09.06.2013, 4812 Zeichen
Verursachen spekulative Derivate auf Rohstoffe und Lebensmittel den Welthunger? Was macht ein "Spekulant" überhaupt? Ein Gespräch mit Rudolf Brenner, früher bei der Deutschen Bank.
Obwohl unsere Erde acht Milliarden Menschen ernähren könnte, verhungert alle vier Sekunden ein Kind. Derlei hört man oft von Globalisierungs- und Kapitalismus-Kritikern wie Jean Ziegler. Aber auch NGOs wie ATTAC und selbst die Caritas halten die weltweite Spekulation mit Nahrungsmitteln für eines der größten Probleme und Verursacher des Welthungers.
Der Marktwirtschaft freundlich gesinnte Experten halten entgegen, dass es den Bewohnern dieser Erde im Schnitt noch sie so gut gegangen ist wie jetzt, es noch nie so wenig Armut gab. Außerdem wenden sie ein, dass es auch noch ganz andere Ursachen dafür gibt, wieso etwa in Afrika eine Hungersnot nach der anderen auszubrechen scheint. Neben diversen unfähigen Regierungen und Misswirtschaft etwa auch die Subventionsmaschinerie von EU oder USA, die die Dritte Welt mit billigen Nahrungsmitteln zuerst überschwemmen und dann abhängig machen.
Aber zurück zur Behauptung, die "Spekulation" würde die Preise von Nahrungsmitteln in die Höhe treiben.
Das Wort "Spekulation" steht – obgleich konkret eigentlich meistens von sogenannten Termingeschäften die Rede ist – dabei als Platzhalter für alles mögliche. Hauptsächlich aber für das Unverständnis breiter Schichten der Tatsache gegenüber, wie eine Art globales Casino (so die Vorstellung) täglich Milliarden abwirft. Ähnlich wie Tyrion Lannister, der sich wundert, wo Lord Baelish, der "Meister der Münze", immer die Kohle herzaubert. Bis er selbst zum KHG von Königsmund wird… aber das ist eine andere Geschichte, zurück zur Realität:
Rudolf Brenner war, bevor er nun mit der Philoro seine eigene Edelmetall GmbH gegründet hat, lange Jahre im Bereich Rohstoff-Handel tätig, auch mit Nahrungsmitteln.
Und zwar bei etlichen Banken, auch einer sehr großen aus Deutschland. Und obgleich er meint, dass sich die Situation von Haus zu Haus tatsächlich sehr unterschiedlich darstellt, manche Wert auf soziale Verantwortung legen und manche nur an den Profit-Kennzahlen interessiert sind, wollte ich von ihm vor allem die Basics erfahren.
So erzählt Herr Brenner etwa, dass, wenn von Derivaten im Nahrungsmittelbereich die Rede ist, meistens sogenannte "Futures", also eben Termingeschäfte, gemeint sind. Also ein Vertrag zweier Parteien zu einem gewissen, künftigen Zeitpunkt eine gewisse Menge eines Rohstoffs zu einem gewissen Preis und einer gewissen Qualität zu kaufen oder verkaufen. Ähnliche Verträge kannten im Prinzip schon die alten Griechen, um ihre Olivenpressen bestens an den Mann zu bringen – doch auch in der modernen Ausstattung ist dies kein neues Instrument.
"Es gibt natürlich viele Produzenten, die sich über Derivate absichern, so ist das Konzept historisch entstanden. In China war der erste Derivatemarkt, die haben ihre Reislieferungen etwa über Futures-Geschäfte in der Zukunft abgesichert. Für Produzenten, die wirklich das reale Gut bewegen, ist es ein äußerst sinnvolles und teilweise auch überlebenswichtiges Instrument."
Allerdings gibt es auch Probleme, über die man sich unterhalten muss, so Rudolf Brenner. Große Banken und Hedgefonds verwenden diese Instrumente, die eben ursprünglich zur Produktionsabsicherung gedacht waren, ausschließlich als spekulatives Mittel. Sie sind also am zu Grunde liegenden Geschäft in keiner Weise interessiert, die Salden werden einfach abgerechnet und kaum je eine reale Ware bewegt.
"Hedgefonds kaufen in Erwartung einer gewissen Preisentwicklung. Sie bewegen dabei sehr große Volumina und haben dadurch auch einen enormen Einfluss auf die Preisbewegung. Beispielsweise gibt es beim Gold für den Derivatemarkt nur ein Prozent an physischem Material. Das heißt, für jede Unze Gold die existiert, habe ich das Hundertfache Volumen an Derivaten. Und das ist eigentlich nur noch eine abstrakte Bewegung von Dingen, die physisch gar nicht bewegt werden. Das ist sicherlich der wesentliche Punkt, warum das auch immer mehr in einen spekulativen Bereich abdriftet."
Genau an diesem Punkt wird die Sache heikel und droht, aus dem Ruder zu laufen.
"Es gibt natürlich Player wie Goldman Sachs oder andere amerikanische Investmentbanken, die einen extrem großen Impact auf den Markt haben können. Wenn die gewisse Themen bei ihren Kunden platzieren, dann hat das bestimmt eine gewisse Auswirkung auf die Preisgestaltung. Insofern müsste man Regularien vielleicht schon verschärfen. Auf der anderen Seite ist aber Überregulierung in der Vergangenheit nie ein Weg gewesen, der Probleme bereinigt hat. Denn vor allem diese großen Institutionen haben in einem sehr regulierten Umfeld immer die Möglichkeit, einen Weg zu finden, wie sie dann trotzdem ihr Geschäft in gewohnter Art und
Weise weiter betreiben können."
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