07.09.2015, 3685 Zeichen
Oft ist es hilfreich, die Welt aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Wenn Sie vor einem interessanten Gebäude stehen, treten Sie ja auch manchmal einige Schritte zurück, um einen besseren Überblick über die Gesamtwirkung zu erhalten, gehen herum, um auch die Rückseite zu erkunden und betreten nach Möglichkeit auch das Innere. Diese Methode empfiehlt sich auch bei einem Blick auf die jüngste Korrektur an den Aktienmärkten. Treten wir erst einmal einige Schritte zurück.
Da sehen wir in der Vergangenheit zahlreiche Korrektur- und Konsolidierungsphasen, die einmal schärfer, einmal milder ausgefallen sind. Manchmal dauerte es nur einige Wochen, bis die Kurse wieder ihre alten Höchststände übertrafen, manchmal einige Monate, und im bisher schlimmsten Fall der jüngeren Börsengeschichte, der Phase nach dem Börsenkrach 1929 und der folgenden Weltwirtschaftskrise, mussten die Anleger 25 Jahre auf einen neuen Rekord des Dow Jones-Industrial-Index warten. Allerdings unterbrach da der zweite Weltkrieg die Erholung, sonst wäre die Baisse wohl schneller ausgestanden gewesen.
Je länger der beobachtete Zeitraum ausfällt, je weiter wir also zurücktreten, um so klarer erkennen wir eine eindeutige Richtung aller Indizes: Die Linien (der Industrieländer-Börsen) gehen klar von links unten nach rechts oben. Dazu tragen nicht zuletzt Phasen wie die aktuelle bei. Niedrigere Kurse bieten neuen Anlegern die Chance und den Anreiz, bei Aktien einzusteigen. Auf diese Weise fließt frisches Geld in die Börse. Aktienkurse steigen, Neuemissionen und Kapitalerhöhungen werden ermutigt, Arbeitsplätze geschaffen.
Volkswirtschaftlich genau so wichtig ist aber die Phase davor – die Phase der Kursverluste. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder von der Gefahr einer drohenden Inflation durch die von den Zentralbanken verursachte Geldflut („Quantitative Easing“) gehört. Von einer Inflation ist derzeit zwar keine Rede – eher dominiert da immer noch die Angst vor dem Gegenteil, der Deflation – doch ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass irgendwann die Dämme brechen und die Inflation weit über die Zielmarke von zwei Prozent hinausschießt. Immerhin pumpt allein die EZB derzeit rund 60 Milliarden Euro monatlich in den Markt.
Die jüngsten Kursverluste haben nun aber wieder zig Milliarden Euro (und Dollar) vernichtet, und zwar nicht nur auf dem Papier: Anleger, die mit Verlust verkauft haben, trugen tatsächlich dazu bei, die Geldmenge zu reduzieren. Aktien zählen definitionsgemäß zwar nicht zu den Geldmengenaggregaten M0 bis M3, doch indirekt haben die Kursverluste diese verringert: Erst wurden Beträge aus M1 oder M2 (Sichteinlagen bzw. Termineinlagen) in Aktienbestände gewechselt, und jeder Anleger, der in den vergangenen Tagen mit Verlust verkauft hat, konnte danach nur noch einen geringeren Betrag als M1 oder M2 wieder veranlagen. Es wurde also tatsächlich Geld vernichtet. Damit erhöht sich aber der Spielraum der Zentralbanken, die Politik des Quantitative Easing fortzusetzen. Zumindest die Gefahr rascher Zinserhöhungen ist damit gegen Null gesunken.
Ein Beitrag von Franz C. Bauer
Franz C. Bauer ist Chefkolumnist des Austria Börsenbriefs
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