17.04.2020, 9259 Zeichen
Nach einem freundlichen Start in den Tag kamen die Kurse am europäischen Aktienmarkt am Donnerstagnachmittag etwas zurück. Bereits am Morgen war die Skepsis mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Erholung groß. Nachdem die Investoren bereits am Vortag mit desaströsen Wirtschaftsdaten aus den USA konfrontiert waren, ging es am Donnertagnachmittag weiter. So ist die Zahl der Erstanträge auf Leistungen aus der US-Arbeitslosenversicherung in der Woche zum 11. April mit über 5 Millionen auf einem sehr hohen Niveau geblieben.
Damit haben bislang insgesamt 22 Millionen Beschäftigte seit Verhängung der Corona-bedingten Beschränkungen einen Antrag auf Unterstützung eingereicht, was die großen Probleme auf dem US-Arbeitsmarkt verdeutlicht. Zudem ist die Aktivität im verarbeitenden Sektor des Distrikts von Philadelphia im April deutlich stärker eingebrochen als erwartet, nämlich auf minus 56,6 (März: minus 12,7) Punkte, das war der niedrigste Stand seit Juli 1980.
Doch zumindest ein Teil der schlechten Nachrichten ist nach dem Kursabsturz seit Anfang des Jahres in den Aktienkursen bereits eingepreist. So verweisen die Analysten von Nomura darauf, dass der Gewinn je Aktie in Europa im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 21 Prozent fallen dürfte. Die endgültigen Zahlen dürften wahrscheinlich noch schlechter ausfallen, da sich die Weltwirtschaft im Stillstand befinde. So sprächen die schwachen Einkaufsmanagerindizes sogar für ein Minus von 30 Prozent beim Gewinn. Der DAX schloss 0,2 Prozent höher bei 10.302 Punkten. Der Euro-Stoxx-50 legte um 0,1 Prozent auf 2.812 Zähler zu.
Momentan drückt das Überangebot am Weltmarkt auf den Ölpreis. In diesem Monat dürfte sich daran noch nichts ändern, erwartet die OPEC und prognostiziert für April einen täglichen Nachfragerückgang um 20 Millionen Barrel gegenüber dem Vorjahr. Über das zweite Quartal verteilt wird mit einem Minus von durchschnittlich 12 Millionen Barrel pro Tag gerechnet. Das Barrel der Sorte Brent kostet aktuell 27,43 Dollar, die Ölwerte in Europa schlossen im Schnitt 2,2 Prozent im Minus und stellten damit den schwächsten Sektor. Stärkster Sektor waren Technologiewerte, die um 2,8 Prozent zulegten. Ein Kurstreiber für die Branche sei die scharfe Erholung des Philadelphia-Semiconductor-Index (SOX), hieß es im Handel. Der Index hat bereits über die Hälfte seines Corona-Einbruchs dank der Spekulationen auf massive Investitionen in Internet-Infrastruktur wieder wettgemacht. Nach der Vorlage der Zahlen von ASML gab es zudem drei positive Analystenkommentare zu der Aktie, für die es um 5 Prozent nach oben ging. Volkswagen hat angesichts der Produktionsstillstände und der weiterhin unsicheren Branchenlage infolge des Corona-Virus den Ausblick für das laufende Jahr zurückgenommen. Nach einem massiven Gewinneinbruch im ersten Quartal seien die Jahresziele, die der Wolfsburger Konzern bereits Mitte März in Frage gestellt hatte, nicht mehr erreichbar. Wann ein neuer Ausblick gegeben werden könne, sei unklar. "Als Folge (der Corona-Pandemie) ist der automobile Einzelhandel weitgehend zum Erliegen gekommen", erläuterte der DAX-Konzern. "Das resultierende Absinken der Kundennachfrage aber auch Lieferengpässe führten zu Produktionsstopps innerhalb des Volkswagen Konzerns." "Alles nicht in einem überraschend negativen Bereich", kommentierte ein Händler die vorläufigen Zahlen von VW. Die operative Umsatzrendite erscheine im ersten Quartal mit 1,6 Prozent etwas gering. Die Aktie reagierte kaum auf die Nachricht und schloss 0,8 Prozent im Plus.
Zalando stiegen nach vorläufigen Geschäftszahlen für das erste Quartal um 6,2 Prozent. Nach Einschätzung von Hauck & Aufhäuser unterstreichen diese die starke Wettbewerbsposition des Online-Händlers. Die Analysten sehen Zalando als klaren Gewinner der Coronavirus-Krise und schätzen ihre bisherige Erwartung eines Umsatzwachstums von 8 Prozent im laufenden Jahr nun als konservativ ein. Dagegen gaben Aktien der Zur-Rose-Gruppe nach Zahlenausweis um 6 Prozent nach. Die Aktie hatte jüngst einen sehr guten Lauf, hier wurde von Gewinnmitnahmen gesprochen. Die Aktie des französischen Stromversorgers Electricite de France (EDF) sank um 5,8 Prozent. Angesichts des Wirtschaftsabschwungs in der Eurozone hat das Unternehmen den Ausblick auf seine Atomstromerzeugung gesenkt.
Der Wiener Aktienmarkt hat am Donnerstag erneut tiefer geschlossen. Der ATX schwächte sich um weitere 2,02 Prozent ab auf 2.006,75 Punkte. Ein Erholungsansatz am heimischen Aktienmarkt wurde am Mittag beendet, nachdem der ATX am Vormittag bereits mehr als drei Prozent gewonnen hatte. Zuvor war er am Mittwoch um sieben Prozent abgerutscht. In Wien rutschten unter den Einzelwerten die Do&Co-Aktie um mehr als neun Prozent ab. Nach den herben Vortagesverlusten gaben BAWAG weitere 4,6 Prozent und OMV um 4,1 Prozent nach. Erste Group verbilligten sich um ein Prozent, nachdem sie bereits am Vortag prozentuell zweistellig verloren hatten. Die Aktionäre von Schoeller-Bleckmann und Raiffeisen Bank International mussten mindestens dreiprozentige Kursverluste verbuchen. Die Verbund-Anteilsscheine kamen um 2,8 Prozent zurück. Andritz schlossen mit einem Minus von 4,1 Prozent auf 26,92 Euro. Hier haben die Wertpapierexperten der Baader Bank ihr Kursziel für die Papiere des Maschinenbaukonzerns von 46,0 auf 42,0 Euro gesenkt. Das Kaufvotum "buy" wurde bestätigt. Gegen den Abwärtssog stemmten sich die Aktien der Baukonzerne Porr (plus 7,4 Prozent) und Strabag (plus 6,6 Prozent). Semperit konnten zudem um 5,4 Prozent zulegen. UNIQA verbesserten sich um 1,1 Prozent. Der Versicherungskonzern verzeichnete im abgelaufenen Geschäftsjahr Rückgänge beim Embedded Value und der Neugeschäftsmarge in der Lebens- und Krankenversicherung. Die UNIQA sei "weiterhin solide kapitalisiert", die Kapitalquote trotz Corona-Krise auf einem hohen Niveau, hieß es von Unternehmensseite. Der Embedded Value setzt sich aus dem Nettovermögen sowie dem aktuellen Wert der künftigen Erträge aus dem bestehenden Versicherungsbestand zusammen. Marinomed gaben 0,5 Prozent nach. Das Biotechunternehmen hat den Umsatz im Vorjahr um 31 Prozent auf 6,14 Mio. Euro gesteigert. Der Jahresverlust betrug 7,22 Mio. Euro, nach einem Minus von 12,1 Mio. Euro im Jahr 2018. Auch in den kommenden Jahren werden aufgrund der hohen Investitionen Verluste erwartet.
Ohne eine gemeinsame Richtung haben sich am Donnerstag die US-Börsenindizes präsentiert. Technologie-Aktien entwickelten sich wie an den Vortagen besser als die Standardwerte. So gewann der Nasdaq 100 zuletzt 0,94 Prozent auf 8672,77 Punkte. Marktbeobachter glauben, dass viele Tech-Unternehmen gestärkt aus der Virus-Krise herausgehen werden. Der Leitindex Dow Jones Industrial gab hingegen um 0,71 Prozent auf 23 336,45 Punkte nach und der breiter gefasste S&P 500 sank um 0,14 Prozent auf 2779,57 Punkte. Nachdem die meisten Großbanken ihre Quartalsbilanzen in dieser Woche bereits veröffentlicht hatten, folgten nun Morgan Stanley , KeyCorp und die Bank of New York Mellon . Und auch Morgan Stanley teilte mit, angesichts der Covid-19-Krise hohe Rückstellungen für faule Kredite gebildet zu haben, was zu Lasten der Gewinne ging. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fiel der Überschuss um rund 30 Prozent. Der Aktienkurs sank um knapp 1 Prozent. KeyCorp-Papiere verloren mehr als 5 Prozent, jene von BNY Mellon indes gewannen dreieinhalb Prozent. Bei den Aktien von Amazon und Netflix setzte sich der Höhenflug mit weiteren Kursrekorden fort. Amazon stiegen zuletzt um fast 4 Prozent, Netflix um fast 3 Prozent. Im internationalen Vergleich aller großen Technologiewerte werde sich Amazon voraussichtlich als einer der Gewinner der Virus-Pandemie herauskristallisieren. Die von den Folgen der Corona-Pandemie gezeichneten US-Airlines erlitten abermals sehr hohe Kursverluste. United Airlines ließ verlauten, die Nachfrage sei im Grunde genommen gleich Null und Signale einer Besserung in naher Zukunft gebe es nicht - die United-Anteile sackten um fast zwölf Prozent ab. American Airlines um mehr als neun Prozent. Im Dow waren die Anteile des Flugzeugbauers Boeing der größte Verlierer mit einem Minus von gut sieben Prozent. An der Leitindex-Spitze knüpften die Papiere des Gesundheitsdienstleister und Krankenversicherers UnitedHealth mit einem Plus von mehr als drei Prozent an ihre Vortagesstärke an.
Abbott Labs stiegen um mehr als fünf Prozent. Der Pharmakonzern übertraf mit seinem bereinigten Quartalsergebnis je Aktie die durchschnittliche Schätzung am Markt. Nach einem Einbruch um etwas mehr als 17 Prozent am Vortag ging es für Bed Bath & Beyond nun um gut 16 Prozent hoch. Der auf Ausstattungen für Küche, Bad und Wohnen ausgerichtete Einzelhändler hatte am Mittwoch nach Börsenschluss seinen Quartalsbericht vorgelegt. Die Zahlen waren besser als befürchtet ausgefallen.
Vorbörslich sind die Märkte in Europa heute Freitag zum Wochenschluss zur Eröffnung deutlich fester zum Vortag indiziert. Auch die Börsen in Asien verzeichneten Kursgewinne. Unternehmensseitig gibt es bislang keine relevanten Nachrichten. Makroseitig stehen in Europa heute die KFZ-Neuzulassungen (EUR), die Verbraucherpreise (AUT & EUR) sowie die Handelsbilanz (ITA), in den USA die Frühdindikatoren für März 2020 im Fokus der Märkte.
Börsepeople im Podcast S16/04: Susanne Bauer
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