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Wiener Laufenergie und die INEOS 1:59 Challenge (Vienna City Marathon)

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18.07.2019, 7286 Zeichen

Schon vor 200 Jahren war die Prater Hauptallee bei Wettrennen voll mit begeisterten Zuschauern

Mit der INEOS 1:59 Challenge kommt das aufsehenerregendste Marathonereignis des Jahres und vielleicht das Marathonereignis einer ganzen Generation nach Wien in den Prater. Eliud Kipchoge will hier als erster Mensch die Marathondistanz unter zwei Stunden laufen. Wien ist nicht nur aufgrund der superflachen Strecke der perfekte Standort dafür, sondern auch wegen der historischen und aktuellen „Laufenergie“. Schon vor fast 200 Jahren war die Prater Hauptallee bei Wettrennen von begeisterten Zuschauern gesäumt.

Wiener Laufkultur: Adler, Hirsch, Pferd


Wien war schon im 18. Jahrhundert die Stadt mit einer außergewöhnlichen Laufkultur. Das Kaiserhaus und viele Adelige hielten sich „Laufer“ als Bedienstete. Diese überbrachten Botschaften, erkundeten auf Kutschenfahrten den Weg oder machten ihren Herren in der Stadt die Bahn frei. Solche Laufbedienstete gab es in mehreren Ländern Europas. Die „Wiener Laufer“ erlangten jedoch aufgrund ihrer Organisation und mit bemerkenswerten Wettrennen internationale Bekanntheit.

18 km „Freilauf“ mit vier Minuten pro Kilometer

Allein der kaiserliche Hof beschäftigte zur Zeit Maria Theresias 14 Läufer, die mit heute kurios anmutenden Kleidern und Federhüten geschmückt waren. Im 18. Jahrhunderts ist eine zunftähnliche Berufsvereinigung entstanden. Junge Läufer hatten als Prüfung einen „Freilauf“ zu absolvieren. Eine Strecke, die von Mariahilf bis Mariabrunn (heute im 14. Bezirk bei Hadersdorf-Weidlingau) und zurück über 18 Kilometer führte, musste in 1 Stunde und 12 Minuten zurückgelegt werden, also mit einer Geschwindigkeit von vier Minuten pro Kilometer. In Polizeiakten wird von 26 Läufern und 3.000 Zuschauern bei einem der Freiläufe berichtet.

Als erstrebenswert galt der Beruf des Laufers nicht überall. „Diese Unglücklichen (…) halten diese Anstrengung nur drei oder vier Jahre aus und sterben gewöhnlich an der Auszehrung. Ermüdung und Krankheit sind aus ihren hageren Gesichtszügen zu erkennen“, heißt es in einer Schilderung aus dem Jahr 1801.

Volle Hauptallee beim Lauferfest am 1. Mai

Erste Wettrennen sind bereits in der Regierungszeit Kaiser Karls VI. (1711-1740) belegt, also jedenfalls vor 1740. Ab 1822 rückte dabei der Prater in den Mittelpunkt des Geschehens. Bis heute ist hier Österreichs Lauf-Location Nummer eins, der Prater ist auch ein Kernstück des Vienna City Marathon. Dort fand jährlich am 1. Mai mit einem Rennen über acht bis neun Kilometer das große „Lauferfest“ statt. Teilnehmer waren die Bediensteten des Adels und der Diplomaten. Militärmusik spielte, Tribünen wurden errichtet, für deren Benutzung Eintritt verlangt wurde. Tausende Zuschauer säumten die Hauptallee bis zum Lusthaus. Die Lust am Spektakel war groß.

Publikum „so dicht als möglich zu beiden Seiten“

Ein Bericht aus dem Jahr 1836 schildert die Stimmung entlang der Laufstrecke in der Prater Hauptallee, genau dort, wo im Oktober auch Eliud Kipchoge laufen wird: „Das Publikum reiht sich so dicht als möglich zu den beiden Seiten, fast eine Stunde lang, den Laufweg hinan (…). Das Gewühl wird gegen 7 Uhr, wo der Lauf beginnt, ungeheuer, und ich glaube, dass mehr als 30.000 Menschen sich eingefunden hatten. (…) Nicht in einem einzigen Gesichte las ich Zeichen des Mißmuthes oder Kummers. Entweder hatte ein Jeder seinen Kummer, des lieblichen Maytages wegen vergessen, oder auch, es waren diejenigen, die nicht im Stande waren, freundlich zu seyn, heute zu Hause geblieben.“

Gelaufen wurde vom Praterstern über die Hauptallee bis zum Lusthaus und zurück. Beim Lusthaus, dem Umkehrpunkt, wurde den Läufern ein Abzeichen überreicht, das im Ziel als Beweis dafür galt, dass sie die volle Distanz bewältigt hatten. Es sind Siegerzeiten zwischen 30 und 48 Minuten überliefert, ein sportlicher Vergleich im Sinn von Rekordzeiten oder Bestenlisten wurde aber nicht angestellt. Die schnellsten Läufer erhielten bestickte Fahnen mit Ehrenbezeichnungen. Sieger – „Der Adler“, zweiter Platz – „Der Hirsch“, dritter Platz – „Das Pferd“.

Kritik und Ende, ehe der moderne Laufsport begann

Im Vorfeld der bürgerlichen Revolution von 1848 wurde diese Veranstaltung immer stärker als „widerliche Menschenhetze“ kritisiert, als Ausdruck des Luxus und feudaler Spaß der Adeligen auf Kosten des von ihnen abhängigen Dienstpersonals. Der Beruf des „Laufers“ hatte keine praktische Notwendigkeit mehr, sondern war zum Statussymbol des Adels geworden. Zudem gab es Manipulationen wegen Wetteinsätzen. Die Einnahmen wurden nicht wie angekündigt für einen Witwen- und Waisenfonds verwendet, sondern für die rauschende Feier nach dem Rennen in einem der nahen Kaffeehäuser. Das letzte Lauferfest fand 1847 statt. Mit Entscheidung vom 3. April 1848 wurde die weitere Durchführung verboten. Mit einem Mal waren dieses frühe Sportereignis, der Beruf des „Laufers“ generell und diese spezifische Wiener Laufkultur beendet. Der Laufbewerb wurde auch nicht in zeitgemäßer, abgewandelter Form fortgesetzt. Erst gegen 1900 begann der moderne Laufsport durch den Einfluss des englischen Sports in Wien und Österreich Fuß zu fassen.

Quellen

Stephan Oettermann: Läufer und Vorläufer. Zu einer Kulturgeschichte des Laufsports. Syndikat / EVA, Frankfurt / Main, 1984.

Hannes Strohmeyer: Die Wiener „Laufer“ und ihr Fest am 1. Mai (1822-1847). In: Beiträge zur Geschichte des Sports in Österreich. ÖBV & HPT, Wien 1999, S. 297-307. Original in: Proceedings of the XIIth HISPA Congress, Gubbio/Italy, May 26 – June 1, 1987.


Fakten Wiener Laufenergie und Geschichte

• Running since 1740: Entstehung einer einzigartigen historischen Laufkultur in Wien, ab 1822 mit jährlichen Läufen am 1. Mai im Wiener Prater, und weiteren großen Laufevents im 20. Jahrhundert wie dem „Zweibrückenlauf“ und „Quer durch Wien“.

• Mitreißende Events: Vienna City Marathon, Österreichischer Frauenlauf, Wien Energie Business Run, Vienna Night Run: Allein diese vier aktuellen Events bringen jährlich in Summe 120.000 Läuferinnen und Läufer auf die Beine.

• Laufstars & Weltrekordler: Paavo Nurmi, Emil Zatopek, Haile Gebrselassie, Paula Radcliffe … - die großen Stars wurden in Wien gefeiert. Henry Rono erzielte 1978 im Wiener Prater einen Weltrekord im 10.000-m-Lauf.

• Lauflocation Nummer eins: Die Prater Hauptallee ist historisch und aktuell die populärste und meistbelaufene Örtlichkeit Wiens und Österreichs und ein Herzstück des Vienna City Marathon und als außergewöhnlich schnelle Strecke der Schauplatz der INEOS 1:59 Challenge mit Eliud Kipchoge.

• Verbindung zur „Sub4-Mile“: Der legendäre aus Wien stammende Trainer Franz Stampfl war als Coach von Roger Bannister maßgeblich am historischen Vorbild für alle „Barriere-Brecher“ im Sport beteiligt, der ersten Meile unter vier Minuten im Jahr 1954.

Zum Bild

Das Wiener Lauferfest im 19. Jahrhundert auf einem Gemälde von A. Schön: Die Teilnehmer ziehen nach dem Rennen in Festkleidung unter Musikbegleitung in ein Prater-Kaffeehaus. An der Spitze hält der Vorstand die Innungsfahne mit der Aufschrift „Fortschritt“ hoch. Dahinter folgen die Sieger des Rennens mit ihren Ehrenfahnen „Der Adler“, „Der Hirsch“ und „Das Pferd“.
Z.V.g. vom Bezirksmuseum Leopoldstadt.

Im Original hier erschienen: Wiener Laufenergie und die INEOS 1:59 Challenge



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1. Praterläufer Mai 1820, Z.V.g. vom Bezirksmuseum Leopoldstadt.

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Praterläufer Mai 1820, Z.V.g. vom Bezirksmuseum Leopoldstadt.


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    18.07.2019, 7286 Zeichen

    Schon vor 200 Jahren war die Prater Hauptallee bei Wettrennen voll mit begeisterten Zuschauern

    Mit der INEOS 1:59 Challenge kommt das aufsehenerregendste Marathonereignis des Jahres und vielleicht das Marathonereignis einer ganzen Generation nach Wien in den Prater. Eliud Kipchoge will hier als erster Mensch die Marathondistanz unter zwei Stunden laufen. Wien ist nicht nur aufgrund der superflachen Strecke der perfekte Standort dafür, sondern auch wegen der historischen und aktuellen „Laufenergie“. Schon vor fast 200 Jahren war die Prater Hauptallee bei Wettrennen von begeisterten Zuschauern gesäumt.

    Wiener Laufkultur: Adler, Hirsch, Pferd


    Wien war schon im 18. Jahrhundert die Stadt mit einer außergewöhnlichen Laufkultur. Das Kaiserhaus und viele Adelige hielten sich „Laufer“ als Bedienstete. Diese überbrachten Botschaften, erkundeten auf Kutschenfahrten den Weg oder machten ihren Herren in der Stadt die Bahn frei. Solche Laufbedienstete gab es in mehreren Ländern Europas. Die „Wiener Laufer“ erlangten jedoch aufgrund ihrer Organisation und mit bemerkenswerten Wettrennen internationale Bekanntheit.

    18 km „Freilauf“ mit vier Minuten pro Kilometer

    Allein der kaiserliche Hof beschäftigte zur Zeit Maria Theresias 14 Läufer, die mit heute kurios anmutenden Kleidern und Federhüten geschmückt waren. Im 18. Jahrhunderts ist eine zunftähnliche Berufsvereinigung entstanden. Junge Läufer hatten als Prüfung einen „Freilauf“ zu absolvieren. Eine Strecke, die von Mariahilf bis Mariabrunn (heute im 14. Bezirk bei Hadersdorf-Weidlingau) und zurück über 18 Kilometer führte, musste in 1 Stunde und 12 Minuten zurückgelegt werden, also mit einer Geschwindigkeit von vier Minuten pro Kilometer. In Polizeiakten wird von 26 Läufern und 3.000 Zuschauern bei einem der Freiläufe berichtet.

    Als erstrebenswert galt der Beruf des Laufers nicht überall. „Diese Unglücklichen (…) halten diese Anstrengung nur drei oder vier Jahre aus und sterben gewöhnlich an der Auszehrung. Ermüdung und Krankheit sind aus ihren hageren Gesichtszügen zu erkennen“, heißt es in einer Schilderung aus dem Jahr 1801.

    Volle Hauptallee beim Lauferfest am 1. Mai

    Erste Wettrennen sind bereits in der Regierungszeit Kaiser Karls VI. (1711-1740) belegt, also jedenfalls vor 1740. Ab 1822 rückte dabei der Prater in den Mittelpunkt des Geschehens. Bis heute ist hier Österreichs Lauf-Location Nummer eins, der Prater ist auch ein Kernstück des Vienna City Marathon. Dort fand jährlich am 1. Mai mit einem Rennen über acht bis neun Kilometer das große „Lauferfest“ statt. Teilnehmer waren die Bediensteten des Adels und der Diplomaten. Militärmusik spielte, Tribünen wurden errichtet, für deren Benutzung Eintritt verlangt wurde. Tausende Zuschauer säumten die Hauptallee bis zum Lusthaus. Die Lust am Spektakel war groß.

    Publikum „so dicht als möglich zu beiden Seiten“

    Ein Bericht aus dem Jahr 1836 schildert die Stimmung entlang der Laufstrecke in der Prater Hauptallee, genau dort, wo im Oktober auch Eliud Kipchoge laufen wird: „Das Publikum reiht sich so dicht als möglich zu den beiden Seiten, fast eine Stunde lang, den Laufweg hinan (…). Das Gewühl wird gegen 7 Uhr, wo der Lauf beginnt, ungeheuer, und ich glaube, dass mehr als 30.000 Menschen sich eingefunden hatten. (…) Nicht in einem einzigen Gesichte las ich Zeichen des Mißmuthes oder Kummers. Entweder hatte ein Jeder seinen Kummer, des lieblichen Maytages wegen vergessen, oder auch, es waren diejenigen, die nicht im Stande waren, freundlich zu seyn, heute zu Hause geblieben.“

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    Im Vorfeld der bürgerlichen Revolution von 1848 wurde diese Veranstaltung immer stärker als „widerliche Menschenhetze“ kritisiert, als Ausdruck des Luxus und feudaler Spaß der Adeligen auf Kosten des von ihnen abhängigen Dienstpersonals. Der Beruf des „Laufers“ hatte keine praktische Notwendigkeit mehr, sondern war zum Statussymbol des Adels geworden. Zudem gab es Manipulationen wegen Wetteinsätzen. Die Einnahmen wurden nicht wie angekündigt für einen Witwen- und Waisenfonds verwendet, sondern für die rauschende Feier nach dem Rennen in einem der nahen Kaffeehäuser. Das letzte Lauferfest fand 1847 statt. Mit Entscheidung vom 3. April 1848 wurde die weitere Durchführung verboten. Mit einem Mal waren dieses frühe Sportereignis, der Beruf des „Laufers“ generell und diese spezifische Wiener Laufkultur beendet. Der Laufbewerb wurde auch nicht in zeitgemäßer, abgewandelter Form fortgesetzt. Erst gegen 1900 begann der moderne Laufsport durch den Einfluss des englischen Sports in Wien und Österreich Fuß zu fassen.

    Quellen

    Stephan Oettermann: Läufer und Vorläufer. Zu einer Kulturgeschichte des Laufsports. Syndikat / EVA, Frankfurt / Main, 1984.

    Hannes Strohmeyer: Die Wiener „Laufer“ und ihr Fest am 1. Mai (1822-1847). In: Beiträge zur Geschichte des Sports in Österreich. ÖBV & HPT, Wien 1999, S. 297-307. Original in: Proceedings of the XIIth HISPA Congress, Gubbio/Italy, May 26 – June 1, 1987.


    Fakten Wiener Laufenergie und Geschichte

    • Running since 1740: Entstehung einer einzigartigen historischen Laufkultur in Wien, ab 1822 mit jährlichen Läufen am 1. Mai im Wiener Prater, und weiteren großen Laufevents im 20. Jahrhundert wie dem „Zweibrückenlauf“ und „Quer durch Wien“.

    • Mitreißende Events: Vienna City Marathon, Österreichischer Frauenlauf, Wien Energie Business Run, Vienna Night Run: Allein diese vier aktuellen Events bringen jährlich in Summe 120.000 Läuferinnen und Läufer auf die Beine.

    • Laufstars & Weltrekordler: Paavo Nurmi, Emil Zatopek, Haile Gebrselassie, Paula Radcliffe … - die großen Stars wurden in Wien gefeiert. Henry Rono erzielte 1978 im Wiener Prater einen Weltrekord im 10.000-m-Lauf.

    • Lauflocation Nummer eins: Die Prater Hauptallee ist historisch und aktuell die populärste und meistbelaufene Örtlichkeit Wiens und Österreichs und ein Herzstück des Vienna City Marathon und als außergewöhnlich schnelle Strecke der Schauplatz der INEOS 1:59 Challenge mit Eliud Kipchoge.

    • Verbindung zur „Sub4-Mile“: Der legendäre aus Wien stammende Trainer Franz Stampfl war als Coach von Roger Bannister maßgeblich am historischen Vorbild für alle „Barriere-Brecher“ im Sport beteiligt, der ersten Meile unter vier Minuten im Jahr 1954.

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