18.05.2022, 3791 Zeichen
Digitalisierte Strategien. Unsere Kapitalmärkte sind zu einem Platz automatisierter Investmentprozesse geworden. Immer mehr Kauf- oder Verkaufswünsche werden computergesteuerten Programmen überlassen, die Geschwindigkeit und, gehofft, Effizienz der Ausführung verbessern. Daran angefügt finden sich immer mehr, diesem Automatismus folgende Produkte. Reihenweise Branchen-ETFs, die sich bereits die Klinke mit Zertifikaten für ganz spezielle Kapitalmarkt-Annahmen geben. Man kann über alle möglichen Vor- und Nachteile dieser Entwicklung sprechen, die aktuelle Gesamtsituation in Politik und Ökonomie unterstützt aber indirekt, und gerade jetzt, oberflächlich Automatismen.
Der Grund dafür ist leicht ausgemacht: Niemand kann mit Sicherheit feststellen, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickeln wird, wie die Preisfestsetzung bei Energie demnächst aussehen wird, ob Nahrungsmittelpreise der Politik unterworfen werden, China mit seinem Wirtschaftsmodell immer mehr Klippen ausweichen muss, oder ob und wann uns das Virus wieder heimsuchen wird. All diese Eventualitäten haben aber gravierenden Einfluss auf die Kapitalmärkte. Ob positiv oder negativ. Man ist geneigt, diese Wahrscheinlichkeiten einfach auszublenden und in nahezu religiösem Glauben an die heilenden Kräfte im Kapitalismus die Märkte schon „machen zu lassen“. Nur, so ganz einfach ist auch diese Strategie nicht durchzuhalten. Die Bücher über Behavioural Finance sind voll von Geschichten über Investoren, die den Glauben an diese heilenden Kräfte kurz vor dem Ende eines Kursrückgangs weggeworfen und am Tief verkauft hatten.
Was daher in vielen Köpfen gerade passiert, ist, sich, quasi als Fleißaufgabe, auf die jeweiligen Szenarien vorzubereiten. Zu antizipieren, was denn wäre wenn. Dazu zählt auch, die Konsequenzen des daraus abgeleiteten möglichen Verhaltens im Voraus überprüft zu haben. Sprich, wenn beispielsweise Russland Europa den Gashahn absperrt, wer wie darauf reagieren muss. In solchen Szenarien ist das „kann“ dann nicht mehr dominant. Es muss etwas passieren, denn sonst sind Strategien wertlos und man würde wieder nur abwarten was am Markt passiert. Genauso aber auch als Basis der strategischen Vorbereitung zu denken was wäre, wenn Russland wieder ein akzeptabler Energiepartner wäre. Daran denkt zwar gerade so ziemlich Keiner, aber in einem Umfeld wie dem Aktuellen muss man auch solche Einflüsse ins Strategiemodell einbinden. Und diesen Strategiebaum erweitern wir noch um Inflationsparameter, China, NATO und (zur gedanklichen Erholung) Elon Musk. Eine Fülle an Handlungsoptionen bildet sich daraus, die, um effizient wirken zu können in ihrer Umsetzung weit durchdacht sein müssen, aber aufgrund der bestehenden Unsicherheit, in der Lade schlummern, bis sie ein „Event“ daraus hervorholt.
Aufgrund dieser „digitalen“ Vorbereitung wird die aktive Investmentstrategie aber, durchgedacht, um nichts schwächer. Sie ist es nämlich, die durch den ETF-Nebel jene Unternehmen filtert, die genauso aufgrund ihrer inneren Qualität auf die einzelnen Strategien passen würden, aber die Kraft haben auch darüber hinaus wirken zu können. De facto eine Absicherung, falls man in der ersten Interpretation des jeweiligen Ereignisses in die eine oder andere Falle anderer Marktteilnehmer gesprungen ist. Denn, und das ist definitiv genauso zu erwarten, die Strategie, einem Tail-Event aufgrund der eigenen Marktmacht zuerst das falsche Vorzeichen umzuhängen, um danach in der Verwirrung anderer Marktteilnehmer die richtigen Fäden leichter ziehen zu können, ist ziemlich sicher genauso vorbereitet. Eine Orientierung, dass jede eigene Strategie auch widrige Startphasen überstehen können muss. Also, Stand by your Plan. …
(Der Input von Wolfgang Matejka für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 18.05.)
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