08.03.2015, 10706 Zeichen
Zu Anfang zwei eher philosophische, für diesen Post aber existentielle Fragen:
Worin liegt die gesellschaftlich relevante Notwendigkeit des Kapitalismus begründet?
Was ist ein langfristig unverzichtbarer Bestandteil des Kapitalismus?
Ein Kernpunkt (von sicherlich mehreren) besteht darin, dass wir in einer sich verändernden, von dauerhaftem technischen Fortschritt geprägten Welt leben und Fortschritt eng mit Risiko und Fehlschlag einhergeht. Beständig ist in einer sich verändernden Welt somit einzig und allein der Wandel. Genau dieser Punkt bereitet dem auf zukünftige Erträge fokussierten Investor Unbehagen, welcher sich auf die Prognostizierbarkeit der Erträge eines Unternehmens bis weit in die Zukunft verlassen können muss.
Wie wäre es also, wenn wir es ganz nach Charlie Munger halten („Invert! Always invert!“) und die Lage auf den Kopf stellen? Anstatt die permanente Veränderung durch Konkurrenten als Bedrohung und Gefahr zu sehen, sollten wir uns Geschäftsmodelle und Unternehmen heraussuchen, die von diesem Wandel leben und profitieren und gleichzeitig selbst nur minimal von ihm betroffen sind.
Ein solches Unternehmen dürfte die ITE Group sein.
Die ITE Group plc organisiert kommerziell Messen und Ausstellungen zu den neuesten Trends und Entwicklungen einer bestimmten Branche oder eines bestimmten Bereichs im B2B Bereich, hauptsächlich für Schwellenländer, und macht seinen Umsatz größtenteils in Asien, speziell in Russland. Die Strategie des Managements sieht es vor, durch organisches Wachstum und Akquisitionen zu wachsen.
Großer Pluspunkt eines erfolgreichen Messebetreibers ist der lokale Netzwerkeffekt, welchen das Unternehmen selbst als große Eintrittsbarriere für Konkurrenten sieht, sowohl was die Kosten für die Organisation und den Aufbau eines internationalen Teams angeht als auch die Überredungskunst Aussteller von ihrer Veranstaltung zu überzeugen, wenn diese bereits anderen Ortes ausstellen. Faktisch wollen Teilnehmer und Aussteller eines speziellen Bereiches sich auf genau einer und nicht mehreren Veranstaltungen treffen, wissend, dass zukünftige Geschäftspartner ebenfalls auf dieser und keiner anderen anzutreffen sein werden. Hat sich eine Veranstaltung erst einmal etabliert, ist es für Konkurrenten nahezu unmöglich diesen „Burggraben“ zu überwinden, woraus natürliche Monopole entstehen. Statt massiven Konkurrenzkämpfen kommt es deshalb auch öfters zu Joint Ventures.
Als Folge ergeben sich rentable Margen, hohe Renditen auf das eingesetzte Kapital bei so gut wie keiner Schuldenlast, ein praktisch negatives Working Capital, da Aussteller im Voraus bezahlen, Kosten aber erst einige Zeit nach der Veranstaltung beglichen werden müssen und ein hoher Free Cashflow.
Außerdem ist das Unternehmen durch die flexible Kostenstruktur und das mit dem Geschäftsmodell einhergehende „natürliche Hedgen der Devisen“ (Kosten und Ertrag erfolgen in derselben Währung; Umsatz in Euro, USD, Rubel und anderen Währungen) in turbulenten Zeiten zumindest teils abgesichert und langfristig anpassbar. Zur weiteren Absicherung geht das Unternehmen Derivate Kontrakte im Devisenmarkt ein.
Weitere Vorzüge der ITE Group sind ihr Fokus auf Länder mit hohem GDP Wachstum und die Tatsache, dass sie (anders als beispielsweise Peer MCH Group) sich auf die Organisation beschränken und die entsprechenden Ausstellungshallen nur mieten. In den Verträgen mit diesen venue-Partnern wird außerdem festgehalten, dass die Miete an die Auslastung der Veranstaltung gekoppelt ist. Hier können also notfalls wieder Kosten eingespart und die Marge gesichert werden.
Auf der anderen Seite gab es in der Vergangenheit auch schon Ausstechungsversuche der venue-Partner, welche Verträge nicht verlängerten und eine eigene Veranstaltung, konkurrierend zur bereits bestehenden, starteten. (So geschehen mit dem russischen Event „Mosbuild“, anscheinend jedoch nur mit mäßigem Erfolg.)
Zudem ist ein gewichtiger Nachteil des Geschäftsmodells die Notwendigkeit über Akquisitionen zu expandieren, da um bereits bestehende Veranstaltungen ein weiter Burggraben entstanden ist. Diese (meist nicht billigen) Akquisitionen drücken wiederum den bekannten „Compounding“-Effekt, was sich letztlich in der Rendite auf einbehaltene Gewinne zeigt. Hier stellt sich der Wettbewerbsvorteil also gewissermaßen auch als Wachstumshindernis heraus. Hinzu kommt die Tatsache, dass die ITE Group stark abhängig von der konjunkturellen Lage ist.
So weit, so gut…
Jahr | UmsatzIn ´000gbp | GewinnIn ´000gbp | FCFIn ´000gbp | Angepasster Gewinn In ´000gbp | AnzahlAktienIn ´000 |
2004 | 60800 | 10721 | n.a. | 16800 | 281638 |
2005 | 78500 | 15530 | n.a. | 22300 | 282331 |
2006 | 82400 | 17401 | 26700 | 24700 | 259212 |
2007 | 99100 | 22978 | 32800 | 31600 | 255730 |
2008 | 110100 | 23500 | 47300 | 46000 | 252140 |
2009 | 116700 | 30435 | 25800 | 25300 | 239382 |
2010 | 113500 | 23873 | 42600 | 41400 | 242892 |
2011 | 155500 | 30728 | 53104 | 52300 | 244767 |
2012 | 172312 | 31486 | 44100 | 48400 | 245164 |
2013 | 192261 | 34665 | 55200 | 55000 | 247025 |
2014 | 174800 | 33903 | 38900 | 46000 | 249000 |
(Die in der Tabelle ausgewiesenen FCFs sind aus den jeweiligen ARs übernommen und unterscheiden sich teilweise erheblich von den an anderer Stelle genannten FCFs/ bspw. Im AR 2014 Seite 3; Grund ist vermutlich die nachträgliche Veränderung der IFRS)
Bei der Betrachtung der Ergebnisse fällt sofort auf, dass sich Gewinn und FCF stark unterscheiden und der FCF dauerhaft höher als der Gewinn ist. Dieser Effekt ist darauf zurückzuführen, dass Akquisitionen fast ausschließlich über dem Buchwert durchgeführt werden und jährlich nicht-cash-flow wirksame Abschreibungen bezüglich Goodwill und erworbenen Intangibles das Ergebnis belasten.
Diese sind jedoch nach der Buffett´schen Definition der shareholder earning´s als steuerhemmende Einmaleffekte zu werten, da die Instandhaltungskosten (maintenance capex) sich nur minimal auf das Folgejahr auswirken.
Dennoch vernachlässigt auch der FCF reale Kosten und Gewinne, weshalb ich den FCF um diese bereinigt als angepasste Gewinne in der später folgenden Tabelle erfasst habe. (Nicht enthalten war beispielsweise die Entlohnung des Managements in Form von Aktienoptionen)
Vereinfachte Bilanz in ´000 GBP | 30. September 2014 |
Aktiva | |
Goodwill & Immat. Vermögensgegenstände | 100,000 |
Sachanlagen | 4,200 |
Investments & Joint Ventures | 52,300 |
Cash | 28,000 |
Kurzfristige Forderungen | 55,000 |
Derivate | 3,300 |
242,800 | |
Passiva | |
Nicht zinstragende Verbindlichkeiten | 93,000 |
Zinstragende Verbindlichkeiten | 43,000 |
Derivate | 1,500 |
Eigenkapital | 105,300 |
242,800 |
Generell gehe ich bei der Bewertung von Unternehmen mit größeren immateriellen Vermögenspositionen so vor, als wären diese bereits komplett abgeschrieben. Deshalb ziehe ich bei der Berechnung der Rentabilität des Eigenkapitals Goodwill & Immaterielles (Software rechne ich den Sachanlagen zu) vollständig vom Eigenkapital ab.
Hier zeigt sich schon die enorme Profitabilität des kapitalleichten Modells. Bei genauerem Überlegen kam mir der Gedanke, dass eigentlich auch ein großer Teil des Wertes der Investments & Joint Ventures aus nicht gebundenem Kapital, sprich G&I besteht und theoretisch ebenfalls abzuziehen wäre, was das gebundene Eigenkapital ins Negative ziehen würde. Auch darüber, ob Cash und kurzfristige Forderungen nicht ebenfalls bei dieser Form der Rentabilitätsrechnung abgezogen werden müssten, lässt sich streiten.
Fest steht dafür aber eindeutig, dass die ITE Group ihr Eigenkapital und ihre kompletten Aktiva weit überdurchschnittlich verzinst und ein inflationssicheres Geschäftsmodell betreibt, quasi ein „Brückenunternehmen“ darstellt. (dazu der Aufsatz von Buffett: „Businesses – the great, the good and the gruesome“)
Allerdings haben wir damit nur die attraktive Verzinsung des bestehenden Geschäfts bewiesen und nicht die Verzinsung der einbehaltenen Gewinne. Bestehende Veranstaltungen lassen sich (leider) nicht endlos durch zusätzliche Kapitalspritzen erweitern, weshalb einbehaltene Gewinne nur begrenzt mit dieser extrem starken Rendite verzinst werden können und stattdessen in Akquisitionen fließen.
Jahr in ´000gbp | Angepasste Gewinne | Dividenden | Aktienrückkauf | Einbehaltene Gewinne | Anzahl Aktien |
2004 | 16,800 | 6,000 | 10,800 | 281,638 | |
2005 | 22,300 | 7,000 | 15,300 | 282,331 | |
2006 | 24,700 | 7,100 | 1,100 | 16,500 | 259,212 |
2007 | 31,600 | 9,600 | 17,500 | 4,500 | 255,730 |
2008 | 46,000 | 12,000 | 8,000 | 26,000 | 252,140 |
2009 | 25,300 | 12,600 | 12,700 | 239,382 | |
2010 | 41,400 | 13,300 | 28,100 | 242,892 | |
2011 | 52,300 | 14,100 | 38,200 | 244,692 | |
2012 | 48,400 | 15,200 | 33,200 | 245,165 | |
2013 | 55,000 | 16,300 | 38,700 | 247,025 | |
2014 | 46,000 | 17,400 | 28,600 | 249,000 |
Berechnet man hier traditionell die Rendite auf einbehaltene Gewinne, so ergibt sich ein relativ durchschnittlicher Wert von ca. 13%. Allerdings halte ich diese Rendite für nicht dauerhaft repräsentativ, da sich die ITE Group in einem zyklischen Tief befindet. Ausgehend vom letzten Jahr wäre die Rendite bereits bei 20,5%.
Um die Volatilität der Gewinne zu verstehen sei noch gesagt, dass manche Veranstaltungen der ITE Group in sich nur langsam verändernden Sektoren nicht jährlich, sondern nur jedes zweite Jahr stattfinden. Deshalb sollten die Ergebnisse im 2-Jahres-Takt verglichen werden.
Auffällig ist zudem das extreme Wachstum bis 2008 und das anschließend eher lahmende. Hier spielt sicherlich auch der Faktor Wirtschafts- und Finanzkrise neben der Russland-Ukraine-Krise eine Rolle. Da Kunden der ITE Group ein Jahr im Voraus reservieren, spiegeln sich Krisen generell erst im Folgejahr in der Ertragsrechnung wider wie an den Jahren 2008 und 2009 ersichtlich wird.
Hinzu kommt allerdings noch, dass die ITE Group in den nächsten 5 Jahren nur wenige Millionen Pfund reinvestieren müsste und dennoch am Ende der Laufzeit ziemlich sicher auf Grund von organischem Wachstum und Preiserhöhungen höhere Einnahmen verzeichnen könnte. Zukäufe verzerren diesen Effekt und überschatten somit wiederum die Profitabilität der Reinvestitionen. Langfristig dürfte sich das Wachstum ohne Zukäufe jedoch in Grenzen halten.
Für die Zukunft gehe ich von einer Rendite auf einbehaltene Gewinne in Höhe von ca. 15% aus, da mit zunehmender Größe auch immer weniger Möglichkeiten für ökonomisch sinnvolle Akquisitionen verbleiben.
Somit ergibt sich für mich ein Unternehmen, welches sein gebundenes Kapital extrem gut verzinst und auf einbehaltene Gewinne immer noch eine gute bis zufrieden stellende Rendite erzielt. Oder anders ausgedrückt: Das Unternehmen selbst ähnelt einer Ansammlung von See´s Candies, welches die hieraus entstehenden Gewinne mit einer durchschnittlichen Rendite verzinst.
Im Teil 2 geht es dann um die Bewertung der ITE Group.
Anmerkung von Daniel Koinegg: Moritz Leonhardt hat sich ebenfalls dazu bereit erklärt, Gastartikel für Bargain Investments zu verfassen. Darüber sind wir sehr froh, da wir der Meinung sind, dass Moritz in der Lage ist, qualitativ äußerst hochwertige Analysen zu verfassen. Vergesst nicht, ihm Euer Feedback zu hinterlassen.
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