18.04.2016, 6068 Zeichen
Praxisanleitung Stärken-Analyse
Ich habe in den vergangenen Tagen eine interessante Beobachtung gemacht: es ist mir diesmal in etwa genauso schwer gefallen, diesen Text über „Stärken“ zu schreiben, wie es vielen Menschen schwerfällt, über Ihre Stärken zu reden, beziehungsweise wahrzunehmen, überhaupt welche zu haben.
Im Kontext der Karriereberatung und des Bewerbungscoachings kommt es mit schöner Regelmäßigkeit an diesen Punkt: die lieben Leute stellen mit angsterfülltem Blick die Frage: „Wenn ich im Interview nach meinen Stärken gefragt werde – was sage ich dann?“
Wir reden also über diesen Selbstmarketingprozess, in dem sich Bewerber*innen befinden und die damit einhergehende Unausweichlichkeit, über Ihre Stärken selbstbewusst und authentisch zu reden. „Warum sollte Sie jemand einstellen, wenn nicht mal Sie selbst davon überzeugt sind, Stärken zu haben?“ Ich als Coach nehme mir manchmal heraus, harte, provokante Fragen zu stellen. Aber auch nur deshalb, weil ich meinen Klient*innen unmittelbar auffange und ihnen einen Weg aufzeige, wie sie mit Ihren Stärken (wieder) in Kontakt kommen können.
Für manche ist es tatsächlich das erste Mal in Ihrem Leben, einen strukturierten Prozess vorgeschlagen zu bekommen, wie es gelingt, die eigenen Stärken zu entdecken, sich selbst mit diesem ressourcevollen Gefühl wahrzunehmen und authentisch darüber kommunizieren zu können, sowohl schriftlich als auch verbal.
Im Rahmen meiner Beratungserfahrung habe ich diesen 5-stufigen Stärken-Analyse-Prozess entwickelt, der sich immer wieder sehr bewährt:
- Glaubenssysteme entmachten und Authentizität anstreben
Nicht nur die gelernten Österreicher – und auch nicht nur die Frauen – wachsen mit hinderlichen Glaubenssystemen auf: „Bescheidenheit ist eine Zier“, „wer über seine Stärken redet, ist arrogant“, „ich muss mich noch mehr anstrengen, damit es perfekt wird“, „die anderen können das viel besser“,…. diese Liste lässt sich noch beliebig fortsetzen. Die meisten Leute finden sich da gut wieder oder können auch gleich noch weitere Schmankerl aus der eigenen Sozialisierung hinzufügen. Wir wachsen mit solchen Glaubenssystemen auf, als wären es Wahrheiten. Aber erst dadurch, dass wir sie für wahr halten und uns danach benehmen, schaffen wir diese Realitäten.
Im Coaching ist das Entmachten von hinderlichen Beliefs ein erster wichtiger Schritt. Oftmals gebe ich meinen Klienten den entscheidenden Tipp: „Es ist ja Ihr Kopf; sie können sich ja auch etwas anderes denken!“ Wir kommen also zuerst ins Schmunzeln und dann gilt es, ein positives Zielbild zu entwickeln: sich authentisch und gut in Bezug auf die eigenen Stärken präsentieren zu können – das wollen die meisten.
2. Die eigenen Tätigkeiten und Erfolge analysieren
Im nächsten Schritt geht es um Selbstreflexion über die bisherigen Tätigkeiten, erreichten Erfolge, berufliche oder private erfolgreiche Projekte. An dieser Stelle ist es auch oft erforderlich, dass ich mit einer gewissen Hartnäckigkeit nachbohre, da es manchen Klient*innen schwer fällt, Beispiele aus ihrer eigenen Biografie zu nennen, die sie als „Erfolg“ bzw. „Stärke“ durchgehen lassen wollen. Das Eis bricht dann oft an der Stelle, wo wir Eigenschaften wie Ausdauer, Verlässlichkeit oder das ehrliche Engagement für eine Sache als wichtige persönliche Qualitäten bzw. Stärken identifizieren.
Von hier aus hanteln wir uns weiter vor und im Idealfall hält der/die Klient*in eine Reihe von Erfolgsbeispielen in der Hand, die er/sie in der Form analysiert: Was war die Herausforderung? Was habe ich gemacht? Was war das Ergebnis bzw. der Nutzen meiner Tätigkeit?
3. Interessen und Fähigkeiten betrachten
Die weitere Analyse der Erfolge und Tätigkeiten bringt uns zu der Unterscheidung von Interessen und Fähigkeiten. Nicht alles, was einen interessiert, ist man auch in der Lage zu tun; nicht alles was man gut kann und als Fähigkeiten im Gepäck hat, interessiert einen besonders. Wir können Stärken also durchaus auch so verstehen, dass es sich dabei um die Schnittmenge von Interessen und Fähigkeiten handelt.
4. Stärken „richtig“ wahrnehmen und fühlen lernen
Weiter geht es in der Stärkenanalyse mit einer wichtigen Erfahrung, die oft übersehen wird. Um einen nachhaltigen, positiven Effekt der Stärkenanalyse zu erreichen, ist es notwendig, auch wieder mal (oder überhaupt) in sich rein zu spüren und bewusst die Emotion und das Körpergefühl wahrzunehmen. In diesem ressourcenorientierten Prozess leite ich meine Coachees an, genau wahrzunehmen und nachzuspüren, wie diese Stärke bzw. Fähigkeit, dieser Erfolg im Körper wahrnehmbar ist. Dieser Prozess des Bewusstmachens führt unmittelbar zu einem sehr motivierten und strahlenden Ausdruck, der in Form von Authentizität für einen selbst spürbar und auch für andere wahrnehmbar wird.
5. Die eigene Erfolgsgeschichte bauen und lernen, darüber zu reden
Jede Erfolgsgeschichte besteht aus einzelnen kleinen und größeren Bausteinen: einen kleiner Erfolg wird zum nächsten gereiht. Um den Transfer in den Alltag oder in bestimmte (Bewerbungs-)situationen besser zu schaffen, ermuntere ich meine Coachees dazu, aus all diesen einzelnen Stärken und wahrgenommenen Erfahrungen und Erfolgen ihre individuelle Erfolgsgeschichte zu bauen. Dabei ist das Nachspüren von besonderer Bedeutung. Für manche Menschen ist es auch ein besonderer Lerneffekt, vor dem Spiegel zu trainieren und sich einmal selbst ganz authentisch im eigenen „Strahlen“ wahrzunehmen.
Eingangs habe ich erwähnt, dass es mir recht schwer gefallen ist, diesen Artikel zu schreiben. Nun, wie ist es dann aber doch gelungen? Ich hab meinen eigenen 5-Stufen-Plan angewandt: hab mich an einige meiner guten, mit Leichtigkeit geschriebenen Texte „erinnert“, hab in mich reingespürt und das warme, wohlige Kribbeln wahrgenommen, das immer da ist, wenn ich einen guten Text fertig habe, wenn ich wieder mal innerhalb der Deadline geliefert habe und wenn es positives Feedback gibt. Und während ich noch so gestrahlt habe, hab ich den Text einfach geschrieben.
Der Artikel ist ein Beitrag zur Blogparade zum Thema “Was sind Stärken?” von Svenja Hofert
SportWoche Podcast #118: Wie funktioniert der Tanzsport und welche Disziplinen gibt es, Gerhard Massenbauer?
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