23.09.2016, 11939 Zeichen
Sie will es eventuell tun, tut es dann aber nicht: Leitzinsen erhöhen. Wird sie es jemals tun? Langsam aber sicher verwirrt die Fed, wo sie eigentlich als bedeutendste Notenbank klare Kante zeigen sollte: Auf der einen Seite verdichten sich laut Frau Yellen die Argumente für eine Zinserhöhung und auf der anderen Seite senkt die Fed gleichzeitig ihre Wachstums- und Inflationsprognosen. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im November ist das Thema Zinsangst bis mindestens Dezember auf Eis gelegt. Aufgrund bislang sehr bescheidener konjunktureller Erfolge revolutioniert die Bank of Japan ihre Geldpolitik: Sie strebt eine Inflation deutlich oberhalb ihres Ziels von zwei Prozent an. Insgesamt bleibt die internationale Geldpolitik das, was sie seit 2008 ist: Das entscheidende pro-Argument an den Finanzmärkten.
Fortsetzung des Einstiegs in den Ausstieg aus einer üppigen US-Geldpolitik oder auch nicht
Auf ihrer letzten Sitzung hat die Fed ihre Leitzinsen erneut unangetastet gelassen. Allerdings haben sich laut US-Notenbankpräsidentin Yellen die Argumente für baldige Zinsanhebungen verdichtet. Absurderweise hat die Fed jedoch mit erneut gesenkten US-Wachstumsprojektionen für 2016 (1,8 nach zuvor 2,0 Prozent) und einer ebenso verringerten langfristigen Wachstumseinschätzung (ebenfalls 1,8 auf 2,0 Prozent) diese Zinserhöhungsargumente wieder torpediert. Ohnehin signalisiert die seit einem Jahr schrumpfende US-Industrieproduktion, dass sich das amerikanische Verarbeitende Gewerbe tatsächlich in der Rezession befindet. In derartigen Situationen 2000 und 2007 hat die Fed mit Zinssenkungen reagiert.
Die Lage am US-Immobilienmarkt hat sich gemäß Baubeginnen und -genehmigungen nach dem Zusammenbruch der Immobilienblase 2008 zwar verbessert. Nach einer gleichzeitigen Erholung der Häuserpreise bis 2013 – laut S&P/Case-Shiller U.S. National Home Price Index der 20 größten US-Städte – mit anschließend deutlicher Korrektur befinden sich die Häuserpreise aber seit Jahren in der Stagnation. Gründe für Zinserhöhungen sind nicht ersichtlich.
Der US-Arbeitsmarkt zeigt einen soliden Stellenzuwachs. Unverkennbar ist jedoch die mangelnde Qualität des vermeintlichen US-Jobwunders. Grundsätzlich haben sich die Arbeitsmarktbedingungen laut dem von der US-Notenbank veröffentlichten, auf 19 Subindikatoren basierenden US-Labor Market Conditions Index seit Jahresbeginn im Trend verschlechtert. Die Lage am US-Arbeitsmarkt ist insgesamt zinserhöhungsunkritisch.
Selbst der leichte Anstieg der US-Inflation im August von zuvor 0,8 auf aktuell 1,1 Prozent liefert wenig Argumente für Zinserhöhungen. Denn die Fed hat auch ihre Inflationsprognose für 2016 (1,3 nach 1,4 Prozent) gesenkt und geht davon aus, dass sie ihr Inflationsziel von 2,0 Prozent frühestens 2018 erreicht. Ob dies dann wirklich der Fall sein wird, muss mit Blick auf eine schwache Weltkonjunktur und verhaltene Rohstoffpreise allerdings angezweifelt werden.
Auch der von der Citigroup veröffentlichte Economic Surprise Index – er ermittelt positive bzw. negative Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von Analystenschätzungen – erhärtet die Zinserhöhungsfront nicht: Seit Anfang 2015 mit einer kurzen Ausnahme im Juli befindet sich der Index im Enttäuschungsterrain.
Die Fed hat die Chance für Zinserhöhungen verpasst
Ab 2014 hätte die Fed Zinsrestriktionen bei sich stabilisierenden Rohstoffpreisen und besserer weltkonjunktureller Stimmung durchführen können. Dann wäre sie heute mit dem Zinserhöhungsprozess durch, hätte ihre Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit bewiesen und würde die real- und finanzwirtschaftlichen Märkte nicht verunsichern. Heute läuft sie dieser „Zeitchance“ hinterher. In diesem Zusammenhang wussten die drei Fed-Mitglieder, die auf der letzten Notenbanksitzung für eine Zinserhöhung plädierten, dass sie mit Blick auf die Präsidentschaftswahl am 8. November erst wieder am 14. Dezember eine Zinserhöhungschance haben. Aber wer weiß schon, welche geopolitischen bzw. weltkonjunkturellen Fakten dann einer Zinserhöhung im Wege stehen? Käme es im Nachgang der US-Wahl zu erhöhter real- bzw. finanzwirtschaftlicher Unsicherheit, muss die Fed ihre Zins-Schaukel-Rhetorik mit Verweis auf „Datenabhängigkeit“ erneut verschieben. Auf jeden Fall sollte sie Abstand nehmen von einer moralischen Zinserhöhung im Dezember. Glaubwürdigkeit als bedeutendste Notenbank der Welt erzielt man nicht durch Symbolpolitik.
Die Fed sollte nicht der zweiten Zinserhöhungs-Chance hinterherlaufen
Die US-Notenbank sollte Fakten schaffen. Sie sollte Zinserhöhungen erst bei tatsächlicher Verbesserung von Konjunkturdaten vollziehen und nicht aufgrund von Prognosen, die in unserer schnelllebigen globalen Finanz- und Konjunkturwelt sehr schnell Makulatur sein können. Die Zeiten mustergültiger konjunkturzyklischer Verläufe sind durch vielfältige globale und politische Einflüsse mittlerweile ähnlich gestört wie der Golfstrom beim Abschmelzen der Nordpolkappe. Tatsächlich mussten Prognosen seit Jahren eher gesenkt als erhöht werden. Es gibt also ein sogenanntes downside risk. Neben dem Blick auf Amerika sollte der Fed auch die verhaltende Weltkonjunktur zu denken geben. Genau diese trägt auch maßgeblich Verantwortung für die schwache Industriestimmung in den USA. Zinspolitische Verunsicherungen verbaler Art befeuern Bedenken vor einer verschärften Wachstumseintrübung in den Schwellenländern und eine Kapitalflucht in die USA. In diesem unsicheren Szenario ist Zins-Vorsicht die erste Pflicht der US-Notenbank.
Konjunkturpolitisch hat die Bank of Japan bislang kläglich versagt
Es ist ein Armutszeugnis. Trotz einer üppigen Zins- und Liquiditätspolitik hat Japan noch keinen Ausweg aus einer deflationären Volkswirtschaft gefunden. Dennoch will die Bank of Japan den Eindruck vermeiden, dass ihr die wirtschaftsstimulierenden Instrumente ausgehen. Das neue Instrument heißt „Zinskurvenkontrolle“. Die Renditen 10-jähriger japanischer Staatsanleihen sollen bei rund null Prozent fest verankert werden. Anleiheaufkäufe sollen den kürzeren Laufzeiten zugutekommen. Über eine somit steilere Zinsstrukturkurve will man die Ertragslage der japanischen Banken über Fristentransformation – kurzfristige Geldaufnahme zu zinsgünstigen Konditionen und längerfristige -anlage zu höheren Renditen – verbessern.
Koste es, was es wolle: Japan will hohe Inflation
Revolutionär neu ist dabei, dass die japanische Notenbank die Inflation deutlich oberhalb ihrer Zielmarke von zwei Prozent heben und dort auch nachhaltig etablieren will. Bei einer Renditeobergrenze von null Prozent ergibt sich in der Konsequenz eine negative reale Verzinsung.
Die Bank of Japan beabsichtigt mit dieser neuen geldpolitischen Mission zunächst, den japanischen Staat, der mit dem 2,5-fachen der Wirtschaftsleistung völlig überschuldet ist, real zu entschulden. Denn mit Blick auf den Staatshaushalt ist die Spendierfreudigkeit der öffentlichen Hand mittlerweile stark eingeschränkt.
Aber wie will Japan diese „gewollte Inflation“ erzielen, die sich doch bislang trotz üppiger Geldpolitik nicht einstellte? Es ist davon auszugehen, dass die japanische Notenbank zunehmend die Finanzierung der öffentlichen Haushalte direkt übernehmen wird: Die Fiskalpolitik verschuldet sich und die dazu neu ausgegebenen Schuldtitel werden von der Bank of Japan aufgekauft. Das neue Zentralbankgeld gelangt durch umfangreiche Infrastrukturprojekte und Transferzahlungen des Staates in die japanische Volkswirtschaft. Damit es tatsächlich zur gewünschten Preiswirksamkeit kommt, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Zusammengefasst schlägt Japans Notenbank bei Erfolg drei Fliegen mit einer Klatsche. Die Banken profitieren von einer ertragsreicheren Fristentransformation. Die Wirtschaft kommt in den Genuss von nachhaltigen Infrastrukturprojekten, die auch zu privatwirtschaftliche Folgeinvestitionen führen und damit Japan nachhaltig aus der Deflation befreien können. Und der Staat entledigt sich über Inflation seiner dramatischen Überschuldung. Die Dummen dabei sind allerdings die japanischen Sparer, deren Zinsvermögen über negative Realrenditen dramatisch entspart werden.
Es bleibt abzuwarten, ob diese geldpolitischen Maßnahmen die volkswirtschaftliche Wende zum Besseren erbringen.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Die Liquiditätshausse dominiert alles
Insgesamt halten sich die fundamentalen Argumente für Aktien in engen Grenzen. So hat die OECD jüngst ihre globale Wachstumsprognose für 2016 auf 2,9 nach 3,0 Prozent und 2017 auf 3,2 nach 3,3 Prozent gesenkt.
Selbst die erholte Konjunkturstimmung im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands und der Eurozone sollte nicht als Trendwende interpretiert werden. Es fehlen noch die harten Fakten. Insbesondere die Stimmung im Dienstleistungssektor – in Deutschland fiel der Einkaufsmanagerindex auf ein 16-Monats-Tief von 51,7 auf 50,6 – leidet stark unter den Symptomen einer konjunkturell und geopolitisch verunsicherten Nachfrage. Insgesamt bleibt die Konjunkturerholung der Eurozone blutleer.
Unter normalen Bedingungen wäre eine gesunde Skepsis der Anleger dem Aktienmarkt gegenüber auch mit Blick auf geopolitische Gefahrenherde grundsätzlich angebracht. „Unnormalerweise“ kommen jedoch anhaltend starke Aktienargumente von der Geldpolitik als alles überstrahlende Faktoren. Der nachhaltige Ausfall des Zinsvermögens als attraktive Alternativanlageklasse bleibt ein massiv aktienstützendes Element.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Stabilisierungsversuche nach dem Rutsch
Charttechnisch trifft eine fortgesetzte Erholung im DAX bei 10.679 Punkten auf ersten Widerstand. Darüber warten Barrieren bei 10.743 und 10.802. Im Falle einer fortgesetzten Korrektur trifft der Index bei 10.535, 10.490 sowie 10.420 auf erste Unterstützungen. Darunter treten die Haltelinien bei 10.383, 10.250 und schließlich 10.128 Punkten in den Vordergrund.
Im Euro Stoxx 50 kommt es zur weiteren Entspannung, wenn der Widerstand bei 3.063 überwunden wird. Kommt es zu einer Gegenreaktion, warten erste Unterstützungen bei 3.043 und 2.992 Punkten. Darunter liegt eine Unterstützungszone zwischen 2.950 und 2.930. Wird diese spürbar unterschritten, drohen weitere Kursverluste bis zur nächsten nennenswerten Auffanglinie bei 2.690 und darunter in Richtung des bisherigen Jahrestiefs bei 2.672 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 39 – Was macht der ifo?
Auf dem Treffen der OPEC-Staaten mit Russland vom 26. bis 28. September in Algier dürfte es erneut zu keiner Einigung auf Öl-Fördergrenzen kommen, die den Ölpreis nachhaltig nach oben stabilisieren.
In China signalisiert die Verstetigung des vom Finanzdatenanbieters Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine Konjunkturstabilisierung auf allerdings niedrigem Niveau.
In den USA verdeutlichen im August erneut rückläufige Auftragseingänge für langlebige Güter die angeschlagene Situation der US-Industrie. Hinzu kommt, dass sich auch das US-Konsumentenvertrauen laut Daten des Conference Board eintrübt.
In der Eurozone bestätigen schwache Inflationsschätzungen für September die EZB in ihren Bestrebungen einer nachhaltigen geldpolitischen Lockerung. Auch das von der EU-Kommission veröffentlichte Industrievertrauen bleibt verhalten.
In Deutschland dürfte die ifo Geschäftsklimadaten ihren Abwärtstrend der letzten beiden Monate stoppen, ohne jedoch einen nennenswerten Aufwärtstrend einzuschlagen. Währenddessen zeigt sich die Binnenkonjunktur gemäß GfK Konsumklimaindex und Einzelhandelsumsätzen robust.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
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