16.07.2016, 7812 Zeichen
Heute war also die mit Spannung erwartete letzte Nominierungsrunde des ÖOC für die Olympischen Spiele in Rio. Grundsätzlich ist es so, dass die nationalen Fachverbände Athleten dann vorschlagen dürfen, wenn die internationalen Qualifikationsrichtlinien erfüllt werden. Das ÖOC kann daraufhin nach eigenem Ermessen entscheiden, ob der jeweilige Athlet als olympiawürdig gilt.
Große Hoffnungen auf eine Nominierung durfte sich Lemawork Ketema für den Marathonlauf machen, wo er das internationale Limit (2:19:00) im Qualifikationszeitraum mehrmals unterboten hat, aber knapp über dem vom ÖLV gemeinsam mit dem ÖOC festgelegten Limit (2:14:00) geblieben war. Dazu muss angemerkt werden, dass die IAAF das ursprüngliche Limit - so wie viele andere Limits in der LA - im November 2015 auf 2:19:00 erleichtert hat, das ÖOC ist dabei nicht entsprechend "mitgezogen". Dass eine einfache Übernahme des internationalen Limits (2:19/2:45) nicht sinnvoll/angemessen ist, ist für Insider einleuchtend, außer es hat kein anderer Sportler aus einem Land in irgendeiner Sportart ein Limit (ähnlich dem früheren B-Limit) und es sollte dadurch zumindest ein Sportler aus diesem Land bei Olympia dabei sein.
Heute, am 15.7., hat das ÖOC beschlossen, dass die Leistungen von Lemawork Ketema NICHT olympiawürdig sind, die Enttäuschung ist natürlich groß.
Es gibt letztlich keine objektive Entscheidung, ob eine Leistung olympiareif ist und man kann Sportarten und Disziplinen nie direkt miteinander vergleichen, auch wenn das - völlig unsinnigerweise - bei der Sportförderung in Österreich leider dauernd passiert.
Dazu ein paar Fakten:
Eine Olympianominierung sollte - genau wie eine Sportförderung - primär nicht eine Belohnung für vergangene Leistungen sein,sondern Athleten sollten dann zu Olympischen Spielen vorbehaltlich einer Erfüllung der international festgelegten Kriterien entsendet werden, wenn zu erwarten ist, dass diese Athleten sich dort in guter Form präsentieren können und Österreich würdig vertreten. Beim Marathonlauf sind IAAF und IOC bestrebt, relativ große Starterfelder zu haben, was bei anderen Disziplinen (z.B. Stabhochsprung) naturgemäß einfach nicht möglich ist. Marathonläufer können auch nicht jede Woche einen Limitversuch starten und die Qualifikationsleistung ist von externen Faktoren (äußeren Bedingungen, Starterfeld, etc. ) abhängig, die der Sportler nicht beeinflussen kann.
Doch was ist olympiawürdig?
Ist es peinlich, wenn ein Sportler am Ende des ersten Drittels oder im Mittelfeld des Marathonfeldes ins Ziel kommt? Realistisch betrachtet wäre Lema nicht im absoluten Spitzenfeld gelandet. Beim Hamburg-Marathon im vergangenen April war er etwas über 9 Minuten hinter dem (äthiopischen) Sieger und blieb mit 2:16:19 bei windigen Bedingungen recht deutlich über der nationalen Qualifikationsmarke. Aber die Personen in seinem Umfeld wissen, dass er davor lange Zeit eine leichte Verletzung hatte und erst kurze Zeit wieder fit war. Voriges Jahr im Sommer (der Qualifikationszeitraum reichte zurück bis zum 1.1.2015) wurde Lema 2. beim Rio-Marathon (auf einer anderen Strecke als dem Olympiakurs) mit der sehr guten Zeit von 2:14:23 und zeigte damit auch, dass er mit den klimatischen Bedingungen dort sehr gut zurechtkommt.
Er wurde - gegen den Willen des ÖLV-"Teamleiter-Laufs" Günther Weidlinger - zur Europameisterschaft nach Amsterdam mitgenommen, wo er beim Halbmarathon startete. Er war dort mit Abstand bester Österreicher und lief im Feld der 92 Läufer auf den sehr guten 20. Platz, wobei er mit 1:05:10 rund 3 Minuten hinter dem Sieger blieb. Das war zwar sehr gut, aber eben auch nicht so, dass das ÖOC "wow!" gesagt und ihn auf Knien um eine Teilnahme in Rio angebettelt hätte. Jedenfalls blieb er vor allen deutschen Läufern, die ihr Land in Rio im Marathon vertreten dürfen und es wird wohl auch Nicht-Insidern plausibel erscheinen, dass das kleine Österreich im Marathonlauf keine strengeren Maßstäbe als Deutschland anlegen sollte.
Wie auch immer, alleine der Umstand, dass bis zum heutigen Tag mit einer Entscheidung zugewartet wurde, ohne die Betroffenen in irgendeiner Form mit einzubinden, stellt eine deutlich zum Ausdruck gebrachte geringe Wertschätzung der besten Sportler des Landes durch die betreffenden Funktionäre dar! Es hat bei der Olympia-Nominierung nicht viele Grenzfälle gegeben, weil fast alle Fälle ohnehin durch die internationalen Kriterien klar festgelegt wurden und keinen Diskussionsspielraum ließen. Wäre es nicht angemessen gewesen, dass man sich rechtzeitig im Vorfeld (womit tatsächlich auch noch eine professionelle, zielgerichtete Vorbereitung möglich gewesen wäre) mit den Grenzfällen - den betroffenen Sportlern samt Betreuern - zusammensetzt und gemeinsam pro und kontra durchgeht? Dann hätte man über Leistungsaufbau, Verletzungen, Bedingungen bei Qualifikationswettkämpfen u.ä. offen reden und auf der Basis dieser Argumente eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen fällen können.
Das geschah aber leider nicht. Der ÖLV hat Lema dem ÖOC nach seiner Leistung bei der EM (noch einmal) zur Nominierung für die Olympischen Spiele vorgeschlagen, das ÖOC hat es sich aber - den Vorwurf müssen sich die Zuständigen gefallen lassen - jedenfalls zu leicht gemacht. Die neue Führung des ÖOC hat nach der vorherigen kriminellen Führung (der ehemalige Generalsekretär wurde wegen Unterschlagung mehrerer Millionen Euro rechtskräftig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt) zwar recht bemüht begonnen, aber die letzte Jahre mehrt sich zurecht die Kritik, dass sich die Funktionäre immer weiter vom Sport entfernen, statt für die Sportler da zu sein. An Stelle einer dienstleistungsorientierten Serviceinstitution dominiert leider immer mehr Freunderlwirtschaft und Machtstreben, so kommt es dann auch zu solchen Entscheidungen. (explizit möchte ich ÖOC Präsident Stoss von dieser Kritik ausklammern, der mit dem Tagesgeschäft nichts zu tun hat). Wenn - gut bezahlte - Funktionäre zum Feind der Sportler werden und sich nicht mit aller Kraft für das "Funktionieren" des Sportsystems einsetzen, sind sie fehl am Platz!
Die negative Entscheidung im Fall Lemawork ist leider kein Einzelfall. Es betrifft in der Leichtathletik ebenso die beiden anderen Marathonläufer Valentin Pfeil und Edwin Kemboi, die auch das internationale Limit unterboten hatten sowie die junge Triathletin Julia Hauser, die die internationalen Richtlinien erfüllt hat, aber für die sich das ÖOC auch nicht eingesetzt hat.
Ob fair oder nicht, unterliegt immer einer subjektiven Einschätzung. Die Leichtathletik selbst ist eine derart breit gefächerte Sportart, dass sich die Leistungen der Sportler in den unterschiedlichen Disziplinen nicht wirklich miteinander vergleichen lassen. Im Sportprogramm des ÖLV bei den Nominierungsrichtlinien für die Olympischen Spiele in Rio steht z.B. explizit: "Für Athlet/innen, die im Jahr 2015 das Qualifikationslimit erbracht haben, ist in der Wettkampfsaison 2016 (Freiluft) lt. Nominierungskriterien des ÖOC eine Leistungsbestätigung erforderlich. Diese Leistungsbestätigung ist ident mit dem Qualifikationslimit für die Europameisterschaften 2016 in Amsterdam." Heute wurden aber u.a. 2 Sportlerinnen für Rio nominiert, die dieses Kriterium definitiv nicht erfüllt haben. Natürlich sollen diese Sportlerinnen in Rio dabei sein, aber man braucht nicht auf der einen Seite "kein Limit!" schreien und auf der anderen Seite es selbst nicht so genau nehmen. Dass sich der ÖLV-Teamleiter auch bei den Rio-Nominierungen gegen die Marathonläufer ausgesprochen hat, war in diesem Zusammenhang natürlich so wertvoll wie ein Kropf. Lema hat jedenfalls bewiesen, dass er JETZT in Hochform ist und eine Nominierung verdient hätte. Er wird daran aber sicher nicht zerbrechen, sondern den Funktionären auf sportliche Weise zeigen, dass sie einen Fehler gemacht haben.
Börsepeople im Podcast S15/17: Dominik Lindner
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Lemawork Ketema
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