27.02.2016, 9785 Zeichen
Nach der ersten Betrachtung des Unternehmens National Oilwell Varco (kurz NOV), über das kürzlich ein Artikel veröffentlicht wurde, habe ich nun etwas Zeit damit verbracht, den gerade erschienenen Jahresbericht (Form 10-K) genauer zu lesen. In diesem Artikel möchte ich jene Aspekte beleuchten, die dem Unternehmen meiner Ansicht nach das größte Kopfzerbrechen bereiten werden und die dafür verantwortlich sein könnten, dass der Aktienkurs der Gesellschaft doch deutlich gefallen ist.
Umsatzentwicklung der NOV
Sparte | 2015 | 2014 | Delta |
Rig Systems | 6964 | 9848 | -29,3% |
Rig Aftermarket | 2515 | 3222 | -21,9% |
Wellbore Technologies | 3718 | 5722 | -35,0% |
Completion & Production | 3365 | 4645 | -27,6% |
Zahlen in Mio (nicht konsolidierte Basis) |
Diese Tabelle ist vor intersegmentären Umsätzen zu verstehen. Man sieht, dass ein Segment, nämlich Rig Systems, für fast die Hälfte der Umsätze verantwortlich ist, gefolgt von Wellbore Technologies. Genau diese beiden Segmente waren es aber, die die heftigsten Umsatzrückgänge zu verzeichnen hatten.
Es wird außerdem ausgeführt, dass der Fokus des Verkaufs- und Auftragsvolumens ab 2010 insbesondere auf den deutlichen Ausbau der weltweiten Tiefseebohrflotte zurückzuführen war. Hier stellt sich schon die Frage, ab wann man realistischerweise wieder mit steigendem Bestellvolumen für Tiefseeausrüstung rechnen kann. Gerade die offshore-Produktion sollte derzeit besonders unrentabel sein.
Zwei Segmente, nämlich Rig Systems und Completion & Production veröffentlichen auch Zahlen zum order backlog, also eine Art Auftragsbestand für besonders komplexe, individuelle Bestellungen. Dieser order backlog betrug für Rig Systems per Ende 2015 etwa 6,1 Mrd. USD und für C & P etwa 1 Mrd. USD. Das große Problem an dieser Stelle scheint ebenfalls die starke Abhängigkeit vom offshore-Bereich zu sein. Nicht weniger als 90% des order backlogs in Rig Systems und 75% des order backlogs in C & P betreffen offshore-Produkte. Im Speziellen gibt es einen größeren Auftrag in Brasilien, bei dem es schon erste Stornierungen gegeben zu haben scheint und in Bezug auf den noch immer 1,8 Mrd. USD im Auftragsbestand enthalten sind.
Mit einem Kunden, nämlich Samsung Heavy Industries, wird besonders viel Geschäft gemacht. 2013 überstieg der Umsatz mit diesem einen Kunden sogar 10% des Gesamtumsatzes von NOV. Dieser Kunde ist eine Werft, die beispielsweise als eine Art Generalunternehmer für Bohrschiffeigentümer und offshore-Bohrunternehmen agiert. Viele dieser Unternehmen wollen auf den Bohrschiffen Equipment von NOV installiert haben und deshalb wird Samsung Heavy Industries beliefert. Auffällig ist der unschöne Umsatzrückgang mit diesem Kunden. Während 2013 wie erwähnt noch über 10% des Umsatzes auf Samsung HI entfielen, waren es trotz absolut eindeutig rückläufiger Umsatzbasis 2015 nur mehr 4%.
Es ist überhaupt gut möglich, dass das Umsatzniveau, das 2015 über das Jahr gesehen erzielt wurde, noch nicht die Talsohle darstellt. Wenn man sich den Quartalsverlauf ansieht, wird das wahre Ausmaß des Umsatzrückganges erst deutlich. Außerdem gab es ja Anfang 2016 noch ein deutliches weiteres Absacken des rig counts. Der Auftragseingang im Segment Rig Systems kam im Q4 2015 mit 89 Mio. USD praktisch zum Erliegen. Schlussendlich rechnet das Unternehmen selbst im Ausblick auf 2016 nicht mit einer baldigen Erholung der Bohraktivität.
Wenn man davon ausgeht, dass die Bohraktivität, der rig count und das Nachholen von verschobenen Reparaturen nicht in den nächsten Monaten stark anzieht, dann besteht die Gefahr, dass im Jahr 2016 eher noch schlechtere Zahlen auf der Umsatz- und Ertragsseite erzielt werden, als 2015.
Zur Bilanz
Praktisch der gesamte Cashbestand (2 Mrd. USD) des Unternehmens liegt außerhalb der USA, obwohl nicht unwesentliches langfristiges Anlagevermögen dort stationiert ist und außerdem viel Umsatz in den USA erzielt wird. Das Problem hier, von dem sehr viele US-Amerikanische Unternehmen betroffen sind, ist, dass bei einer Rückführung dieser liquiden Mittel noch Steuern für die Repatriierung anfallen. Das nimmt dem Unternehmen einiges an Flexibilität, wenn man beispielsweise statt der Rückführung des Geldes neue Kredite aufnehmen muss und erfordert außerdem eine Diskontierung des Cashbestandes. Das wiederum verschlechtert das Gearing etwas. Auch die Aktienrückkäufe wurden ja zum Teil auf Kredit finanziert.
Es zeigt sich im Vergleich zu 2014 bereits ein Anstieg der faulen Forderungen an Kunden. Während 2014 nur 2,7% der Bruttoforderungen wertgemindert waren, belief sich dieser Prozentsatz in 2015 bereits auf 5,2%. Aufgrund der Tatsache, dass viele Förderer in 2015 wahrscheinlich noch Hedging-Vereinbarungen hatten und der Ölpreis in 2016 noch weiter gefallen ist, wird man möglicherweise noch eine größere Pleitewelle im Kundenportfolio von NOV sehen. Ich würde also konservativerweise nicht davon ausgehen, dass die Forderungen in Höhe von rund 3 Milliarden USD alle werthaltig sind.
In Bezug auf den Goodwill in Höhe von fast 7 Mrd. USD sehe ich auch die latente Gefahr weiterer Abwertungen. Es findet sich bereits der Hinweis, dass in bestimmten Geschäftsbereichen (z.B. „Rig Offshore“) der Impairmenttest nur knapp noch keine Abwertung indiziert hat. 1,2 Mrd. des Goodwills sind im Segment Rig Systems zu finden und fast 3 Mrd. im Segment Wellbore Technologies. Das sind genau jene Segmente, die die heftigsten Umsatzrückgänge erfahren haben. 2 Mrd. USD Goodwill entfallen auf Completion & Production. Und alle diese Segmente hängen möglicherweise stark an den offshore-Aufträgen. In Bezug auf die anderen intangibles, die jährlich abgeschrieben werden, entfällt der größte Teil, nämlich rund 2,4 Mrd. USD auf Kundenbeziehungen. Im worst case sind natürlich Beziehungen zu Kunden, die ihrerseits in großen Schwierigkeiten stecken, auch weniger wert.
Ähnliches ist zu den Vorratsbeständen zu sagen. Ich habe das im ersten Artikel kurz angesprochen, aber zuerst vermutet, dass die leicht gestiegene Vorratsintensität eher auf die Aktienrückkäufe und das Goodwill-Impairment zurückzuführen ist. Ein genauerer Blick auf die inventories zeigt aber, dass trotz dem deutlich rückläufigen Geschäftsvolumen vor allem die Fertigerzeugnisse bei 3 Mrd. USD gleich geblieben sind, während nur die Roh- und Halbfertigprodukte abgenommen haben. Mitunter dürfte es zumindest punktuell schon Probleme geben, bereits fertige Erzeugnisse zu verkaufen. Insofern sollte man auch eine Abwertung der Vorräte in Betracht ziehen, vor allem wenn zusätzlicher Preisdruck von den Kunden und/oder den Konkurrenten zu verspüren ist. Gleichzeitig ist aus dem Rückgang der Roh- und Halbfertigerzeugnisse möglicherweise auf noch weiter sinkende Umsätze zu schließen.
Es existiert eine große Kontokorrentkreditlinie, die nur zu einem Teil ausgenutzt ist. In Bezug auf diese Finanzierung gibt es einen covenant, der auf ein maximales Gearing abstellt. Es wird nicht genannt, wie hoch diese Grenze ist. Aber im worst case, nämlich bei einem Zusammentreffen von Forderungsausfällen, Vorratsabwertungen und erheblichen Abschreibungen von Immaterialgütern könnte von dieser „Front“ große Gefahr drohen, weil all diese Vorgänge logischerweise das Gearing negativ beeinflussen. Das gepaart mit der Tatsache, dass man den Großteil des Cashbestandes erst nachversteuern müsste, wenn man ihn in die USA holt, gefällt mir gar nicht.
Die Verbindlichkeiten sollten außerdem noch etwas erhöht werden. Erstens gibt es fixe Zahlungsverpflichtungen von insgesamt 370 Mio. USD für Altersvorsorgen der Mitarbeiter. Zweitens gibt es Mindestleasingverpflichtungen von insgesamt 922 Mio. USD. Das scheinen undiskontierte Werte zu sein, also sollte es reichen, nur einen Teil davon zu den Verbindlichkeiten zu zählen.
Verschiedene andere Faktoren
Auch wenn davon derzeit nicht viel zu merken ist, besteht zumindest theoretisch das Risiko, dass man unter weiteren Sanktionen westlicher Länder vor allem gegen Russland leidet. NOV macht aber direkt in Russland – wie ich der geographischen Aufteilung des Umsatzes entnehmen konnte – kaum Geschäft, insofern scheint das kein ganz so großes Risiko zu sein.
2015 wurde von NOV eine Dividende von insgesamt über 710 Mio. USD ausgeschüttet. Da diese Summe ein Gutteil des in diesem Jahr erwirtschafteten Free Cashflows war, gehe ich persönlich nicht von einer Aufrechterhaltung der Dividende in dieser Höhe aus. Abgesehen davon wäre ein Einbehalten ohnehin auch aus ökonomischen Überlegungen wünschenswert.
Die Investitionen in das Sachanlagevermögen sind auf dem tiefsten Punkt seit mindestens fünf Jahren angekommen und liegen um mehrere hundert Mio. USD unter den Abschreibungen. Ich kann keine Aussage zum nachhaltig notwendigen Investitionsniveau treffen. Man sollte aber ein Auge darauf haben, ob hier nicht mittelfristig eine „Unterinvestition“ die Folge ist.
Fazit
Ich werde NOV vorerst nicht in mein Portfolio aufnehmen. Es kann natürlich sein, dass ich mich vom derzeit absolut rabenschwarzen Informationsfluss über die Ölbranche etwas zu sehr unterkriegen lasse. Aber das, was ich aus dem Bericht mitgenommen habe, hinterlässt gewisse Zweifel, ob die Krise in der Öl- und Gasindustrie nicht noch stärker auf das Geschäft und vor allem die Bilanz von NOV durchschlagen wird. Auch die scheinbar große Abhängigkeit vom Tiefseebereich ist momentan sicher kein Vorteil (kann aber langfristig wieder eine Chance darstellen). Wenn sich Impairments, Forderungsausfälle und Umsatzrückgänge häufen und schließlich die meiner Meinung nach dringend notwendige Streichung der Dividende vorgenommen wird, werde ich mir das Unternehmen aber noch einmal ansehen. Ich habe nämlich schon den Eindruck gewonnen, dass NOV eine Fixgröße in einer weiterhin wichtigen Branche mit langfristig sehr guten Ertrags- und Wachstumsmöglichkeiten ist.
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Börsepeople im Podcast S16/03: Thomas Soltau
Samsung Electronics
Uhrzeit: 15:57:19
Veränderung zu letztem SK: -2.98%
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