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Für den WIENER: Wie interessiert man junge Leute für Aktien?

BayWa – Das mit dem Acker war mal ... - Börse Social Magazine #06

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Manager der Wiener Privatbank begaben sich mit Studierenden der FH St. Pölten und dem Börse Social Magazine zum Brainstorm-Plausch.

Kurz die Vorgeschichte: Börse Social Magazine-Herausgeber Christian Drastil komponierte für seine monatliche WIENER-Kolumne (siehe Doppelseite davor) ein Roundtable-Gespräch zum Thema „Junge Leute und Aktien“. Michael Müller, Marketingmann der Wiener Privatbank, stellte spontan die Location. Mit Bankvorstand Edi Berger und Fondsmanager Wolfgang Matejka kam die Top-Riege der Gastgeber dazu. Die Gesprächspartner/innen waren Monika Kovarova-Simecek, FH-Dozentin und Lecturer Department Medien und Wirtschaft an der Fachhochschule St. Pölten, die mit den drei Studentinnen Tatjana Aubram, Madeleine Serlath und Jasmin Wolf-Veigel kam, sowie das Börse Social Magazine, das mit  Michael J. Plos und eben Drastil vertreten war. Die Banker eröffneten ... Fotoset: http://photaq.com/page/index/3137 

 

Edi Berger: Kurze Vorstellung? Gerne! Ich bin seit 2011 Mitaktionär und Vorstand für Marktgeschäfte dieser Bank. Wir sind eine zwölf Jahre junge Privatbank, die sich auf Veranlagung und Beratung in Wiener Wohnimmobilien - das ist der Background der Großaktionäre Kerbler und Kowar - kümmert. Wolfgang Matejkas und mein Geschäft ist das Veranlagungsgeschäft. Wir beraten u.a. Privatkunden, Firmenkunden oder Fondsmanager in Veranlagungsfragen und betreuen ungefähr 1,8 Mrd. Euro an Vermögen. Was eine beeindruckende Zahl ist. Wir scheuen uns nicht vor Einzelstrategien - das macht auch den Unterschied zu alteingesessenen Mitbewerbern aus, die vor allem auf strukturierte Lösungen gehen und Einzeltitel oder Einzelfälle kaum anschauen wollen. 

Wolfgang Matejka: Das aktive Fondsmanagement und das aktive Asset-Managen ist in unserem Bereich eine Art Kunst oder eine Art Gewerbe, das kurzfristig ein wenig als „old-fashioned“ gegolten hat. Weil sehr viele Quantitative, ETFs, automatisierte Produkte etc. entstanden sind. Seit einiger Zeit - und da spreche ich von 18 bis 24 Monaten - merkt man, dass der aktive Manager, der sich etwas überlegt und ein bisserl mehr traut als der Rest, durchaus auch belohnt wird.

Michael J. Plos: Wie wird man eigentlich Fondsmanager?

Matejka (lacht): Ich habe mein Berufsleben in einer Bank begonnen. Zuerst habe ich mich zwar an der Filmakademie im Bereich Film und Fotografie gesehen, aber das war furchtbar - ein reiner Beziehungsstadl. Dann habe ich gesagt, ich verdiene mir meine eigene Hasselblad (Anm.: Kamera-Marke) und bin in die Bank gegangen. Und im Bankgeschäft bin ich bis heute. Zu Beginn meiner Laufbahn, da war ich in einer Filiale in Maria Enzersdorf tätig, hat sich ein Bewusstsein für Veranlagung gebildet. Das wurde damals allerdings nicht abgedeckt - schon gar nicht bei Aktien. Wenn, dann hat man ein paar Staatsanleihen gekauft und das war es dann auch schon. Und ich hab mich dann hineingegraben in die Materie und das eine oder andere Mal selbst begonnen zu investieren. Da hab ich mir gesagt - he cool. Das war 1987 oder noch früher. Meine erste Aktie war Lenzing - um 500 Schilling. Drei Tage später habe ich 800 Schilling dafür bekommen. Und ich hab wochenlang schlecht geschlafen, weil ich gedacht habe, dass irgendjemand jetzt kommt und die 300 Schilling haben will.

Berger: Du hast also damals schon aktives Management betrieben. Zur Erklärung: Passiv heißt, man kauft den Index. Man kauft einen ETF, weil der eh so gut ist wie der Index. Das ist in guten Börsezeiten oft richtig. In schlechteren Zeiten trennt sich dann aber die Spreu vom Weizen. Da kommen Kunden wieder zurück und sagen: Wir hätten lieber einen aktiven Manager, der auf uns aufpasst. Überall im Leben soll alles billiger werden. Ich sag zu Kunden bzw. Geschäftspartnern immer dazu - das ist jetzt ein gutes Stichwort oder eine Schlagzeile: „Ich bin auch seit 30 Jahren Anleger - und ich habe meine Jahresperformance noch niemals über Spesen definiert.“

Christian Drastil: Monika, du bist eine sehr aktive FH-Dozentin. Was macht ihr denn mehr als die anderen? Was tut ihr alles im Bereich Finanzen, Financial Literacy und Kapitalmarkt?

Monika Kovarova-Simecek: Das Thema Wirtschafts- und Finanzkommunikation war vor vier Jahren, als ich gekommen bin, eigentlich nicht präsent. Wir haben unterschiedliche Studiengänge zu Media- und Kommunikationsberatung, auch zu Medienmanagement. Aber genau diese Lücke an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Finanzmarkt und Kommunikation war eigentlich nicht abgedeckt: Wie kommunizieren Unternehmen?  Nicht nur im IR-Bereich, sondern im Allgemeinen. Und umgekehrt: Wie informieren sich Anleger, speziell Privatanleger? Und in diesem Zusammenhang - und da ist die Tatjana ganz stark am Werk - haben wir uns auch  dem Thema Financial Literacy gewidmet: Wo geht man hin, wenn man nicht weiß, was man mit dem Geld machen soll? Geht man zu Bekannten, zu Eltern oder schaut man sich wirklich auch „formale“ Informationsquellen an. Und dann haben wir auch einen Vergleich mit der Schweiz gezogen. Das sind natürlich zwei extreme Länder, weil Geld sehr unterschiedlich veranlagt wird und auch der Wissensstand sehr unterschiedlich ist. Mittlerweile sind wir so weit, dass wir einen eigenen Masterstudiengang für Finanz und Wirtschaftskommunikation entwickeln, der 2018/19 starten soll.

Berger: Zu Ihrer Studie, wie sich Privatanleger informieren. Gibt es eine Conclusio daraus? Mein Vorurteil wäre „sporadisch und wie es gerade modern ist oder auch nicht“. ...

Kovarova-Simecek: Richtig! Wir können auf Basis der Ergebnisse nicht behaupten, dass es sich bei der Finanzkommunikation um einen standardisierten Prozess handelt. Als Conclusio könnten wir aber festhalten, dass das Informationsverhalten genauso wie das Anlageverhalten sozialisiert ist. Das heißt: Zumindest in Österreich ist Familie oder das vertraute Umfeld die Informationsquelle Nummer 1, und das mit Abstand. Unabhängig davon, ob diese Informationsquelle jetzt auch valide ist oder nicht - das ist das Problematische daran. Aber ich glaube, dass ein gewisser Vertrauens-Aspekt wichtig ist. Ich gehe dort hin, wo ich das Gefühl habe, ich kann mich auf diese Information verlassen. Und es ist sicher auch die Beobachtung: Haben die Eltern, die Kollegen, die Freunde das Geld gut veranlagt? Dann werde ich mich an dieses Beispiel halten. Das gute Sparbuch ist immer noch die Präferenz Nummer 1, weil man damit aufgewachsen ist. Das kriegt man im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt. Und es fehlt teilweise das Wissen, um es überhaupt zu hinterfragen. Mit steigender Financial Literacy werden aber dann andere Informationsquellen herangezogen. Das geht dann von diesem informellen Umfeld hin in Richtung Online-Quellen, Fachzeitschriften, etc. Während TV und Radio mehr oder weniger irrelevant sind, wie man sagen könnte. Und was wirklich absolut gar keine Rolle spielt ist Werbung. 

Matejka: Als Kontra-Indikator ist TV immer gut. Ab dem Zeitpunkt, wo der ORF über den ATX berichtet, ist es vorbei. 

Drastil: Es gab eh gerade wieder neue Experten-Kritik, dass der ORF da gar nichts macht. 

Michael J. Plos: Außer im Teletext.

Drastil: Ja, auf der Startseite gab es kürzlich die Nachricht „Buy für Agrana“. Wahrscheinlich als Gegenleistung für den verünglückten Zuckerschwerpunkt des ORF. Was mich interessieren würde - Tatjana, du bist vorhin von Frau Kovarova-Simecek erwähnt worden: Seit vier Jahren unterrichtet Frau Kovarova an der FH. Hast du dich vorher auch schon für das Thema interessiert? Oder ist der Input durch die Lehrkraft gekommen? 

Tatjana Aubram: Bei mir hat sich das entwickelt. Frau Kovarova unterrichtet sehr begeistert und hat damit nicht nur mich dazu gebracht, sich für dieses Thema zu interessieren. Sondern das haben mir auch einige Kolleginnen und Kollegen so erzählt.

Drastil: Ist das durchgängig? Ziehen da alle mit?

Kovarova-Simecek: Das Interesse ist sehr gestiegen. Als ich gekommen bin, waren in dem Wahlpflichtfach Finance fünf Studenten dabei. Wir haben ein Freifach Investor Relations ins Leben gerufen. Das Interesse dafür war überwältigend. Das Freifach - für das die Studierenden im Grunde außer einen Vermerk, dass sie daran teilgenommen haben, nichts haben - findet auch noch dazu an den Wochenenden statt. Und wir haben trotzdem zumindest am Beginn über 60 Interessenten gehabt, 28 haben schließlich abgeschlossen. 

Matejka: Das trifft den Nerv der Kapitalmärkte. In Österreich hat man logischerweise durch die politische Situation die eine oder andere Hürde zu überspringen, die andere nicht haben. Weil das Thema Kapitalmarkt in den Regierungsprogrammen gar nicht vorkommt oder weil man sich sagt, die Börse ist sowieso nur ein Anhängsel der Bankenlandschaft. Was es definitiv nicht ist. Boston Consulting hat in einer Studie nachgewiesen, dass 60 Prozent des Aktienwerts oft nur durch Kommunikation besteht. Also „Internal Value”. Spätestens seit Watzlawick wissen wir: „perception is reality“. Und wenn wir investieren, dann investieren wir auch auf einer Basis der Kommunikation in Umwandlung auf Realitäts-Erwartung. Und genau das ist meines Erachtens nach in Österreich in vielen Investor Relations Abteilungen noch nicht perfekt besetzt. 

Drastil: Wie könnte man junge Menschen dazu bringen, eine Finanzmesse zu besuchen? Hat jemand eine Idee? Kugelschreiber, die immer gerne bei Messen hergegeben werden, kommen bei den jungen Menschen nicht mehr so gut an. Was könnte ein Messebetreiber also tun, damit der Altersschnitt sinkt?

Kovarova-Simecek: Wenn man diese Aufgabe einem einzelnen Messebetreiber umhängen muss, dann beneide ich ihn gar nicht. Der wäre wirklich arm. Das fängt ganz wo anders an. Das müsste man eigentlich schon vom frühesten Alter zum Thema machen. Weil ich denke, dass in den meisten Familien über Geld gar nicht gesprochen wird. Deshalb finde ich Initiativen, wie beispielsweise FLIP von der Erste Group, wirklich hervorragend. Im konkreten Fall wird die Zielgruppe der 9 bis 19jährigen angesprochen. Und da geht es nicht darum, wie man Geld veranlagt - das liegt ja auch nicht im Interesse eines Neunjährigen. Sondern, dass man ein Gespür dafür bekommt, wie viel Geld man so zur Verfügung hat und wofür man es ausgibt. Das wissen ja Neunjährige gar nicht. Und wie viel soll übrig bleiben, damit ich es für schlechtere Zeiten, für Bildung usw. aufspare. 

Matejka: Also ich meine, dass in jedem von uns hier - und da draußen logischerweise auch - ein Portfolio-Manager steckt. Weil wir selbst ja permanent Portfolios managen. Unser privater Ansatz ist ja nichts anderes, als dass wir Chancen und Risiken gegeneinander abwägen und dann, die aus unserer Sicht, optimale Variante wählen. Ob wir jetzt Schuhe einkaufen, ob wir einen Urlaub planen oder wenn wir essen kochen. Wir haben immer einen Ablauf bzw. eine Rezeptur. Was kaufen wir ein? Wen laden wir ein? Werden wir zufrieden sein, werden wir unzufrieden sein? Das alles sind Dinge, die uns eigentlich im Portfolio-Management vielleicht zahlenmäßig verbrämt. Nur: Im Aktienbereich gehen wir nicht in ein Restaurant und checken den Koch, sondern wir haben, bildhaft gesprochen, wahrscheinlich 500 Restaurants, wo wir genau wissen, wer wie was kocht und setzen daraus unser Lifetime-Menu zusammen. Aber die Grundprozesse sind die gleichen, wie wenn wir Schuhe einkaufen oder ein Menü kochen würden. Und betrachtet man nun Unternehmen, wie eine voestalpine, OMV oder Royal Dutch Shell, so gelten die gleichen Voraussetzungen. Die Firmen haben Geld - aus welchem Grund auch immer - und wollen mit dem Geld mehr machen - indem sie ihre Geschäftsidee erfolgreich umsetzen, und so mehr verdienen, als würden sie nichts tun. Die könnten ja theoretisch auch passiv Portfolio managen. Aber das tun sie nicht. Sie führen ihre Firmen aktiv. 

Drastil: Während der Schulzeit kommen einem immer wieder mal die Panini-Alben unter. In Wahrheit ist das der erste Aktienhandel. Ich hab einen Sticker, den du gerne hättest. Der Preis steigt. Ich bekomme drei für einen. So geht es los. Das ist bei den Kleinen ein stärkeres Thema als es bei den Großen am Stammtisch die Aktie ist.

Berger: Ich möchte noch etwas zur Messe ergänzen. Man hat bei uns in Österreich eh nur Wien als Finanzzentrum, weil ansonsten gibt es ja kaum eine Finanz-Szene. Vielleicht noch den einen oder anderen Rotary-Club in Linz und in Innsbruck. Man hat hier quasi das Gefühl, man ist in einer In-Sich-Gesellschaft. Man sieht immer dieselben Leute. Das überaltert natürlich. Da kommt wenig nach. Auch eine Schuld der Banken, dass wenig junge Leute aufgenommen werden. Jeder Headcount zählt gleich. Ob ich zehn Junge oder einen Erfahrenen nehme. Früher hatte man eine Reihe von Trainees. Und dann kommt noch ein Kulturunterschied dazu. Der große Unterschied in der europäisch/österreichischen Kultur zur angelsächsischen ist,  dass etwa in Amerika schon seit hunderten Jahren die Finanzwirtschaft ein Teil der Real Economy ist. Wir hingegen sprechen immer von Real Economy und von der Finanz Economy. Das ist ja völliger Blödsinn. Eine Börse entsteht ja erst dadurch, dass eine Firma für ihr weiteres Wachstum Eigenkapitalanteile ausgibt. Das heißt, jeder, der an der Börse investiert und eine Kapitalerhöhung kauft, sichert ja Arbeitsplätze der Real Economy. 

Drastil: Glaubst du, dass der Kunde, wenn er bei dir oder einer anderen Bank hinausgeht, das Gefühl hat, das interessiert mich jetzt, das nehme ich mit. Und das ev. auch beim Freundeskreis, am Tennisplatz oder wo auch immer bespricht? Es braucht ja schließlich Mundpropaganda, den Stammtisch etc.

Berger: Das ist meistens ein Überhitzungselement an der Börse. Wenn am Tennisplatz oder Golfplatz darüber diskutiert wird, wer an der Börse besser war, dann ist das meistens ein Warnsignal. Derzeit passiert das nicht. Bis vor einem Jahr war aber die Diskussion, wer geschickter war, weil er weniger verloren hat. Jetzt wird irgendwann wieder kommen, dass man damit angibt, etwas verdient zu haben. Aber in unserer Gesellschaft ist das prinzipiell ein Tabuthema. Ist es auch immer gewesen. 

Matejka: Das Geheimniskrämen um das persönliche Vermögen - das haben wir schon seit 500 Jahren in uns. Schon seit zu uns der Ritter von der Aggstein kommt und sich das holt, was so rumposaunt wird. In Europa hat man gelernt, sein Vermögen zu verstecken. In Amerika hat man diesen Calvinismus, wie es Eduard schon erwähnt hat. Da ist jeder stolz darauf, dass er etwas erreicht hat. Das, was bei uns allerdings stattfindet, ist ein gewisser Test. Man kommt aus einer Bankberatung raus oder hat etwas in den Medien gelesen, wie beispielsweise Agrana im Teletext. Man will sein Wissen oder seine Begehrlichkeiten mit jemandem teilen, von dem man halt das Gefühl hat, der könnte Feedback geben, das wertvoll ist. 

Berger: Die Diskussion lautet doch immer nur: Wo bekomme ich mehr Zinsen?

Matejka: Auf die Frage, wo bekomme ich die meisten Zinsen, muss man mal eine normale Antwort geben …

Drastil: Ich glaube, das ist mittlerweile aber auch schon weg vom Stammtisch. Zinsen gibt es nicht mehr, Zertifikate sind kein Stammtisch-Thema, bleibt die staatliche Prämie beim Bausparen.

Kovarova-Simecek: Staat ist etwas Stabiles. Da kann in den Köpfen vieler nichts schief gehen. 

Matejka: In den letzten 60 Jahren ist der österreichische Staat dreimal pleite gewesen. 

Kovarova-Simecek: Da können noch so viele Staaten bankrott gehen - die Staatsanleihen werden trotzdem in der Wahrnehmung das Sicherste bleiben. Wenn wir bei der Wahrnehmung sind: Es gibt ja diese IMAS-Studie, wo es darum geht, welche Wahrnehmung die Österreicher vom Kapitalmarkt haben. Darin steht unkommentiert, dass 93 Prozent der Befragten – immerhin mehr als 4000 Teilnehmer – meinen, sie würden niemals an die Börse gehen, weil sie diese als Spekulationshort sehen. Dort kann man im Grunde genommen nur verlieren. Das steht unkommentiert und ohne Gegenbeweis. Und wie hat sich der ATX nun entwickelt? Wie war er von den jeweiligen Krisen betroffen? 

Matejka: Es gibt auch kein politisches Bewusstsein dafür. Schweden und Norwegen sind hier Ausnahmen. Dort bekommt der Private Vergünstigungen  bei seiner Pensionsanlage, entweder Steuerbegünstigungen und/oder Erleichterungen in Hinblick auf die Kapitalmärkte. Überall dort, wo so etwas passiert, geht es den Leuten im Alter gut. Alle anderen müssen vom Staat abhängig bleiben. Die Verarbeitung der Finanzkrise 2008 ist eine ganz typische machtorientierte Argumentationslinie gewesen. Denn in Europa hat sicher keiner die Subprime-Houses in den USA so finanziert, dass halb Amerika jetzt plötzlich den Bach runtergeht. Das waren schon die Amerikaner selbst. Die Europäer waren dumm genug, es teilweise zu kaufen. Die waren eigentlich die Opfer. Die haben nämlich geglaubt, dass das S&P Rating mit AAA ein AAA ist - war es aber nicht. Und S&P hat gesagt, ja okay sorry. Aber die Pensionskassen und die Banken in Europa haben plötzlich alle gelitten und die IFRS-Bilanzierung - alles mark-to-market bilanzieren zu müssen - hat sie umgehaut. 

Kovarova-Simecek: In Bezug auf die AAA-Rating-Diskussion - dürfte ich da ganz kurz nachhaken und sie fragen, wie Sie das Rating bewerten würden?

Matejka: Das ist eine Spielregel. Die Rating-Agenturen haben ja alle ein schlechtes Gewissen, die wissen schon ganz genau, dass sie in Wirklichkeit keinen guten Job gemacht haben. Weil eine Struktur von Goldman Sachs in dem Ausmaß, wo 10.000 Subprime-Kredite drinnen sind innerhalb von einer Stunde als Triple A zu bewerten - da stimmt irgendetwas nicht. Aber dieses schlechte Gewissen kann schon dazu führen, dass man das Rating heutzutage etwas ernster nimmt. Aber in Wirklichkeit bleibt es eine Spielregel. Die ist irgendwann 1900 entstanden, als man gesagt hat, die ganzen Eisenbahngesellschaften sind uns unheimlich. Da brauchen wir jemanden, der kontrolliert. Und einer, der das als erstes gemacht hat, war der Moody. Das ist übrigens sehr interessant und auf wikipedia nachzulesen. Da lernt man wirklich viel. Das Paradoxe ist, die drei größten sind Amerikaner: S&P, Moodys und Fitch. Letzteres ist offiziell französisch - aber die Zentrale ist in Houston.  

Drastil: Die Zinsen steigen mal wieder. Haben die Unternehmen ihre Hausaufgaben diesbezüglich gemacht? Kann man sagen, dass sie strukturell so gut aufgestellt sind, dass die das aushalten, wenn die Zinsen wieder stärker kommen?

Berger: Die Unternehmen waren so smart und haben sich die tiefen Zinsen ja jetzt gesichert. Diese ganze Welle - vor allem 2014 bis 2016 - als Schuldscheindarlehen etc. aufgenommen wurden - da haben ja wahnsinnig viele Unternehmen die Kriegskassen gefüllt, um zum Leidwesen von den Banken unabhängiger zu werden. Und das hält ja noch fünf, sechs, sieben Jahre lang an. Weil die Liquidität ist ja da. Darum steigen die Börsen ja jetzt.  

Matejka: Die Amerikaner haben wieder einmal übertrieben. In Amerika hast du dir einen Kredit aufgenommen und hast eigene Aktien zurückgekauft. Weil die Dividende die du ausbezahlst, höher ist, als das, was du für den Kredit bezahlst.  

Drastil: Welche Branchen - sollten die Zinsen steigen - freut das am wenigsten?

Berger: Am meisten die Banken, weil die von der Zinsspanne dann besser leben können.

Matejka: Am wenigsten wird es für kurze Zeit die Versicherer freuen.  

Berger: Es leiden die kapitalintensiven Geschäfte. Da gehören auch Anlagenbauer, Kraftwerkbauer, Versorger etc. dazu. Die dann viel teurere Finanzierungen bauen müssten. Und natürlich auch Immobilien-Firmen, deren Projektkosten steigen werden. 

Drastil: Ihr hattet heute Vormittag eine Pressekonferenz und Euch optimistisch für Aktien gezeigt. 

Berger: Wir sind immer sehr mutig in unseren Ansichten und freuen uns sehr, dass das Umfeld jetzt so ist. Wir haben das seit zwei Jahren gepredigt: Zurück an die Aktienbörsen als Investor. Jetzt gibt es die ersten Unkenrufe, die Party ist vorbei, ist übertrieben etc. Das glauben wir nicht. Wir glauben, dass das eine gute Veranstaltung ist, die man nach wie vor besuchen muss - aus vielen Gründen.  Jetzt laufen die letzten gutverzinsten 10-Jährigen Anleihen aus. Die Wieder-Investitionsfindung ist kompliziert. Das heißt, es wird vermehrt in den Aktienmarkt gehen müssen. Investiert bleiben, laufend in Aktien dazu-investieren, ist die Devise. Es kommt Geld nach Europa. Ich glaube auch - das klingt jetzt immer so vermessen - dass dieser Brexit für Rest-Europa auch eine Chance ist zusammenzurücken und es ernst zu nehmen. Kapital fließt nach Europa.

Plos: Kapital fließt nach Europa. Die Zahlen zum österreichischen Investmentfondsmarkt: 2006 167,3 Mrd. Jetzt 2016 167,1 Mrd. Mittlerweile wohl darüber. 

Matejka: Das ist 95 Prozent Bond. 

Plos: Also kein Grund zu feiern, was die Zahl betrifft.

Matejka: Nein. Das müsste man diversifizieren. Du lebst mitten in einem schwer regulierten Umfeld. Die Versicherungen sind in ihrem Investmentprofil immer Investoren gewesen, die etwa 10 bis 20 Prozent in Aktien oder aktienähnlichen Investments geparkt haben und 80 bis 90 Prozent in Fixed Income. Inzwischen sind die mit 95 bis 98 Prozent in Fixed Income und den Rest kriegen sie nicht los. Solvency II, wenn jemand das schon gehört hat, das ist so das Reglement, das die Versicherungen in Österreich haben, schreibt einem vor, jedes Aktieninvestment in Developed Markets - da zählen wir dazu - muss man mit 39 Prozent Kapital unterlegen. Also man kauft jetzt Siemens um 1 Mio. Euro und muss 390.000 Euro auf die Seite räumen, die man als Sicherheitspolster haben muss, falls die Siemens plötzlich wie verrückt zu fallen beginnt. Das kann ja jeden Tag passieren. Dass man die Siemens-Aktie kauft, weil man glaubt, dass sie steigt, ist nicht relevant. Und das, was der Eduard vorher gesagt hat, dass die letzten Zehnjährigen ausreifen, die Vierprozenter: Jetzt bleiben 0,25-prozentige Anleihen über. Und von der kann man sich keine Aktie leisten. Und das sieht man bei den Investments. Es gibt zu den Versicherern auch eine Statistik. Demnach liegt die durchschnittliche Aktienquote bei deutschen Versicherern zwischen zwei und drei Prozent.

Drastil: Allianz hat drei Prozent. Vor zehn Jahren waren das noch 21 Prozent.

Matejka: Und 3 Prozent sind derzeit noch top. Die Münchener Rück sagt - wir haben gar keine Aktien. Die hatten bis vor 15, 20 Jahren zwischen 15 und 20 Prozent Aktien. Jetzt überlegen wir: Die deutschen Versicherungen verwalten insgesamt ein Portfoliovolumen von 6000 Milliarden Euro. Angenommen, die steigern die Aktienquote um 1 Prozent - das wären 60 Milliarden Euro. Man kann sich ausmalen, was da los wäre... 

Berger: Die Performance einer europäischen Börse und der Wiener Börse wird ja nicht von den österreichischen Anlegern gemacht. Das sind ja internationale Anleger. Die ganz großen Pensionsfonds und Investmentfonds, die jetzt auch wieder in Europa investieren und aufgrund von Osteuropa auch wieder in Österreich. 

Plos: Der ATX schneidet 2017 besonders gut ab.  

Matejka:  2015 wurde in Österreich auf die Politik gepfiffen. Die helfen uns sicher nicht mehr. Wenn man jetzt zurückblickt, haben alle Firmen, vor allem die Großen an der Börse notierten, gesagt: Okay, ich ziehe die Reißleine. Wertberichtigung. Von 20 ATX-Unternehmen haben 19 außerordentlich wertberichtigt und Verluste geschrieben, dass es wirklich nur so gekracht hat. 

Drastil: Wir hatten da im ATX ein negatives Bilanz-Gesamtergebnis. Alle 20 ATX-Aktien haben unter dem Strich addiert Verlust gemacht.

Matejka: Genau so ist es. Daraus entstand ein statistischer Basiseffekt in den Jahren 2016 und auch 2017 teilweise wegen verschobener Rechnungslegung. Wo jeder gesagt hat: Bumm, die wachsen. Na klar, weil sie vorher im Minus waren. Das passiert jetzt auch in Italien. Die wachsen mit 17 Prozent. Die haben aber auch null Basis.   

Plos: Soll die Wiener Börse den ATX TR grösser promoten? 

Matejka: Das wäre nicht schlecht. Das würde allerdings die Betonung auf die Besteuerung der Dividenden lenken. Dann müsste man die Besteuerung aus der Dividende herausrechnen. 

Drastil:  Monika, wir haben einen norwegischen Staatsfonds als größten Aktionär in Österreich, den Norges. Ein weiterer ist seit Jahren der Teachers Retirement System of Texas. Bei uns gibt es so etwas nicht...  

Kovarova-Simecek:  Nein! Dafür haben wir z.B. von Versicherungen Nachfrage, was unsere Studie betrifft. Uns geht es sicher nicht darum, dass wir Studien durchführen, damit wir dann für ganz konkrete Unternehmen wie Versicherungen oder Finanzdienstleister sozusagen verkaufen. Das was wir herausgefunden haben, ist, dass der Bankberater noch immer sehr hohes Vertrauen genießt, alternative Finanzdienstleister hingegen eher wenig. 

Matejka: Meinl European Land, Immofinanz - das Erbe wirkt nach.

Kovarova-Simecek: Genau, die Finanzdienstleister sind auf uns zugekommen und haben gesagt: Naja, wollen wir nicht gemeinsam einen Lehrgang machen, wo wir dann noch weitere Finanzdienstleister aufbauen? Auch darum geht es uns mit diesem Studiengang nicht. Ein anderer Punkt sind Glücksspiele: Für manche ist es ja eine Art von Investition, die wirklich regelmäßig Woche für Woche Lotto spielen und überhaupt nicht hinterfragen, wie viel das pro Jahr ausmacht. In der ungebrochenen Hoffnung, irgendwann einmal das große Los zu ziehen. Das waren zuletzt mehr als vier Mrd. Euro. Das sind 460 Euro pro Einwohner. Es ist interessant, dass diese 460 Euro in Ordnung sind, aber Investitionen in Aktien bei der überwiegenden Mehrheit der ÖsterreicherInnen als höchst spekulativ abgelehnt werden.

Matejka: Wenn wir beim Thema sind. Es gibt noch ein gutes Beispiel, nämlich die Stromrechnung: Auf der Wiener Stromrechnung sind – im Sinne der Transparenz - 17 Positionen angeführt, die nichts mit Strom zu tun haben. Aber alle irgendwie Strom, Energie etc. heißen. Nur zwei haben mit Strom zu tun. Und wenn man diese heraus rechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass nur 12 Prozent der Stromrechnung tatsächlich den Strom betreffen. Jeder glaubt, er bezahlt für den Strom. In Wirklichkeit zahlt er nur für die Verwaltung. 

Plos: So verhält es sich auch beim Tanken, wo man für den Liter Benzin - selbst wenn Rohöl Null Dollar kosten würde - ca. 50 Cent Mineralölsteuer plus 10 Cent Umsatzsteuer zahlen müsste.

Matejka: Die OMV hat derzeit eine Raffinerie-Marge, die meines Bewusstseins nach absichtlich unter der Zweistelligkeit gehalten wird. Sonst fragt nämlich jeder: Seid ihr verrückt? Die verdienen so gut wie noch nie. Und der Ölpreis hat sich gedrittelt. Der Staat verdient mit. 

Berger:  Es gibt viele Freunde in meinem Alter, die sagen - die Jugend ist so arm. Es gibt keine Jobs mehr, etc.. Klar hat sich der Arbeitsmarkt geändert. Und manche Berufe gibt es halt nicht mehr. Aber der gemeinsame Nenner ist die Leidenschaft für etwas. Und wenn man als Jugendlicher schon für Aktien oder Börse Leidenschaft hat, ist der Berufsweg irgendwie schon vorgezeichnet. Wenn man das dann beharrlich und über lange Zeit ohne große Fehler macht, dann kann man weiter kommen. Und das ist auch für Studentinnen glaube ich ein guter Rat. Jede Firma brennt darauf, junge Absolventen mit Leidenschaft zu bekommen. Die Spreu vom Weizen trennt sich wahnsinnig schnell. Man sieht sehr schnell, wer das nur macht, weil er eben einen Job machen muss. Das ist meistens zu wenig. Nicht einmal von den Arbeitsstunden, sondern vom Einsatz her. Auf der anderen Seite gibt es Kollegen, die aufzeigen, wenn es ein neues Projekt gibt.

Madeleine Serlat: Es passt eh in den Kontext und zur Frage: Wie werde ich Fondsmanager? Da bin ich weit entfernt. Wo kann ich mir als Student jetzt diese Informationen holen - also dieses Bauchgefühl - wo finde ich das? An wen soll ich mich wenden? Ich kann nur von mir selbst sprechen, als ich damals mit 18 zur Bank gegangen bin und meinen Bankberater gesagt habe: Ich würde gerne am Kapitalmarkt in Wertpapiere investieren, da hieß es schnell: Nein, das ist nichts für dich. Du hast eigentlich keine Ahnung. Wo gehe ich hin, um Informationen zu bekommen?

Berger: In Wirklichkeit eh in der Bank oder in einem guten Medium. Börse gibt es ganz oder gar nicht. Das ist das Wichtigste. Man kann nicht einmal schnell zwei Wochen an die Börse schauen oder das nur irgendwie bewerkstelligen. Das musst du immer tun. Das sagen wir auch unseren Kunden. Ein paar hundert Euro, paar Tausend Euro - was auch immer möglich ist - in Aktien oder anderes zu investieren, diese beobachten, ev. nachlegen, verkaufen, etc. Ich glaube das ist es. Man muss so in den Flow kommen.

Kovarova-Simecek: Ist es wirklich schlau für einen Privatanleger, das wirklich kurzfristig zu betrachten - und nicht eher mittelfristig - wirklich so auf kurzfristige Veränderungen zu reagieren?

Berger: Naja. Da muss man unterscheiden. Für Privatanleger - da haben Sie vollkommen Recht - nein. Für einen Berufseinsteiger, der in diesen Beruf reinwachsen und ein Gefühl bekommen möchte, ja. Das ist es, was ich meine. Man muss Börse spüren. Der gute Analyst wird nie ein brillanter Analyst werden, wenn er es selbst nicht spürt. Wenn er selbst nie veranlagt hat, etc. Der kann nicht den Wolfgang dauernd beraten und hat eigentlich noch nie schwimmen gelernt und redet übers Schwimmen. Du musst selbst die Erfahrung haben.

Drastil: Und das macht auch Spaß. Das macht wirklich Spaß. 

Berger: Unglaublich, ja. 

Serlath: Aber wie fange ich als Privatperson an? 

Drastil: Du hast es richtig gemacht. Du bist ja auch für die Wiener Börse tätig, hast also den Fuß in der Tür.

Matejka: Das ist ein guter Ansatz.

Berger:  Genau, irgendwo in der Branche anknüpfen. Das ist mal das Wichtigste. Als Werkstudent bei einer Bank oder bei einer Fondsgesellschaft oder der Wiener Börse. Damit man mal in diese Szene reinkommt. Wo darüber geredet wird.

Matejka: Ich würde auch Literatur empfehlen. Es gibt inzwischen - Gott sei Dank - im Financial-Bereich wirklich gute Sachen. Man muss halt viel auf Englisch lesen.

Plos: Was auch Sinn machen kann, wenn man sich bei den eigenen Ausgaben überlegt, ob da ein Börsenotierter dahinter steckt? Und wie kann ich mir das Geld zurückholen? Ich bin z.B. Filmfan. Und wenn ich Star Wars oder einen Marvel-Film sehe, dann denke ich daran, dass ich mir die Kinokarte von der Dividende von Walt Disney hole. Oder viele Leute haben eine Nivea-Dose in der Hand. Die kann man sich von der Beiersdorf-Dividende kaufen.

Berger: Alle von uns - um die 50 herum - mit denen wir groß bzw. alt geworden sind, sind Kollegen, die so angefangen haben in Wirklichkeit. Irgendwo musst du an diese Szene andocken. Und wenn ich zum Film möchte, dann werde ich am Anfang gut beraten sein, Kabel zu schleppen oder Requisiten einzuordnen. Damit man in der Szene drinnen ist. Dann ergibt sich der nächste Schritt. Unser Chefanalyst Bernhard Haas ist der Leiter unserer Research-Abteilung. Er hat sich als Werkstudent, als ich bei einem großen Broker Geschäftsführer war, beworben. Dann habe ich die Bank gewechselt und mich daran erinnert, dass er ein Talent war. Und dann haben wir einen Junior Private Banker gesucht. Völlig unpassend für ihn - aber ich habe ihn angesprochen. Er hat gesagt, er will dabei sein. Nach einem Jahr war die Research-Stelle frei und er hat gewechselt. Also aufdringlich sein und hartnäckig. Und was ich allen jungen Leuten sage und in der eigenen Bank fällt es mir auch oft schwer, dass ich Glauben bekomme: Nicht auf die Uhr schauen - klar, gibt es Arbeitsgesetze. Aber alle, die sich durchsetzen wollen, sind die, die nicht auf die Uhr schauen. Wir wollen ja niemanden ausbeuten.

Drastil: Was man gerne macht, macht man gut. Und Selbstinitiative das ist klar. Man hat Mäcky-Aktien. Und Kinder möchten dauernd Burger, weil dann der Kurs steigt. 

Matejka: Na klar, die Naturaldividende kriegt er auch - dann passt alles.

Serlath: Weil jetzt an der Wiener Börse die US-Aktien gelistet sind und beworben werden. Wie beurteilen Sie das?

Berger: Ich habe eine ganz eindeutige positive Meinung. Vor einem Jahr kam ein deutscher CEO an die Wiener Börse - da war die Überlegung: Oje, jetzt brauchen wir einen Deutschen. Das habe nicht ich gesagt, sondern Aufsichtsräte, Geschäftspartner etc. Ich bin absolut begeistert von Herrn Boschan. Er hat eine pragmatische Art - und er macht genau das, was ich seit vielen Jahren sage: Die Börse muss sich auf das besinnen, was sie ist. Nämlich ein perfekter Infrastruktur-Anbieter. Und die Aktion, für den Kleinanleger US-Aktien zu listen, ist ein Service und ein positives nettes Signal an die Retail-Community. Die Börse selbst wird das nämlich finanziell nicht spüren, die werden dadurch nicht mehr Gewinn machen. Es wird nicht viel Umsatz passieren, weil der Profi geht eher zum Fondsmanager oder kauft direkt - aber es ist ein guter Service, der niemandem schadet und absolut für die Imagepflege positiv ist.

Serlath: Ist es aber auch etwas, was Sie dem Kleinanleger empfehlen würden?

Berger: Wenn jetzt ein Kunde aus irgendeinem Grund US-Aktien kauft, dann würde unser Händler – Stichwort best execution - sicher schauen, wo kann man am günstigsten einkaufen. Das kann an der Wiener Börse in Euro sein, muss es aber nicht. Das macht der Wolfgang mit seinem Team. In unserer globalen Asset Allocation oder den Vermögensverwaltungsmandaten, wo wir globales Geld verwalten, da machen wir immer so Länderausschnitte. Okay, wir geben 2 Prozent nach Indien, weil der Markt jetzt kommt. Oder 10 Prozent nach Amerika. Da kaufen wir in der Regel einen Fremdfonds. Wo soll man denn anfangen? Soll man 3 amerikanische Aktien kaufen? Dann sind das die falschen. Und dann sind wir wieder beim Fonds. 

Drastil: Da möchte ich einhaken. Ich glaube, wenn ein gehobener Kunde der Wiener Privatbank im Speziellen jetzt Apple kaufen will - wenn man sich das genau anschaut - wird er sie wohl nicht in Wien kaufen. Aber wenn jetzt eine kleine Position mit Buy and Hold auf 10 Jahre angedacht wird, dann sind die inneren Kosten - Dividenden etc. in Euro umgerechnet, OeKB-Settlement usw. - alles zu nationalen Spesen, wohl deutlich billiger. Der Top-Kunde, der 100.000 Euro-Size hat, der soll das weiterhin direkt an den US-Börsen tun. Für den Österreicher, der halten will: Wien.

Kovarova-Simecek: Ich kann es nur bestätigen. Das ist schon eine sehr positive Wende gewesen seit dem Vorstandswechsel der Wiener Börse, weil die Kommunikation angekurbelt wurde und die Wiener Börse nach außen hin ganz anders auftritt. Ich verfolge es in sozialen Medien - plötzlich waren sie überall präsent. Neu ist Twitter, sie sind auf LinkedIn wahnsinnig aktiv. Und es kommt an. Sie haben auch eine steigende Anzahl von Likes. Man merkt, da tut sich etwas. Und das ist schon sehr wichtig.

Berger: Das haben wir in der Bank unter der Führung von Kollegen Müller auch begonnen. Wir haben Jahre davon geredet und waren zu blöd, es umzusetzen. 

Drastil: Es braucht auch da immer einen Leithammel, wie bei Euch Michael Müller. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, Leute dafür zu motivieren. Man muss sich auch mit dem privaten Profil als authentischer Börsianer outen. Aber wer ist das schon? Auch Christoph Boschan wird es da nicht so leicht haben intern. Da steh ich auf die Trader: Die outen sich gerne, ein braver Investor tut sich viel schwerer damit. Und die jungen Leute sowieso. Börse muss wieder cool werden.

Kovarova-Simecek: Die jüngeren Generationen kennen den österreichischen Kapitalmarkt und die dort gelisteten Unternehmen kaum. In der Wahrnehmung präsent sind jene, die gezielt Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen wie z.B. Red Bull oder Unternehmen, die in ihrem Alltag vorkommen, wie Konsumgüteranbieter oder soziale Medien wie Facebook oder Instagram, oder auch Amazon & Co. Unternehmen müssen die Investoren von morgen gezielt ansprechen, wenn sie wahrgenommen werden möchten. D.h. jene Medien und Kommunikationskanäle bespielen, auf denen sich jüngere Generationen tummeln. Das sind ganz stark soziale Netzwerke. Und dort müssen sie erzählen, was sie tun und worin ihr Erfolg besteht. Die voestalpine ist auf Facebook, Instagram und Snapchat seit Jahren aktiv. Sie haben 2 Mio. User auf Facebook. Die Anzahl der Bewerber pro Lehrstelle ist in dieser Zeit von 3 auf 12 gestiegen. Das ist schon beeindruckend und zeigt, dass es keine Frage des Produktes ist, sondern eine Frage der zielgruppengerechten Kommunikation. Vielleicht ist auch das der Weg, das Interesse der jüngeren Generation für den Kapitalmarkt zu wecken. 

 
Text: Michael J. Plos

Fotos: Martina Draper

 



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Aus dem Börse Social Magazine #06
(Juni 2017)





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