07.02.2021, 10776 Zeichen
Das brutale Auf und Ab rund um GameStop und einige weitere in Ungnade gefallene Aktien ist für erfahrene Börsianer nicht gerade neu. Zumindest in den Grundzügen. Schon in den späten 1990er Jahren wurden im Internet angeregt Meinungen über Aktien ausgetauscht. Das Reddit der damaligen Zeit waren die Message Boards bei Yahoo.
Und auch die Phänomene der Short Squeezes und des Market Cornering sind nicht gerade neue Manöver. Das waren sie nicht einmal, als im Jahr 1983 der Film Die Glücksritter (mit Dan Aykryod und Eddie Murphy) in die Kinos kam. Im Original heißt der Kassenschlager über die fiktiven Wertpapierbetrüger Randolph und Mortimer Duke übrigens Trading Places, was ein schlaues Wortspiel ist. Doch wir schweifen ab.
Denn obwohl die ganze GameStop-Thematik in ihrer grundsätzlichen Charateristik nicht gerade neu ist: Die letzten Tage und Wochen waren selbst für erfahrene Anleger durchaus interessant.
Ein explosiver Mix
Denn wenn man ehrlich ist, bewegt man sich als Mensch mit einschlägiger Neigung zur Welt der Finanzen ja in einer Bubble. Jahre und Jahrzehntelang studiert man Finanzbücher, baut sich ein möglichst kosteneffizientes Portfolio auf, grübelt über die Auswirkung diverser Steuerregelungen und so weiter.
Und dann ist man plötzlich mit einer Melange aus aufrichtigem Zorn und fröhlichen Anarchismus konfrontiert, die ihres gleichen Sucht. Die meisten Neu-Trader wollen nicht nur ordentlich Kasse machen, sondern auch ein System zu Fall bringen, das sie als korrupt und manipulativ erachten.
Auf den ersten Blick nicht gerade zu Unrecht. Schließlich ist es wahr. Das Wort Gier ist an der Wall Street bestens bekannt. Und dennoch ist das (wenn überhaupt) nur die halbe Wahrheit. Warum?
Wohlstands-Booster Börse
Vor allem der US-amerikanische Aktienmarkt hat ganz normalen Menschen gleichzeitig einen Pfad geboten Wohlstand aufzubauen. Gerade für die letzte Generation war sogar noch mehr als das möglich.
Es ist also gar nicht notwendig das System in Brand zu setzen. Viel attraktiver ist es, den faulsten und einfachsten Ansatz für Investitionen in Aktien zu wählen, den man sich nur vorstellen kann. Und ein wenig Geduld mitzubringen.
Vor rund 45 Jahren hat Vanguard seinen Indexfonds auf den S&P 500 auf den Weg gebracht. Seither konnten Menschen (steuer-effizient) in einen breit gestreuten Aktienindex investieren. Und das zu absolut überschaubaren Kosten. Oder anders ausgedrückt: Auch dem kleinen Mann (oder der kleinen Frau) mit niedrigem Einkommen war es plötzlich möglich, sich mit minimalen Beträgen an der Wertschöpfung hunderter führender Unternehmen zu beteiligen. Den Rest erledigten die besten Manager der Welt und ihre Millionen von Mitarbeitern.
Auch das schlechteste Timing brachte Rendite satt
Wer investiert hat, wurde reichlich belohnt. Selbst, wenn das Timing eine Katastrophe war. Wer beispielsweise im März 2000 (dem absoluten Hoch der Dot-Com-Blase) unerwartet zu 10.000 US-Dollar gekommen ist und diese dann investiert hätte, wäre gut ausgestiegen. Und das trotz dieses katastrophalen Timings.
Hätte man das Geld also in einen kostengünstigen Indexfonds auf den S&P 500 investiert – und die Ausschüttungen stets reinvestiert – hätte man in den letzten 20 Jahren aus diesen 10.000 US-Dollar stolze 28.000 US-Dollar gemacht. Das entspricht 5 Prozent Rendite pro Jahr. Und das nach Abzug der Inflation.
Und nicht vergessen: Der März 2000 war der absolut schlechtest mögliche Zeitpunkt in Jahrzehnten, um mit dem Investieren anzufangen. Das zeigen auch folgende Zahlen: Schaut man sich sämtliche Zeiträume zwischen 1990 und 2019 an, zu denen man mit dem Investieren hätte beginnen können, liegt die durchschnittlich erzielte Rendite bis Januar 2021 bei 9,8 Prozent. Wieder nach Berücksichtigung der Inflation, jedoch ohne Einrechnung der ohnehin geringen Kosten bzw. allfälliger Steuern.
Doch es wird noch besser. Denn die meisten Menschen kommen nicht per Zufall (wie in unserem obigen Beispiel) zu 10.000 Dollar. Vielmehr investieren sie regelmäßig kleinere Beträge.
Der Cost-Average-Effekt zeigt Wirkung
Stellen wir uns vor, dass wir Anfang 2000 mit dem Investieren angefangen hätten. Und zwar 100 Dollar pro Monat. Der Zeitpunkt liegt erneut nur wenige Monate vor dem Platzen der Dot-Com-Blase. Nehmen wir weiters an, dass wir das mit den 100 Dollar stur durchgehalten hätten. Den Sparbetrag haben wir dabei jährlich um die Inflation nach oben angepasst, in einen günstigen S&P 500 Indexfonds investiert und die Dividenden reinvestiert.
Im Laufe der letzten 21 Jahre hätte man rund 32.500 US-Dollar (wie erwähnt: die 100 Euro wurden Jahr für Jahr inflationsangepasst) einbezahlt.
Die Investition wäre bis Ende Januar 2021 jedoch auf mehr als 103.000 US-Dollar angewachsen.
Das entspricht einer jährliche Rendite von 10,5 Prozent. Wie kommt diese Zustande? Während einige Einzahlungen in der Nähe von Hochs (teuer) erfolgt sind, wurden dank des Langsam-Aber-Stetig-Ansatzes auch viele Zukäufe in Zeiten durchgeführt, als der Markt gerade durch Tiefs ging. Etwa in den Jahren 2002 oder 2009. Ein praktisches Beispiel für den Cost Average Effekt – und wann er am besten funktioniert.
Wir sind John C. Bogles Erben
Noch in den 1970er Jahren wäre diese Strategie zugegebenermaßen schwierig umzusetzen gewesen. Denn das Konzept der Indexfonds wurde von John C. Bogle und Vanguard erst im Jahr 1976 umgesetzt. Investmentfonds waren in der Vergangenheit deutlich teurer als Indexfonds und ETFs dies heute sind. Viele unterschiedliche Aktie zu kaufen, wäre schon alleine wegen der hohen Kosten für den Broker für kleine Beträge unmöglich umzusetzen gewesen.
Auch der Ansatz des Einfach-Den-Index-Kaufen wurde erst in den letzten Jahrzehnten so richtig populär. Akademische Finanz-Studien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten viele Erkenntnisse über die Effizienz von Märkten. Zusammengefasst sagen diese aus, dass die beste langfristige Investmentstrategie für die meisten Menschen ist, in den Gesamtmarkt zu investieren. Und zwar kosten- und steuereffizient.
Finanzberater machten sich diese Erkenntnisse zu Nutze, passten sie jedoch um die individuellen Risikopräferenzen ihrer Klienten an. Deshalb wurde ein Teil des Portfolios in (vermeintlich) weniger riskante Anleihen investiert.
Das Resultat:
In den letzten Jahrzehnten war es selbst kleinen Investoren möglich die Erkenntnisse aus zahlreichen Studien auch in der Praxis umzusetzen.
Die Jungs von r/wallstreetbets haben den falschen Feind
Sollte der Markt also manipuliert sein, dann ist er so manipuliert, dass Menschen eine beträchtliche Rendite für ihr Geld erzielen können. Selbst – oder gerade – wenn sie ihre Zeit mit Fernsehen, Golf spielen oder einem Mittagsschläfchen verbringen, statt all ihre Freizeit in Internetforen zu verbringen, ausgefeilte Theorien zu spinnen, wie man sich an perfiden Hedgefonds rächen könnte, oder zu lernen, was das Gamma bei Optionen bedeutet.
Am besten man stellt sich einfach Corporate America – also die hunderten großen Unternehmen, in die man investiert – als Sport-Verein vor…
Die Börse als Sport-Verein
Es gibt Menschen, die versuchen Geld zu verdienen, indem sie auf oder gegen den Verein wetten. Sie können sich viel Mühe dabei geben, um die akkuraten Gewinnchancen zu berechnen und ab und zu können sie gewisse auch große Gewinne aus kleinen Einsätzen erzielen. Die allerbesten ihres Fachs werden sogar in der Lage sein so oft zu gewinnen, dass sie davon leben können.
Unter dem Strich ist das System allerdings ein Null-Summen-Spiel. Wenn man noch den Anteil berücksichtigt, denn die Wettanbieter einstreifen, handelt es sich um ein Spiel bei dem die meisten Teilnehmer verlieren (müssen).
Wer also versucht ein Vermögen zu machen, in dem er auf Sportwetten setzt, wird zu der Erkenntnis kommen, dass das System gegen einen arbeitet. Und genauso ist es auch. Denn die beständigen Gewinner werden jene höchstqualifizierten Sportwetter sein, die schon lange davon leben. Und natürlich das Casino, das sich an jedem Pot beteiligt.
Bleibt man nun bei dieser Analogie, dann sind die vermögensjagenden Newcomer jene Leute, die in den letzten Monaten mit Optionen auf GameStop und andere Aktien gesetzt haben.
Dann gibt es natürlich auch Personen, die hart daran arbeiten, dass der Sport-Verein funktioniert. Das Management des Vereins, die Trainer, die Spieler. Sie alle investieren unzählige Stunden, um den Verein erfolgreich zu machen. Ein Teil ihrer Gehälter ist erfolgsabhängig, aber der Großteil erfolgt als Entschädigung für die geleistete Arbeit. Natürlich können die Gehälter großzügig sein. Aber nur wenige Menschen taugen zum Spitzensport und sind bereit die damit einhergehenden Entbehrungen in Kauf zu nehmen.
Passive Eigentümer profitieren
Diese Menschen stellen das Äquivalent zu den Managern und Mitarbeiter der börsennotierten Unternehmen dar.
Und dann gibt es noch die passiven Eigentümer der Sport-Vereine. Zum Beispiel jene Eigentümer eines Minderheitenanteils, der nicht einmal bei der Personalauswahl mithelfen muss. Andere Menschen kümmern sich darum.
Diese Eigentümer genießen ausschließlich die Vorteile der jährlichen Gewinne.
Natürlich ist auch das nicht ohne Risiko. Ein Sport-Verein könnte einen überbezahlten Spieler unter Vertrag nehmen. Oder die Ticket-Einnahmen brechen wegen einer Pandemie völlig ein. Doch wenn sie geduldig sind, wird sich ihr Investment unweigerlich auszahlen. Und das gilt auch dann, wenn sie ihre Zeit nicht mit Gegneranalysen oder anderen taktischen Kniffen verbringen.
Eine Einladung ohne Hintergedanken
Es gibt keine Garantien im Leben. Manche Menschen, die aggressiv Meme-Aktien traden, werden vermutlich erhebliche Gewinne nach Hause bringen. Indexfonds können nicht die (Über-Nacht-)Returns liefern, nach denen Käufer von GameStop Optionen suchen. Und vielleicht bringen die kommenden Jahrzehnte nicht jene Renditen, die man in Vergangenheit gesehen hat.
Die außergewöhnlichen Vorteile von passiven Anlegern sind dennoch nicht zu übersehen. Wenn ihnen ein kostenloses Mittagessen (in der Finanzsprache auch “free lunch”) angeboten wird – also die vernünftige Erwartung guter Renditen ohne jeglichen Aufwand und zu moderaten Risiken – dann ist es sinnvoll es zu verspeisen.
PS: Ich habe mich bei diesem Artikel einigermaßen eng an einem Artikel von Neil Irwin in der NY Times orientiert, den ich untenstehend natürlich markiert habe. Ich habe ein mehreren Teilen meine Meinung eingefügt und natürlich relativ frei ins Deutsche übersetzt.
Quelle:
https://www.nytimes.com/2021/02/04/upshot/stock-market-winning-strategy.html
Der Beitrag Der große Denkfehler der GameStop Zocker erschien zuerst auf Michael Plos - Finanzbildung, Sparen und Investieren.
Im Original hier erschienen: Der große Denkfehler der GameStop Zocker
Börsepeople im Podcast S16/16: Paul Zödi
GameStop Letzter SK: 0.00 ( 5.94%)
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