19.08.2015, 3760 Zeichen
Die letzten Tage waren wieder nach dem Geschmack vieler Doom-Propheten. Alle möglichen Szenarien haben sich offenbart und wurden in Breiten und Längen gezogen dargestellt als ob es kein Morgen gäbe. Zeit sich nicht mit der kurzen Abwehr sondern mit einer tiefergehenden Analyse auseinanderzusetzen. Sich diese Zeit zu nehmen ist der Schlüssel dieser Tage.
The times, they are a changing. Das sehen wir direkt an den Rohstoffmärkten die sich von den hohen, fast linearen Erwartungen der vergangenen Jahre (wir denken an „seltene Erden die uns ausgehen werden“ oder „die enorme Macht der Rohstoffländer“) mittlerweile völlig verabschiedet haben. Deren positive Fantasie hat sich teilweise geradezu verkehrt. Öl, das ehemalige Manna der Zukunft bohrt sich gerade Charttechnisch zum zweiten Mal nahezu senkrecht in den Kursboden. Gold, als Hort der Sicherheit und Schutz aller möglichen Inflationen, sieht nur ein wenig besser aus. 5-Jahrestief aber auch hier der Fall. Ob die sinkende Nachfrage aus China wirklich der alleinige Grund für ein solches Gemetzel ist, halte ich für zweifelhaft. Eher dünkt mir, dass die Restrukturierung großer Banken und Brokerhäuser in den jeweiligen Handelsabteilungen ein gutes Stück mitverantwortlich ist. Ziemlich viele dieser Handelstische wurden einfach aufgelöst. Regulatorisch geschuldet, oder zu teuer, ist dabei egal, weg ist weg. Aber in Verbindung damit wurden ja auch die verbundenen Produkte nicht mehr verkauft. Wo uns früher Rohstofffonds oder Zertifikate in diesen Gattungen zuhauf begegneten, versammeln sich nur mehr ein paar Spezialisten. Die Produktion ist daher einfach zu viel für den verbliebenen Markt. Zu viel Angebot die logische Folge. Fehlendes Marketing als Auslöser von Kursrückgängen. Why not? Mittlerweile steht ja so gut wie fest, dass gute Investor Relations einen massiv hohen Anteil an der Wertbestimmung von Aktien hat. Warum nicht auch bei Rohstoffen?
Und genauso wenig passt die Story, dass China nunmehr einen radikalen Kurs bei seiner Währungspolitik einschlägt. Nur weil sie eine Überbewertung zum Teil korrigierten? Es wird wohl niemand noch glauben, dass dieser Staat es nicht gelernt hat kapitalistisch zu denken. Die wollen ihre Währung liberalisieren und als frei handelbare Währung einer globalen Wirtschaftsmacht installieren. Dazu passen die Kapitalmarktliberalisierungen genauso wie ein offeneres Währungsregime. Ist logisch und keine Bedrohung. Und dass China versucht eine Wachstumsabschwächung zu bekämpfen ist nach all den Jahren überbordenden Wachstums nur zu begrüßen und im Gegensatz zu vielen anderen, insbesondere europäischen Ländern, ein Zeichen für positive Aktivität.
Dass die Emerging Markets, die rund um China oder in Südamerika so sehr unter dem Joch des starken Dollars in ihren Refinanzierungen leiden, ist auch nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass sie ja auch Einkünfte aus US-$ erzielen die dagegen stehen. Also auch nicht so „Doom“ wie auf den ersten Blick.
Europa wird dagegen, eigentlich völlig überraschend, fast schon gelangweilt wahrgenommen. Die Unternehmensergebnisse waren besser als erwartet. Abgehakt. Griechenland ist trotz allem Zynismus behandelt und nicht gedemütigt. Abgehakt. Osteuropa läuft besser als erwartet. Auch abgehakt. Und dank dem erweiterten Suezkanal wird der europäische Handel und Transport wieder stärker vom Süden her angekurbelt werden können. Auch das haben wir (kaum aber dann doch) zur Kenntnis genommen.
Das kurzfristige Sentiment der Märkte ist aber angeschlagen. Das ist Fakt. Je mehr sich diesem Sentiment unterordnen umso mehr werden die Märkte volatil von den positiven lokalen Fundamentaldaten abweichen.
Zeit, aus der Hitzestarre aufzuwachen und sich wieder wie Investoren zu verhalten und nicht wie Trader.
Wiener Börse Party #806: ATX schwächer, morgen Verfallstag, im Jänner unter Strom und viele Abschiede im Dezember
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