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07.04.2013, 5693 Zeichen

 (FRANZ SCHELLHORN)

Supermarkt: Willkommen in der Steuerwüste

Zahlreiche Steueroasen stehen vor der Trockenlegung. In den Karawanen, die sich durch Steuerwüsten plagen, brandet Applaus auf. Komisch, oder?

Es ist vermutlich der größte Erfolg, der dem investigativen Journalismus in der jüngeren Vergangenheit gelungen ist – oder der ihm zugespielt wurde. Ein anonymer Informant klopfte vor rund einem Jahr bei einem weltumspannenden Mediennetzwerk in Washington an, um eine kleine Festplatte abzugeben. Das Ding ist gespickt mit detaillierten Informationen, die zeigen, wie Steuerhinterzieher, Geldwäscher und geizige Heimlichtuer ihre fette Beute dem Zugriff rechtschaffener Finanzämter entziehen und damit die darbende Solidargemeinschaft um Milliarden prellen. Dieser „Scoop“ wird weltweit begeistert kommentiert und als Meilenstein im Kampf gegen das internationale Verbrechen gefeiert. Nicht zuletzt, weil die Steueroasen endlich zu spüren bekommen, dass ihr Geschäftsmodell alles andere als unangreifbar ist.

Unter Druck geraten durch das „Datenleck“ aber nicht nur obskure Karibikinseln, die mit niedrigen Steuern und diskreten Bankbeamten jede Menge zweifelhaftes Kapital anlocken. Sondern auch Länder wie Österreich, deren Bankgeheimnis wieder zur Diskussion steht. Mit dem Argument, dass dieser Schutz der Privatsphäre ohnehin nur dunklen Gestalten beim Verstecken ihrer illegal erworbenen Beute helfe. Oho! Genauso gut könnte man sich auch für eine totale Überwachung aller Bürger ins Zeug legen – wer nichts zu verbergen hat, hat ja auch nichts zu befürchten, oder? Ein derartiges „Rechtsverständnis“ hatten wir schon einmal, aber das ist offensichtlich schon wieder in Vergessenheit geraten.
Moderner Fiskalimperialismus. Geht es nämlich darum, den finanziellen Hunger westlicher Hochsteuerländer zu stillen, ist es um die Grundrechte der Bürger schnell geschehen. In Deutschland streifen Finanzbeamte nach Lust und Laune durch die Bankdaten ihrer Bürger, die Diskretion Schweizer Banken wurde de facto von den USA aufgehoben. Wer heute für die Aufhebung des Bankgeheimnisses und die Trockenlegung aller Steueroasen plädiert, fordert damit auch die Eliminierung des Steuerwettbewerbs.

Deshalb wird in der westlichen Hemisphäre ja auch nach Wohnsitz besteuert – und nicht dort, wo die Leistung entsteht oder konsumiert wird. Das ist eine Art zeitgenössischer Fiskalimperialismus, wie der Schweizer Volkswirt Charles Beat Blankart vor einigen Jahren anmerkte. Die Staaten exportieren ihre Hochsteuermodelle ins Ausland, indem sie die Einkünfte eines Staatsbürgers auch dann der inländischen Steuer unterwerfen, wenn diese jenseits der Landesgrenzen erwirtschaftet werden.

Und sonst? Sonst wäre vielleicht noch zu erwähnen, dass die Steuerwüsten mit ihrem erbittert geführten Feldzug gegen die Steueroasen keinen geflohenen Euro zurückholen werden. Das Problem von Staaten wie Deutschland oder Österreich sind ja nicht die niedrigen Steuersätze anderer Länder. Sondern die unverschämt hohen in der Heimat. Der Umverteilungsstaat von heute gibt zwar immer noch gern den Robin Hood, ist aber längst zum herzlosen Sheriff von Nottingham verkommen. Zum gierigen Gesellen, der nicht nur den Wohlhabenden das Geld aus den Taschen zieht, sondern auch vor den kleinen Leuten nicht Halt macht.

Das geht so weit, dass hierzulande ein gut verdienender Automechaniker sechs bis acht Stunden arbeiten muss, um sich eine Installateurstunde „offiziell“ leisten zu können – Wegkosten nicht eingerechnet. Weshalb in Österreich ja auch jeder Freunde kennt, die talentierte Fachkräfte aus dem In- und benachbarten EU-Ausland vermitteln, um dieses Problem steuerschonend zu beheben. Die Schwarzarbeit ist nichts anderes als eine Steuerflucht innerhalb der Landesgrenzen, während Wohlhabende ihre Werte gleich ins Ausland transferieren. Nun könnten es sich viele „Superreiche“ und Spitzenverdiener bestimmt leisten, die Hälfte ihrer Einkommen an den Staat abzuliefern. Der Großteil von ihnen ist dazu auch bereit, selbst wenn sie einen derart hohen Steueranteil als unverschämten Akt der Enteignung verstehen. Der freilich nicht besser wird, wenn man sieht, was der Staat mit den konfiszierten Einkünften anstellt – von der Bezahlung aufgeblasener Verwaltungsstrukturen über die systematisierte Frühpensionierung ganzer Beamtenlegionen bis hin zu kostspieligen Ausflügen an die abenteuerlichsten Destinationen der globalen Hochfinanz.

Sinkende Steuern, höhere Erträge. Demgegenüber stehen Länder, die vergleichsweise effizient mit den eingehobenen Steuergeldern umgehen – wie zum Beispiel die Schweiz. Die Steuern sind niedrig, die Dienstleistung der öffentlichen Hand ist hoch. Weshalb bis dato auch noch nicht viel darüber bekannt geworden wäre, dass sich Schweizer Bürger großflächig aus dem Staub machten. Im Gegenteil: In den letzten 20 Jahren sind die Steuereinnahmen der Schweiz fast doppelt so schnell gewachsen wie die Wirtschaftsleistung. Nicht trotz, sondern wegen niedriger Steuern. Sie beflügeln die Steuermoral nämlich deutlich stärker als tausende Datenträger mit brisanten Informationen über wohlhabende Anleger. Der Kampf gegen den Steuerbetrug ist also nicht auf entlegenen Eilanden zu gewinnen, sondern innerhalb der eigenen Landesgrenzen.

Den Steuerwettbewerb ausschalten zu wollen, ist also eine denkbar schlechte Idee. Dieses Vorhaben dient nämlich nur reformunwilligen Regierungen, die ihren Bürgern für eine sukzessive schlechter werdende Dienstleistung immer höhere Steuern abknöpfen wollen. Aber diese Seite der Geschichte geht in der freudigen Aufregung über bemerkenswerte „Scoops“ eben leider allzu oft unter.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2013)






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