22.11.2022, 5574 Zeichen
Die Deutsche Bank blickt in ihrem Kapitalmarktausblick 2023 verhalten optimistisch auf das kommende Jahr. Ist aber für den europäischen Aktienmarkt positiv. Die zu erwartende Rezession in den USA und Europa dürfte moderat ausfallen. Die Inflation wird zwar unter anderem aufgrund der Energiepreise voraussichtlich zunächst hoch bleiben; die Leitzinsen sollten jedoch im Sommer ihren Höchststand erreichen. Aktien bleiben für die Deutsche Bank-Experten aufgrund niedriger Bewertungen bei stabilen Unternehmensgewinnen eine interessante Anlageoption.
Für Anleger ist es eine Herausforderung, Renditen oberhalb der Inflationsrate zu erzielen. "Beunruhigende Faktoren sind weiterhin der Verlauf des Russland-Ukraine-Krieges, die europäische Energieversorgung oder der Handelskonflikt zwischen den USA und China. Es gibt aber auch Chancen", sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. Die Aktienmärkte dürften sich 2023 stabilisieren.
Die Deutsche Bank erwartet mittlere einstellige Renditen an den Aktienmärkten. Die Prognose für den Dax liegt bei 15.000 Punkten zum Jahresende 2023. Den S&P 500 sehen die Experten bei 4.100 Punkten und den Stoxx 600 bei 445 Punkten. Obwohl das kommende Jahr wirtschaftlich etwas schwieriger werden könnte, spricht für die Anlageklasse, dass die Börse der Konjunktur vorausläuft. Daher dürfte bereits eine leichte Rezession eingepreist sein. "Sobald sich eine wirtschaftliche Erholung abzeichnet, sollten die Kurse steigen", so Stephan. "Rücksetzer könnten gute Einstiegschancen bieten." Zyklische Aktien, die heute günstig sind, dürften sich besser entwickeln. "Das hängt unter anderem mit den immensen Investitionen zusammen, die für die grüne Transformation der Wirtschaft notwendig sind", so Stephan. Themen wie Künstliche Intelligenz, Elektromobilität oder Cybersecurity sollten auf der Agenda von Unternehmen stehen.
Vor allem die zurzeit niedrigen Bewertungen sprechen für Aktien. Unternehmensgewinne sind in diesem Jahr teilweise deutlich gestiegen, Aktienkurse jedoch stark gefallen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den amerikanischen S&P 500 ist von 22,7 auf aktuell 16,5 und für den Stoxx Europe 600 von 17,7 auf 11,3 gefallen. "Vor allem europäische Aktien sind wieder günstig", erklärt der Chefanlagestratege. Deshalb würden die Experten der Deutschen Bank europäische Aktien übergewichten; den US-Aktienmarkt würden sie dagegen neutral halten. Für eine Übergewichtung Europas spricht neben den niedrigen Bewertungen auch die Entwicklung der Gewinne. Sie mussten in diesem Jahr immer wieder nach oben revidiert werden. Die Kurse spiegelten das jedoch nicht wider. Profitieren sollten europäische Titel auch von der Erholung in China, wo 2023 ein stärkeres Wachstum erwartet wird. Allerdings birgt die hohe Exportabhängigkeit europäischer Unternehmen auch ein Risiko; so könnte der Wettlauf um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China für sie zu einer Belastung werden.
Chancen sieht Stephan nach dem Ausverkauf der vergangenen Monate in Asien - in China, Korea und Taiwan seien die Bewertungsrückschläge hoch. Diese Märkte sollten von einer Erholung profitieren. Indiens Aktienmarkt hat sich vergleichsweise gut gehalten. Das KGV ist mit 20 noch immer hoch. Allerdings ist Indien auch die am stärksten wachsende Volkswirtschaft der Welt: Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2023 ein Wachstum von 6 Prozent.
Einige Sektoren, in denen die Gewinne in wirtschaftlich schwachen Phasen üblicherweise stark einbrechen, dürften gut durch die Rezession kommen. Banken, zum Beispiel, profitieren vom veränderten Zinsumfeld. Die Energie- und die Grundstoffbranche sowie der Bergbau, die bislang in Rezessionen Einbußen erlitten, sollten aufgrund der hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie der starken Nachfrage ebenfalls gut durch den Abschwung kommen. Öffentliche und private Investitionen werden vor allem in Infrastrukturprojekte fließen. Die USA, die Europäische Union, China und weitere Länder haben entsprechende Programme auf den Weg gebracht. Damit werden Unternehmen, die in den entsprechenden Branchen aktiv sind, für Anleger interessant. Bei den Projekten geht es um den Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbare Energien, um Stromnetze, Wasser und Transportwege, darunter auch Straßen und Häfen.
Die Zeit günstiger Energie dürfte erst einmal vorbei sein. Die Deutsche Bank erwartet für die europäische Sorte Brent Preise von rund 100 Dollar pro Barrel; für die amerikanische Sorte WTI dürfte der Preis etwas darunter liegen. Auch Gas, dessen Preis sich in den vergangenen Wochen recht stabil bei knapp über 100 Euro pro Megawattstunde eingependelt hat, bleibt teuer. "Die Energiekrise bietet für einige Industrien aber auch Chancen", sagt Schattenberg. Sie sei ein Treiber für die Grüne Transformation der Wirtschaft. Auch bei Industriemetallen dürfte das Preisniveau mittelfristig hoch bleiben. Hier treibt der wirtschaftliche Wandel zu mehr Nachhaltigkeit die Kurse.
Gold gilt zwar als "sicherer Hafen" und dient der Diversifikation eines Portfolios, doch zuletzt haben die Zinsanhebungen und der damit verbundene Anstieg der Renditen für Staatsanleihen den Goldpreis in den USA belastet. Wenn der Zinszyklus im Laufe des Jahres 2023 wie erwartet endet und für 2024 sogar wieder Zinssenkungen in Aussicht stehen, dürften auch die Goldpreise moderat steigen. "Gegen ein Investment sprechen jedoch ein schwächerer Dollar und die Opportunitätskosten", so Stephan. "Aber ein gewisser Anteil Gold kann in geopolitischen Krisenzeiten sinnvoll sein."
ABC Audio Business Chart #132: Ist die Zeit der Magnificent 7 vorbei? (Josef Obergantschnig)
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