalisierung verpasst hat. Das dürfe der Immobilienbranche
nicht passieren, betont man - und: Der Kodak-Moment ist jetzt. âHeute
können wir gestalten. Morgen müssen wir Entscheidungen treffen, damit
wir übermorgen davon profitieren könnenâ, stellt
Arbeitsgruppenteilnehmerin und Co-Präsentatorin Sarah Dungs (
Greyfield Group) fest, âwir wissen, dass unsere Ressourcen zur Neige
gehen, wir kennen sogar unser CO2-Budget - und doch beharren noch
viele auf veralteten Strategien.â Als Erstes müsse man sich selbst
bei der Nase nehmen, so die Präsentator:innen. Aber im nächsten
Schritt ist ein staatliches Regulatorium unumgänglich. Es muss die
gesamte Wertschöpfungskette neu gedacht, und Produkte und Prozesse
geschaffen werden, die kreislauffähig sind. âUnsere Wirtschaft ist zu
kleinteiligâ, so das Urteil. Ansprechen müsse man einerseits den
Nachwuchs, weswegen das Denken in Kreisläufen dringend in Aus- und
Weiterbildungsangeboten verankert werden müsse - andererseits gelte
es nun, die Entscheidungsträger:innen und Führungsebenen ins Boot zu
holen.
DIGITALISIERUNG - WIE EIN VERKEHRSSYSTEM
Von Post-its und vollgeschriebenen Tafeln erzählt
Arbeitsgruppenleiter Heimo Rollett am Beginn der zweiten
Präsentation. Der Clou: All das wurde digital gesammelt und
beschriftet. Denn: âDie Digitalisierung müssen wir als Tool begreifen
und nicht als Selbstzweck.â Valide Daten sind die Grundlage für die
Umsetzung nachhaltiger Immobilienprojekte - sowohl im Bau, im Betrieb
als auch bei der Nutzung von Gebäuden als Ressourcen- und
Materiallager. Voraussetzung dafür sind Standardisierung und
Kategorisierung von Daten. Co-Präsentator und
Arbeitsgruppenteilnehmer Michael Haugeneder (ATP sustain) vergleicht
es mit dem StraÃenverkehr: âDamit wir alle sinnvoll und sicher darin
agieren können, braucht es bestimmte Voraussetzungen und ein
einheitliches Regelwerk - ein Auto mit Pickerl, einen Fahrer mit
Führerschein und eine StraÃenverkehrsordnung.â Nur mit klaren
Spielregeln - auch was die Datensicherheit angeht - kann die noch
immer groÃe Technologieskepsis überwunden werden. Teil solcher
Spielregeln sei es, auch einen Mehrwert für Datenlieferant:innen zu
schaffen, ebenso wie eine rechtssichere Datengrundlage, so Rollett:
âDie Datengeber:innen müssen die Qualität sicherstellen - damit aber
auch das Recht erwirken, Informationen zu erhalten und Lehren aus den
gesammelten Daten zu ziehen.â
Auch konkrete Beispiele und Forderungen wurden vorgestellt - darunter
eine digitale Fertigstellungsmeldung oder ein vereinheitlichter CO2-
Ausweis, der alle 10 Jahre aktualisiert werden müsse. Um eine
ökonomische Komponente hinzuzufügen, müsse in diesem System auch ein
Schattenpreis zugewiesen werden. Bei den Betriebsdaten sei es
wichtig, mit aggregierten Daten zu arbeiten, also nicht
heruntergebrochen auf die Nutzer:innen, sondern auf die jeweilige
Liegenschaft. Nach dem Motto âTrain the Trainerâ sei es gerade bei
den Bildungsangeboten nicht nur wichtig, den Nachwuchs
digitalisierungsfit zu machen, sondern auch und vor allem die
Lehrenden. Aus- und Weiterbildungsangebote müssten möglichst
niederschwellig sein.
STÃDTE UND GEMEINDEN - AUF DEM BODEN DER NACHHALTIGKEIT
Wir alle haben noch die Bilder der kürzlichen Flutkatastrophe vor
Augen. Nicht nur sind solche Extremwetterereignisse Folgen des
Klimawandels, ihre extremen Auswirkungen sind eng verbunden mit der
Bodenversiegelung, erklären Michael Neubauer und Silke Thor (moderne
stadt GmbH) bei der Präsentation der dritten
Arbeitsgruppenergebnisse. âÃsterreich ist Europameister im Verbrauch
von fruchtbarem Grund und Bodenâ, so Neubauer, und Thor setzt fort:
âDabei sind unsere Böden unsere Lebensgrundlage, sie sind
Retentionsraum und Versickerungsflächen. Sie sind wesentlich für
unsere Ernährungssicherheit und fungieren auÃerdem als CO2-Speicher.â
Man müsse einerseits ein nationales Raumplanungsgesetz schaffen,
erklären die Präsentator:innen, andererseits die Städte und Gemeinden
in die Pflicht nehmen, den Bodenverbrauch zu steuern. Zunächst sind
Nachverdichtung, Revitalisierung und Flächenkreisläufe zu forcieren.
Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft oder abgeklärt sind, darf
es an die grüne Wiese gehen. Und auch dafür braucht es strenge
Vorgaben, was Effizienz angeht - als Beispiel nennt Thor
Mehrfachnutzungen. Wesentlich für all das ist es, nicht nur
Verantwortung festzulegen, sondern auch Kompetenzen zu klären, vor
allem auf kommunaler Ebene, denn ânur die Stadt oder Gemeinde selbst
weià wirklich, was sie braucht und wie die individuellen
Rahmenbedingungen sindâ, so Thor. Am Anfang sei eine
Qualifizierungsoffensive wichtig. Alle Beteiligten müssen ins Boot
geholt und befähigt werden, komplexe Entscheidungen zu treffen.
Internationaler und interkommunaler Austausch ist dafür unabdingbar.
MaÃnahmen wie Entsiegelung, Verschattung, Schwammstadt-Prinzip und
Ãhnliches wurden hier genannt, aber auch soziale Faktoren müssten
berücksichtigt werden. SchlieÃlich: âNur durch die
Anpassungsfähigkeit der Kommunen wird eine ökonomische Wertstabilität
gesichert.â, so die Präsentator:innen.
CATE BLANCHETT: âKREATIVITÃT IST DIE KEHRSEITE DER ZERSTÃRUNGâ
Im Anschluss an die Präsentationen trat Stargast Cate Blanchett auf
die Bühne. In ihrem Gespräch mit Moderatorin Mari Lang setzte sie
ebenfalls einen eindeutigen Fokus auf Lösungen anstatt auf Problemen.
Für mindestens drei Staffeln ihres neuen Audible-Podcasts Climate of
Change hätte sie genügend Material, so viele Ideen und Ansätze gebe
es, erzählt die gebürtige Australierin. Darunter Lösungen für
Probleme, die uns oftmals gar nicht bewusst seien, so Blanchett, und
gibt ein Beispiel: âWenn wir über Elektromobilität sprechen, denken
wir bei den Herausforderungen meist an die Batterien. Aber auch der
Abrieb von Reifen ist ein riesiges Problem - dabei entsteht ein
feiner Staub aus Mikroplastikpartikeln, den wir einatmen und der Luft
und Wasser verschmutzt. Nun hat ein Unternehmen einen Reifen
entwickelt, der wesentlich länger hält und viel weniger Abrieb hat.â
Leider sind Regulatorien und Gesetzgebungen immer hinterher - aber
wir als Konsument:innen haben über unser Konsumverhalten Einfluss..
Ein naheliegendes Beispiel ist die Modeindustrie, aber auch der
Gebäudesektor: âIch selbst lebe in GroÃbritannien, dort hat sich in
den letzten Jahren sehr viel getan - und ich glaube, ein wesentlicher
Einfluss dafür sind die europäischen Standards. Viele Freunde von mir
orientieren sich an der EU, wenn es um den Bau von Häusern geht.â
DAS WHARF THEATER
In ihrer Rolle als Künstlerische Leiterin initiierte und begleitete
Blanchett mit ihrem Ehemann Andrew Upton den Umbau des Wharf
Theaters, ein denkmalgeschütztes Gebäude im Hafen von Sydney. Erbaut
zwischen 1829 und 1919 als Teil des Industriehafens, wurde das
Gebäude am Beginn der 80er Jahre revitalisiert und beherbergt seitdem
die Sydney Theatre Company. In diesem Sinne sei das Gebäude schon vor
ihrem Zutun durch diese Nachnutzung ein Beispiel für Nachhaltigkeit
gewesen. Das Ziel von Blanchett und Upton bei ihrem Einstieg 2008 war
es gewesen, auch die Umgebung zu beleben: âWir wollten das Viertel
aktivieren, denn um das Gebiet herum entstand ein neuer Stadtteil,
und das Theater sollte sich in die Umgebung einfügen und eine Art
Mikroökonomie hervorbringen.â Gleichzeitig sollte das Theater eine
positive Assoziation mit Nachhaltigkeit fördern: âDas Theater ist ein
Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um sich selbst zu vergessen und
unterhalten zu werden. Und wir sind der Meinung, dass, wenn wir
unseren CO2-FuÃabdruck auf nahezu Null reduzieren, die Menschen einen
Diskurs über Nachhaltigkeit führen können, der von positiven
Assoziationen geprägt ist.â 18 Monate dauerte der Umbau. Und man habe
die Erfahrung gemacht, durch die NachhaltigkeitsmaÃnahmen auch neue
Publikumsschichten angesprochen zu haben: âPlötzlich kamen viele
Wissenschafter:innen ins Theater und wir waren wieder relevant.â
Zwischen dem Schutz von historischer Substanz und der Implementierung
von nachhaltigen Technologien sieht Blanchett keinen Widerspruch:
âBeim Erhalt der Historie geht es stark um Ãsthetik - zahlreiche
NachhaltigkeitsmaÃnahmen können aber völlig unsichtbar umgesetzt
werden. Letztlich ist es wichtig, dass Gebäude dynamische, lebendige
Räume bleiben, die den Menschen einen Mehrwert bieten. Wir brauchen
keine perfekt erhaltenen historischen Gebäude, die letztlich wie
Mausoleen und Denkmäler wirken. Was Gebäude schön macht, sind die
Menschen, die sie nutzen.â
ÃBER DAS ÃGNI SYMPOSIUM
Am 17. Oktober 2024 veranstaltete die Ãsterreichische Gesellschaft
für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÃGNI) zum ersten Mal in ihrer
Geschichte ein Symposium zu Nachhaltigkeit in der in der Wiener
Hofburg. Expert:innen aus der gesamten DACH (Deutschland-Ãsterreich-
Schweiz) - Region haben zu ausgewählten Themenbereichen
praxistaugliche Lösungsansätze entwickelt: Kreislaufwirtschaft,
Digitalisierung sowie der Rolle von Städten und Gemeinden in der
nachhaltigen Transformation. Diese Ansätze wurden bei der
Abschlussveranstaltung in der Wiener Hofburg präsentiert.
ÃBER DIE ÃGNI
Die ÃGNI, Ãsterreichische Gesellschaft für Nachhaltige
Immobilienwirtschaft, ist eine NGO (Nichtregierungsorganisation) zur
Etablierung der Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche. Im
Mittelpunkt der Arbeit der ÃGNI steht die Zertifizierung von
nachhaltigen Gebäuden und Quartieren nach dem europäischen
Qualitätszertifikat DGNB. Ziel der ÃGNI ist es, den Mehrwert von
Gebäudezertifizierungen aufzuzeigen, um umwelt- und
ressourcenschonende Gebäude mit hoher wirtschaftlicher und sozialer
Effizienz zu schaffen. Die ÃGNI wurde 2009 gegründet und ist
Kooperationspartner der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges
Bauen) und als einziges österreichisches Council ein âestablished
memberâ des WorldGBC (World Green Building Councils). www.ogni.at
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