25.11.2020, 3920 Zeichen
Das persönliche Modewort des Jahres: „Hindurchdenken“. Ein Kandidat im Covid-19-Paranoia-Wort-Wettbewerb ganz oben zu landen ist die Wortschöpfung „Hindurchdenken“. Bezeichnet den geistigen Vorgang, sich von den aktuellen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und politischen Bewegungen nicht nervös machen zu lassen sondern einfach nur an die Zukunft zu denken, wenn sich alles in ein paar Monaten, oder doch Jahren?, wieder normalisiert hat. Wobei der Begriff „normal“ ja auch so ein WünschDirwas Format hat. Wann war schon jemals etwas „normal“. Aber dieses Hindurchdenken ist gerade der dominante Prozess im Markt. Quasi, den Marktteilnehmern „eingeimpft“ worden.
Sicher schwierig und sicher auch eine Art psychologische Übung, im aktuellen Wirtschaftsstrudel konkrete Ansätze zu erkennen die länger als vier Wochen halten, aber so der Markt.
Also widmen wir uns dieser Übung. Strengen wir uns an, kalkulieren wir die Varianten der Zukunft, gewichten deren Wahrscheinlichkeiten, ergänzen mit Volatilitätstreibern, versuchen wir die Positionierungen der großen Kapitalanleger zu erraten, damit deren zukünftiges Handeln ebenso, vermuten wir Übertreibungen und Untertreibungen und leiten wir daraus in Kombination zu unseren fundamentalen Hausaufgaben unsere Vorgangsweise ab.
Was gehört zu einer solchen Gedankenpyramide aktuell dazu? Da zählen erst einmal die Ableitungen bezüglich der Effizienz aktueller Lockdowns. Gelingt es die Covid-19-Fallzahlen deutlicher zu reduzieren, oder ergibt sich gerade nur eine leichte Abflachung vor dem dritten Lockdown. Angesichts der gefühlt Millionen von Frischluftfanatikern am Wochenende ein Fragezeichen das man ruhig stellen darf. Der „gesunde Husten“ fällt einem da gleich als kommendes Phänomen ein. Gleich dahinter stehen die offenen Wirtschaftsfragen: Welche Branchen bleiben bevorteilt, welche haben einen länger anhaltenden Knacks bekommen? Wie wird sich unser Aller Wirtschaftsleben in Zukunft gestalten? Schaffen wir die Home-Office Offensive durchzusetzen? Wie wird sich das auf unser Wachstum auswirken?
Als nächster Faktor gilt es die Impfung als Sars-Cov-2-Killer zu interpretieren. Die letzten Ergebnisse von Pfizer und Moderna waren ja enorm positiv. Ebenso lassen die Zulassungsbehörden, FDA und EMA, mit beschleunigten Verfahren aufhorchen. Das gab‘s ja früher noch nie. Unter einigen Jahren ging da zumeist gar nichts. Ein Zeichen wie zynisch, arrogant und teilweise menschenverachtend solche Institutionen bisweilen gegenüber den Erkrankten hier vorgehen bzw. vorgegangen sind. An der Kompetenz kann es nicht liegen. Diese Institutionen sind weltweit als führend anerkannt und unbestritten. Nun gut, Covid-19 ist eben very special und beschleunigt den Prozess dieser beiden, übrigens stark regierungsfinanzierten, Impfstoffkandidaten. Sollten die bisher gemeldeten Effizienzdaten bestätigt und eine rasche Zulassung erreicht werden dürfte man im Dezember die ersten Stiche erwarten können. Erste Schätzungen aus USA errechnen, dass bis Ende Mai 2021 dann bis zu 70% der Bevölkerung der USA geimpft worden sind. Der Rest ist Herdenimmunisierung. Europa kommt knapp dahinter. Mit dieser Entwicklung gehen die Märkte gerade schwanger. Und genau diese Perspektive hat der aktuell dominante Durchblicker.
Was hier noch fehlt, ist das Kalkül gegenüber der Politik. Ist die Finanzierung und Überbrückung der Rezession stabil? Wird die Begehrlichkeit der Finanzminister angesichts einer sich verbessernden Zukunftsversion zunehmen oder bleiben die Spendierhosen in Mode? Und lassen sich die politischen Ankündigungen weiter diszipliniert durchsetzen, sollten kommende Feiertage eingeschränkt bleiben.
Denn eines ist sicher, wenn wir an den Kapitalmärkten gerade uns bemühen durch den Corona-Nebel hindurchzudenken, dann gilt dies für uns alle, die wir in Lockdowns stecken, genauso.
(Der Input von Wolfgang Matejka für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 25.11.)
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