02.10.2024, 4356 Zeichen
Wien (OTS) - Spätestens mit der Corona-Pandemie und ihren
Lieferkettenproblem kam
unter Ökonomen das Konzept des Nearshorings auf. Gemeint ist damit
die Verlagerung oder der Aufbau von Produktionsstätten oder
Aktivitäten in der EU oder ihrer Umgebung, um damit näher an den
europäischen Absatzmärkten zu sein. In einer neuen Studie hat sich
das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
in Kooperation mit den Handelskammern der sechs Westbalkanstaaten,
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro Nordmazedonien und
Serbien nun angesehen, wie es um das Nearshoring am Westbalkan steht.
Untersucht wurde dabei auch die Frage, inwieweit es diesen Staaten
gelingt, Investitionen in grüne Technologien und erneuerbare Energien
anzuziehen.
Fazit: Nearshoring findet statt, vor allem in Bosnien-
Herzegowina, Kosovo und Nordmazedonien. Die Zuflüsse ausländischer
Direktinvestitionen in diese Länder waren zwischen 2020 und 2023
signifikant höher als der langfristig errechnete Gleichgewichtswert.
„Unsere Analyse identifiziert aber konkrete Fälle von Nearshoring in
fünf der sechs Westbalkanländer, nämlich in Albanien, Bosnien und
Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien und Serbien“ , sagt Branimir
Jovanović, Ökonom am wiiw und Hauptautor der Studie. Große neue
Projekte bei erneuerbaren Energien gibt es etwa in Albanien, Bosnien-
Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. „Das verdeutlich
das Potenzial der Region für die grüne Transformation“ , betont
Jovanović.
Zwtl.: Firmen aus Asien suchen Nähe zur EU
Ausländische Industrieunternehmen setzen vor allem auf Albanien,
Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien und Serbien.
Bemerkenswert dabei ist, dass viele von ihnen aus China, Japan und
Südkorea kommen. „Unternehmen aus Asien gehen sehr strategisch vor
und bauen ihre Produktionsstätten sehr bewusst in großer Nähe zu den
wirtschaftlichen Kernländern der EU, um ihre Lieferketten zu
verkürzen“ , erläutert Jovanović.
Für die Untersuchung wurden auch 17 ausländische Investoren am
Westbalkan nach ihren Motiven befragt. Sie bestätigten im
Wesentlichen die Bedeutung von Produktionsansiedelungen in
geografischer Nähe zur EU, um Lieferkettenproblemen und
geopolitischen Risiken auszuweichen. Zudem hoben sie auch die
Bedeutung von Umweltschutz und CO2-Reduktion hervor. „Wenn es lokalen
Zulieferern gelingt, bei der Ökologisierung Fortschritte zu machen,
bietet ihnen das aus unserer Sicht große Chancen, sich in
internationale Lieferketten einzuklinken und so zu wachsen“ , meint
Jovanović.
Zwtl.: Investoren kommen auf den Geschmack
Eine weitere Umfrage unter 65 ausländischen Firmen, die am
Westbalkan investiert haben, nannte als wichtigste Gründe für diese
Entscheidung die günstige geografische Lage, qualifizierte
Arbeitskräfte und niedrige Löhne. Negativ gesehen wurden schlechte
Regierungsführung, Korruption, mangelnde Rechtsstaatlichkeit,
schwache Institutionen und mangelhafte Infrastruktur. Insgesamt waren
72 Prozent mit ihrer Entscheidung zufrieden, elf Prozent gaben an,
Aktivitäten von einem entfernteren Standort näher an die EU
herangerückt zu haben. Zwei Drittel der ausländischen Unternehmen
betrachten den Westbalkan zudem als attraktiven Standort für grüne
Investitionen, wobei ebenfalls rund zwei Drittel von ihnen mehr
investieren würden, wenn es dort Fortschritte bei der
Dekarbonisierung gäbe. Sehr oft suchen diese Firmen nämlich nach
umweltfreundlichen Lieferanten vor Ort.
Wo diese auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktion stehen,
zeigt eine Umfrage unter 382 lokalen Unternehmen. Ergebnis: Zwei
Drittel der Firmen in den Westbalkanstaaten sind mit Strategien zur
CO2-Reduktion vertraut. Viele von ihnen sehen darin eine
wirtschaftliche Chance, die ihre Exportchancen in die EU erhöhen
könnten. Einig waren sich die befragten Unternehmen aber darin, dass
es dafür finanzielle Unterstützung braucht.
„Neben der Lösung altbekannter Probleme wie schlechter
Regierungsführung, Korruption und desolater Infrastruktur sollten die
Regierungen der sechs Westbalkanstaaten daher vor allem einheimischen
Firmen dabei helfen, grüner zu werden und die Kooperation mit
ausländischen Unternehmen zu vertiefen“ , so Jovanović und ergänzt:
„Besonders österreichische Firmen, die bei Umwelttechnologien
traditionell stark sind, könnten in Zukunft besonders davon
profitieren.“
Die gesamte Studie steht hier zum Download zur Verfügung .
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