16.03.2020, 4120 Zeichen
Sonntag, 15. März 2020, Hausarrest Tag 1
Liebes Tagebuch!
Ich gebe es zu, ich war ein wildes Mädchen. Ich weiß, was Hausarrest bedeutet. Es geht sogar noch eine Stufe weiter: ich weiß, wie es sich anfühlt, das Zimmer nicht verlassen zu dürfen.
Damals, in den wilden 1980er Jahren, war das noch ein gängiges schwarz-pädagogisches Mittel der Wahl: ich habe gelegentlich Hausarrest ausgefasst – über die vielfältigen Gründe breitet sich gnädig der Mantel des Vergessens.
Das war natürlich nicht schön, auch – und besonders – weil es (gefühlt) meistens nur mich betroffen hat. Die anderen sind durch die Lokale gezogen und haben Party gemacht.
Wir haben ja nichts gehabt, damals…..
Zu den Rahmenbedingungen: Ich bin in einer niederösterreichischen Kleinstadt aufgewachsen, dort wo sich die Nachteile von Stadt und Land vereinigen: mit klapprigen Autos sind wir von einer Dorf-Disco zur nächsten gefahren.
Im Rückblick wundert man sich, wie man seine Jugend überleben konnte. Eventuell haben die fallweisen Hausarreste zur Überlebenswahrscheinlichkeit beigetragen.
Heute ist es anders: alle sind zuhause, die Party findet einfach nicht mehr statt.
Mir wurde auch oft das Taschengeld gestrichen. Das kenne ich also auch, wenn der Geldhahn einfach plötzlich zugedreht wird. Sehr unangenehm. So in etwa fühlt es sich gerade eben auch an, wo ich in einen nahezu leeren Terminkalender blicke. Alle Coachings, Beratungen, Workshops – alles auf unbestimmte Zeit verschoben.
Das neue Biedermeier.
Damals habe ich mich sehr ausgeliefert gefühlt: einer übergroßen Macht, die mich fast völlig in der Hand hat. Das ist heute anders. Obwohl ich meinen Widersacher heute – den (oder das?) Virus – weniger kenne als meine Widersacher damals – meine um Wahrung von Kultur und Sitte bemühten Eltern – fühle ich mich heute deutlich weniger ausgeliefert.
Das hat wahrscheinlich vielfältige Gründe. Einerseits könnt’s doch am Alter liegen, andererseits fühle ich mich sehr gut informiert. Fast so, als könnte ich selbst die Situation kontrollieren. (klassisch: Kontroll-Illusion.)
Es scheint mir fast so, als wäre es meine eigene Entscheidung, zu Hause zu bleiben. Als wäre es ein neuer Trend, unser aller liebste Entscheidung, sowas wie ein neues Biedermeier zu kreieren.
Tag 1 des Hausarrests fällt just auf den Tag 1 nach meiner Saft-Tee-Fasten-Kur. Ich habe 10 Tage gefastet, bin fit wie ein Turnschuh und mein – von Haus aus gutes Immunsystem ist noch mehr gestärkt. Ich fühle mich sicher vor dem Virus, ich bin noch unkaputtbarer, als ich es ohnehin schon bin.
Und ich ziehe eine wunderbare Bilanz von Tag 1. Es ist fast so, als hätte mir der (oder das?) Virus einen enfach einen schönen Tag geschenkt. Ich habe heute viel erledigt:
- den Vorratsschrank neu geordnet (notwendig nach dem mittelmäßigen Hamsterkaufrausch)
- uns auf eine 3köpfige Home-Office-Phase vorbereitet und eine größere Internet-Bandbreite bestellt
- meiner 93jährigen Großtante telefonisch ein bisschen die Angst genommen
- im Innenhof ein sonniges Schwätzchen mit den NachbarInnen im vorgesehenen Sicherheitsabstand von je 1 Meter abgehalten. (Nach unserer gemeinschaftlichen Definition befindet sich unser Innenhof jeweils bei jeder/m von uns zuhause)
- mit einem ratlosen Freund in USA geskypet
- lang vor mir hergeschobene Updates auf meiner Website endlich erledigt
- mitgemacht bei einer kollektiven Meditation zur Heilung und zum Wohle aller Wesen auf der Welt (dabei habe ich den Virus als Wesen jedoch explizit ausgenommen)
- an einer virtuellen Yogastunde teilgenommen
- mit dem Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben: wahnsinnig lange Zeitung gelesen, Internet und Fernsehnachrichten gejunkt
- ein wunderbares Nach-Fasten-Abendessen gekocht und mit meinen zwei Lieben verspeist
- mich richtig gefreut, dass wir zusammen sind
- einen Alkohol-Fasten-Joker eingelöst und ein wunderbares Glas von meinem Lieblings-Grünen Veltliner genossen. Besondere Zeiten erfordern besondere Mittel!
Seien wir alle miteinander gespannt, wie’s weiter geht.
Bis morgen hier in diesem Blog, stay well, stay tuned!
Alles Liebe Sabina
Foto: Pexels/Pixabay
Der Beitrag Tagebuch in Zeiten der Krise. (Tag 1) erschien zuerst auf Sabina Haas.
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