31.10.2012,
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Persönliche Notiz aus New York von Peter Brezinschek, Chefanalyst von Raiffeisen Research
Hier einige persönliche Eindrücke eines Hurricane „Sandy“- Augen- und Ohrenzeugens in New York. Die politischen und ökonomischen Auswirkungen stecken noch in den Kinderschuhen.
Entstehung:
Aufgrund der enormen Wassertemperaturen in der Karibik von aktuell über 30 Grad Celsius konnte sich in der vergangenen Woche der mächtigste Wirbelsturm im Nordatlantik seit Wetteraufzeichnung entwickeln. „Sandy“ ist daher, was in der US-Berichterstattung mit keinem Wort erwähnt wird, ein Produkt der Klimaerwärmung. In Verbindung mit einem Kaltlufteinbruch über der Seenplatte und den Appalachen vermischten sich Gefahren von Tropenorkan und Wintersturm.
Ausmaß:
Das Windsystem hatte ein Ausmaß von über 900 Meilen, also rund 1.500 km. Daher wurden seit Freitag, 26.10. rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen getroffen, weil große Teile der Ostküste im Einfluss von „Sandy“ erwartet wurden. Da der Hurricane mit einem Tag Verspätung (Montag 29.10. statt Sonntag) „an Land ging“ wurde rechtzeitig der „State of Emergency“ ausgerufen. Neben Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 km/h und Starkregen galt die größte Sorge Sturmfluten. Drei Meter hohe Wellen in Verbindung mit starkem Sturm vom Meer und natürliche Flut aufgrund des Vollmonds waren für die riesigen Schäden entlang der Atlantikküste von North Carolina bis Massachusetts verantwortlich. Zentrum des „Landfall“ von „Sandy“ war bei Atlantic City (New Jersey), 120 km südlich von New York. Südlich davon (z.B. in Washington) waren enorme Niederschlagsmengen von bis zu 25 – 30 cm für Verwüstungen verantwortlich, nördlich davon (New Jersey, New York) waren es enorme Wassermassen des Atlantiks in Verbindung mit einem Orkan mit Windspitzen von rund 140 km/h. Die Auswirkungen sind bis an die Seen Erie und Michigan (Chicago) spürbar (1.500 km von New York entfernt). Insgesamt sind 60 Mio. Einwohner von „Sandy“ betroffen.
Schäden:
Auch wenn „Sandy“ noch bis Mittwoch, den 31.10. aktiv sein wird, so sind seit Montagabend viele Ausfälle zu beklagen. In weiten Teilen New Jerseys ist die Küste völlig zerstört, die Sandstrände existieren nicht mehr, viele Städte an der Küste sind überflutet, viele Bereiche ohne Strom und Wasser. Derzeit haben 8,5 Mio. Einwohner (EW) keine Strom- oder Gasversorgung, davon 1,8 Mio. in New York, 2,8 Mio. in New Jersey, 1,2 Mio. in Pennsylvania, weitere Hunderttausende in Connecticut und Maryland.
Die Überschwemmungen der Tunnels von Hudson und East River macht Manhattan kaum erreichbar. Die Überflutungen der New Yorker U - Bahn sind die schwersten Schäden seit dem Bau vor 108 Jahren! Die Instandsetzung wird Wochen dauern. Hotels auf Manhattan evakuieren ihre Gäste. Umgestürzte Bäume haben viele Stromleitungen zerstört, in Verbindung mit austretendem Gas sind im New Yorker Stadtteil Queens Brände ausgebrochen, nicht weit von meinem Hotel entfernt.
Neben der Schließung aller öffentlichen Verkehrsmittel, haben auch Bahn und Flughäfen in New York geschlossen. Damit sind im Osten der USA wegen „Sandy“ bis 30.10. 15.773(!) Flüge gestrichen worden, bei Hurricane "Irene" in 2011 waren es "nur" 11.200. Die bislang 27 Toten sind leider trotz rechtzeitiger Warnungen in Gebäuden zu bleiben, Großteils durch herabfallende Bauteile und geknickte Bäume zu beklagen.
Ökonomische Auswirkungen:
Hurricane "Irene" hat im August 2011 für USD 15 - 20 Mrd. Schäden im Osten der USA verursacht. „Sandy“ wird nach Schätzungen vom 30.10. mindestens USD 30 Mrd. kosten, Tendenz in den kommenden Wochen gegen 50 Mrd. steigend (bei "Irene" war die unmittelbare Schätzung bei USD 7 Mrd.!). Allein im Staat New York liegen die Schätzungen bei aktuell USD 10 Mrd. New Jersey ist zumindest ebenso hoch betroffen.
Besondere Schäden hat die Transportwirtschaft (Fluglinien, Bahn, öffentlicher Verkehr, Flughäfen) wegen großer Schäden der Infrastruktur und des Transportmaterials erlitten. Die Wiederaufbauarbeiten werden in Q1 2013 rund 0,1 - 0,2 Prozent BIP - Wachstum bringen, sagen erste Schätzungen übereinstimmend. Für den möglichen „Fiscal Cliff“ dringend notwendig, aber Tropfen auf den heißen Stein.
Der Tourismus ist besonders in Virginia, Delaware, New Jersey bis Connecticut betroffen. Vor allem in New Jersey macht Tourismus fast 9 Prozent der Wertschöpfung aus. Da die Küste in weiten Teilen völlig zerstört ist, bleiben nur wenige Monate, um für die Saison 2013 neue Strände anzulegen (mit zugehöriger Infrastruktur).
Auch die Casinos an der Ostküste sind ein Wirtschaftsfaktor. Durch „Irene“ war der Ausfall 2011 zwischen USD 50 – 70 Mio. alleine in New Jersey! Am Immobilienmarkt kann die leichte Preiserholung (Case/Shiller Index + 2 Prozent p.a.) unterstützt werden. Holzproduzenten, wie Weyerhäuser, haben nach CFO-Angaben, keine Preiserhöhungen geplant, aber erwarten ca. + 5 Prozent Umsatzsteigerung. Im Bau- und Bauzulieferbereich inkl. Wohnungsausstattung wird bis in Q1 2013 mit zusätzlichem Wachstumsimpuls gerechnet.
Keine nennenswerten Auswirkungen werden bei den großen Retailketten erwartet, weil das Weihnachtsgeschäft erst ab Ende November (Erntedankfest 22.11.) relevant wird. Supermärkte im Lebensmittelbereich haben leichte Umsatz-, aber auch leichte Kostenerhöhungen (Kühlausfälle) als Nullsummenspiel.
Da 41 Prozent der Benzinprodukte der Ostküstenstaaten aus Raffinerien in New Jersey und Delaware stammen, wo drei geschlossen und zwei stark zurückgefahren wurden (9 Prozent vom USA- Gesamtangebot), ist einerseits eine Knappheit bei Treibstoffen entstanden, die zu einer Preiserhöhung von 5,9 Prozent führt. Der Rohölpreis wird aber wegen eines Verarbeitungsmangels von aktuell USD 86/WTI fast auf USD 81 - 82 fallen.
Viele Tankstellen in den betroffenen Bundesstaaten werden wegen Treibstoffmangels geschlossen werden (Umsatzausfälle). Bei Versicherungen liegt der fällige Schaden laut der Risikomanagementcompany Eqecat bei USD 5 – 10 Mrd.. Trotzdem sind die außerbörslichen Notizen der Rückversicherer stark im Plus, weil mit noch mehr Versicherungsfällen gerechnet wurde.
Überhaupt ist man für die Börseneröffnung am 31.10. sehr zuversichtlich. Dazu tragen die Terminkontrakte und die guten europäischen Vorgaben bei. Insbesondere die deutsche Bank- und BP- Ergebnisse werden positiv gesehen. Die Börseneröffnung findet hauptsächlich wegen des Monatsultimos und der verpflichtenden Kursbewertung von Investmentfonds statt.
Politische Auswirkungen:
Die jeweiligen Gouverneure der Bundesstaaten haben sehr plakativ auf den Sturm vorbereitet und sich ins Rampenlicht katapultiert. Insgesamt wird die Situation für Präsident Obama, der wirkungsvoll New Jersey und New York zum Notstandsgebiet erklärt hat, positiv interpretiert, da keine nennenswerten Führungsschwächen aufgetreten sind. Mit der Notstandsdeklaration erhalten viele hunderttausende Menschen Direkthilfe vom nationalen Katastrophenfonds, der aktuell Mittel in der Höhe von USD 3,6 Mrd. hat.
In mehreren Bundesstaaten wurde die vorzeitige Stimmabgabe (z.B. Maryland) bis 6.11. untersagt. Romney und Ryan haben zwar in den Swing States Ohio und Wisconsin noch Wahlveranstaltungen angesetzt, aber im Wesentlichen ist der Wahlkampf USA weit in den Hintergrund getreten, was dem Amtsinhaber hilft.
Wichtig sind daher noch die Arbeitsmarktzahlen am 2.11. Sollten diese schlecht ausfallen, dann kann es nochmals eng werden. Für Spannung bis 6.11. abends ist gesorgt.
2
Persönliche Eindrücke:
Obwohl die Bevölkerung seit Freitag auf den Jahrhundertsturm medial vorbereitet wurde, herrschte bis Sonntagnachmittag in New York - insbesondere in Manhattan - eine recht entspannte Atmosphäre. Es gab keine Hamsterkäufe, selbst um Theaterkarten wurde sich am Time Square angestellt, und wenn Geschäfte gestürmt wurden, war es mehr bei Bekleidungsshops und Cafes festzustellen. Trotz Warnungen des Gouverneurs Cuomo und Bürgermeister Bloomberg waren selbst am Montagmittag noch viele Fußgänger und Autofahrer unterwegs, offensichtlich die Gefahren unterschätzend oder ignorierend.
Ab Sonntagabend wurden U - Bahn und Busse eingestellt, trotzdem weigerten sich nicht wenige die Evakuierungszonen in New York zu verlassen (knapp 400.000 Einwohner waren betroffen). Ein Statement: „wir genießen die Oceanfront View an so vielen Tagen, dann müssen wir auch die schweren Tage hier verbringen“.
Lebensmittelgeschäfte haben permanent offen und es sind keine Engpässe bei Grundnahrungsmittel feststellbar. Mit der Hotelwahl in Long Island City habe ich richtig gelegen. Keine Überschwemmungsgefahr, obwohl 500 m nördlich und südlich Evakuierungen stattfanden. Die größte Gefahr war eindeutig, ob die großen Fensterflächen dem enormen Druck des Windes standhalten. In der Nacht sicher kein angenehmes Gefühl. Aber der Wind kam von der Seite, das Getöse des Orkans war trotzdem ohrenbetörend. Die Erleichterung am Morgen war groß, als keine Überschwemmung in den umliegenden Straßen erkennbar war und auch die Strom- und Wasserversorgung stets funktionierte. Die Vorsichtsration an Getränken und Lebensmittel macht sich bezahlt, weil man den dritten Tag nicht aus dem Haus gehen soll. Den Emergency-Kit habe ich nur zusammengestellt, aber glücklicherweise nicht gebraucht. Aber je öfter ich aus dem Fenster schaue, umso mehr beginnt sich das Leben hier in New York zu normalisieren, zumindest bis zur nächsten Flut am Abend. Trotzdem, ein Erlebnis, das man kein zweites Mal erleben muss.
Beste Grüße aus New York Peter Brezinschek
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