07.12.2016, 6309 Zeichen
Das gescheiterte italienische Verfassungsreferendum bestätigt einen Euro-politischen Grundsatz eindrucksvoll: Wer reformiert oder reformieren will, wird abgewählt.
Leider ist diese Botschaft fatal. Wenn italienische Wähler mit einer dicken Mehrheit von fast 60 Prozent eine Verwaltungsreform ablehnen, die sie nichts „kostet“, aber viel bringt, hat das Stiefelland ein ernstes Problem. Was ist so schlimm an der Abwahl von in Stein gemeißelter Bürokratie, die Italien jahrzehntelang zur politischen Schnecke machte, die sich auch noch in Zeitlupe bewegt? Es mag ja sein, dass der Referendumspate Matteo Renzi handwerkliche Fehler gemacht hat und auch ein paar egomanische Züge aufweist, die ihn für viele Italiener unsympathisch machen. Aber wenn man angesichts einer erbärmlichen Wirtschaftslage nicht mal mehr bereit ist, über den Tellerrand von Sympathie bzw. Antipathie hinwegzusehen und die rationale Notwendigkeit von schmerzfreien Verwaltungsreformen anzuerkennen, muss man sich fragen, ob Italien – das ich ansonsten sehr schätze – noch zu retten ist.
Die Eurozone ist unreformierbar
Wie will man denn dann erst wirkliche (Wirtschafts-)Reformen umsetzen, die zunächst Schmerzen verursachen, bevor sie nach Jahren Wirkung in Form von Unternehmensinvestitionen, Arbeitsplätzen, Einkommen und Steuern zeigen? Oft sagt man, die Menschen seien erst dann zu Reformen bereit, wenn es nicht mehr anders geht. Müssen wir also erst abwarten, bis Italien an die Wand gefahren ist?
Und Italien findet sich in ganz Euroland wieder. Überall sind Maßnahmen zur Standortverbesserung so unbeliebt wie Küche aufräumen nach dem Mittagessen. Das wissen natürlich auch die an Wiederwahl interessierten Politiker. Zusätzlich spüren sie den anti-elitären Zeitgeist, der sich ähnlich festgefressen hat wie Rost an früheren italienischen Autos. Da will sich kein Politiker vor einen reformfreundlichen, aber wählerfeindlichen Karren spannen lassen.
Die ganze Eurozone leidet an Stillstand. Leider ist auch Stillstand eine Bewegung, nämlich Rückgang. Denn aufgrund der Globalisierung sorgt die reformwillige Konkurrenz dafür, dass der Karren noch mehr in den Schlamm gefahren und die Eurozone noch weniger wettbewerbsfähig wird.
Das „SEKE“, das Sondereinsatzkommando Europa muss ran
Finanzminister Schäuble sprach kürzlich davon, man solle keine Euro-Krise herbeireden. Hallo? Sie ist bereits da, auch wenn sie wie bei einem potemkinschen Dorf nicht unmittelbar sichtbar ist. Und angesichts des Euro-Superwahljahrs 2017 wird man den Euro-Bürgern – damit die Wähler nicht auf dumme Gedanken kommen – weiter Scheuklappen verpassen. Perspektivlosigkeit muss wie bei einem Zaubertrick verschwinden.
Dazu gibt es das „SEKE“, das Sondereinsatzkommando Europa. Es setzt sich zusammen aus einer die Wählerseele streichelnden, auf Pump finanzierten Konjunktur- und Sozialpolitik sowie einer EZB, die dazu verdammt wird, die Schulden-Zeche zu zahlen. Man betreibt wahlpopulistische Verständnisökonomie. Es werden „Wahlgeschenke“ verteilt, um niemand an die Europa-feindliche, austrittsbereite Ecke zu verlieren. Mario Draghi als ganzjähriger Weihnachtsmann. So weit ist es mit Euroland gekommen.
Auch das Beispiel Griechenland verdeutlicht die europäische Dauer-Rettungsschleife. Hellas muss erst in 32 Jahren anfangen, Schulden zurückzuzahlen. Es lebe der politische Zeitgewinn. Nach uns Regierenden die Sintflut! Dass Griechenland im Euro-Korsett aber auch die nächsten 32 Jahre auf keinen grünen Zweig kommt, verschweigen die Politiker. Nüchtern betrachtet helfen Hellas nur der Euro-Ausritt und der sofortige Schuldenschnitt wieder auf die wirtschaftlichen Beine. Das will man aber auf keinen Fall, um bloß keinen Präzedenzfall für den Euro-Exit weiterer Länder zu schaffen. Die Familie muss zusammenbleiben, selbst wenn es dabei einzelnen Familienmitgliedern schlecht geht.
Italien ist erst recht Euro-systemrelevant. Bei einem Italexit wäre die Eurozone final gescheitert. Der Verfall von fast 2,3 Bill. Euro Staatsschulden würde zügig für den kollektiven Genickbruch der europäischen Finanzmärkte und der Banken sorgen, die diese Art von „Papier“ tonnenweise gebunkert haben. Bereits aktuell sitzt allein die italienische Bankenbranche auf annähernd 400 Mrd. Euro stinkend fauler Kredit-Eier. Noch mehr unausbrütbare Eier braucht niemand.
Das Euro-Kind darf bloß nicht in den politischen Brunnen fallen
Diesen Anleihe-Crash mit Dominoeffekt und eine Bankenkrise, der gegenüber die Lehman-Pleite 2008 harmlos wäre, wird durch das SEKE vorbeugend behandelt. Damit bleibt die Zins- und Renditewende dank der erforderlichen Druckbetankung der EZB eine Fata Morgana. So wird die Illusion der heilen Finanzwelt in Europa aufrechterhalten.
Denn ließe man die finanzpolitischen Probleme laufen, ließe man Perspektivlosigkeit eskalieren, müsste früher oder später ein hoher politischer Preis bezahlt werden: Der Zerfall Europas. Dagegen ist selbst im Zaubergarten der EZB kein Kraut gewachsen. Alternativlose Vorsicht ist besser als bereuende Nachsicht.
Auf den Dauereinsatz von SEKE scheinen die Finanzmärkte fest zu vertrauen. Man kann sogar von einem Glaubensbekenntnis sprechen. Warum sonst würden sich Aktienmärkte in Europa, die Banken und der Euro so stabil zeigen, während deutsche Staatspapiere und Gold als sichere Häfen weniger gefragt sind?
Aber geht das nachhaltig gut? Nein, nur lebensverlängernde Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, nur die Symptome zu behandeln, aber fundamentale Ursachen in der Reformwüste zu ignorieren, verhindern den langfristigen Kollaps der Eurozone nicht. Bei einem einfachen „Weiter so“ gibt es kein Happy End, sondern nur ein dickes Ende. Von nix kommt nix ist eine universelle Regel, die man selbst in der gesundbeterischen Eurozone nicht brechen kann.
Man kann Die Eurozone auch zu Tode retten. Unreformierbar bedeutet nicht unkaputtbar.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
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