17.02.2013,
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In Deutschland ist einem Bündnis aus Gewerkschaftern, Politikern und Ökonomen in der Vorwoche ein beachtliches Kunststück gelungen: Sie setzten einen Vorschlag in die Landschaft, der selbst die Köpfe jener Experten zum Schütteln brachte, die zweifelsfrei links der Mitte zu verorten sind. „Ein Überangebot an Arbeit“, so dozierten die Bündnispartner, „führt zu Lohnverfall“. Ein Übel, dem nur mit einer „Verknappung der Ware Arbeitskraft“ entgegenzuwirken sei. Also mit einer – tatarata: Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche, wobei die ausbezahlten Löhne nichts von der verkürzten Arbeitszeit mitbekommen sollen. Diese müssten weiterhin so tun, als würde unverändert mit 38,5 bis 40 Stunden in der Woche gerackert, andernfalls käme die Kaufkraft der Bürger unter die Räder, womit sich die Spirale nach unten fortsetzte.
Nun könnte man sich natürlich darüber freuen, dass die deutsche Linke mittlerweile so „radikale“ Begriffspaare wie Angebot und Nachfrage in der Debatte akzeptiert. Genauso gut könnte man die Sache aber auch auf sich beruhen lassen, zumal ja nicht einmal die Metallergewerkschaft eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich für eine tolle Idee hält. Weil deren Funktionäre erkannt haben, dass die Arbeitsproduktivität in demselben Ausmaß zu steigen hätte, in dem die Arbeitszeit kürzer wird – so nicht Konkurrenzfähigkeit verspielt werden soll.
Der Zauber des Kapitals. Dieser Abgleich funktionierte über lange Zeit hervorragend. Mit der kontinuierlichen Akkumulation von Kapital stieg die Innovationskraft der Wirtschaft stetig, und damit die Produktivität. Musste vor 100 Jahren zur Finanzierung eines höchst bescheidenen Lebensstandards noch 60 Stunden und sechs Tage in der Woche geschuftet werden, reichen heute 38 Stunden und fünf Tage pro Woche aus, um einen noch nie da gewesenen Wohlstand zu genießen.
Für hoch entwickelte Volkswirtschaften ist es derzeit aber ein Ding der Unmöglichkeit, die Produktivität innerhalb kurzer Zeit um weitere 20 Prozent anzuheben. Um sich davon zu überzeugen, genügt ein kleiner Abstecher nach Frankreich, dem europäischen Freilichtmuseum der wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen. Das Land steht für jenen europäischen Kurs, wonach Wohlstand nicht erarbeitet und dann verteilt, sondern zuerst geliehenes Geld unters Volk gebracht wird, um der Bevölkerung den Konsum zu ermöglichen und damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Dabei ist es völlig egal, ob der Élysée von links oder rechts regiert wird. Den letzten Budgetüberschuss erwirtschaftete die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas im Jahr 1974 (nur Österreich kann hier noch mithalten), selbst in Zeiten der Hochkonjunktur werden horrende Defizite eingefahren. Die Staatsausgaben sind mit 56 Prozent gemessen am BIP die zweithöchsten der EU (hinter Dänemark).
Die öffentlichen Schuldenberge wachsen ungebremst gen Himmel, während die französische Wirtschaft vor der Deindustrialisierung steht. Jährlich gehen 80.000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren, eine Folge der schwindenden Konkurrenzfähigkeit, die auch im kleiner werdenden Stück am Weltexportkuchen sichtbar wird. Der Anteil Frankreichs hat sich seit dem Jahr 2000 um ein Drittel auf knapp 3,34Prozent verkleinert. Frankreichs Bevölkerung ist achtmal so groß wie jene Österreichs, die Wirtschaftsleistung sechseinhalbmal größer – und die Exporte nur dreimal so hoch.
Einer der Gründe des Rückfalls liegt in der 2000 in Kraft getretenen 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Das ließ die Lohnstückkosten bis 2012 um 28Prozent steigen, in Deutschland waren es nur acht Prozent. Die Lohnstückkosten zeigen den Lohnanteil an einem Produkt oder einer Dienstleistungseinheit, inklusive Lohnnebenkosten. Sie messen also die Arbeitskosten im Verhältnis zur Produktivität. Frankreichs Wirtschaft verliert sukzessive an Boden, Betriebe wandern ab, immer mehr Arbeitsplätze gehen verloren, die Ausgaben des Staates für soziale Kosten und Konjunkturbelebung steigen, ohne den wirtschaftlichen Abstieg aufhalten zu können. Was den amtierenden Arbeitsminister Michel Sapin zu einer bemerkenswerten Einschätzung führte: „Wir haben zwar einen Staat, aber der ist völlig pleite.“
Vorbild Frankreich. Dennoch ist nicht Frankreich das abschreckende Beispiel. Ganz im Gegenteil, es liegt voll im Trend. In der Eurozone sind die Lohnstückkosten im erwähnten Zeitraum im Schnitt um 22Prozent angewachsen, die Ausnahme ist also Deutschland – und all jene, die Europa dazu bewegen wollen, endlich aufzuwachen. Wie der britische Premier David Cameron, der mit seiner Davoser Rede für Empörung sorgt. Europa, so meint Cameron, fehle es nicht an Zentralisierung, einheitlichen Steuern und sozialen Standards. Sondern an Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität.
François Hollande sieht das etwas anders, er will der dahinschmelzenden Konkurrenzfähigkeit nicht mit mehr Flexibilität begegnen, sondern mit einem Gesetz, das profitablen Firmen die Schließung von Werken und damit die Abwanderung untersagt. Während also der englische Premier für seine pro-europäische Rede jede Menge Prügel bezieht, darf der französische Präsident in aller Seelenruhe den einen oder anderen Eckpfeiler der europäischen Erfolgsgeschichte einreißen (wie die Kapitalverkehrsfreiheit).
Diese Debatte zeigt in überzeugender Manier, dass es in Europa deutlich mehr England und viel weniger Frankreich braucht. Auch wenn diese Einschätzung ziemlich viele Köpfe in Europa zum Schütteln bringen dürfte. (“Presse”)
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