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HV-Filibusteros: Auf virtuellen HVs gibt es die freie Rede nicht mehr (Günter Luntsch)

Bild: © Michaela Mejta, photaq.com , Günter Luntsch (BSN)

28.09.2020, 9003 Zeichen

HV-Filibusteros. Als Hauptversammlungen noch als Präsenz-HVs abgehalten wurden, drehten sich die Fragen der Aktionäre vor allem um Kosten, um Gründe für das Scheitern von Projekten usw., aus den Fragen und Kritiken sprach zum allergrößten Teil die Sorge um das Wohlergehen des Unternehmens. In wirtschaftlicher Hinsicht. Das Unternehmen braucht positive Zahlen, um langfristig abgesichert zu sein. Niemand in Österreich hat noch unrealistisches Wachstum verlangt. Mal konnte man den Wunsch nach höherer Dividende hören, und sehr oft wurde gefragt, ob man das Personal eh gut behandelt. Hin und wieder ging es um "Konsumentenschutzthemen", also ein Aktionär beklagte, dass er als Kunde vom Unternehmen schlecht behandelt werde. Die Meinungen dazu sind geteilt, für mich haben diese Themen durchaus Berechtigung, so erhält auch die Spitze des Unternehmens wertvolle Informationen, an die sie sonst nicht kommt, denn auch der Kunde ist wichtig für ein Unternehmen, das am freien Markt bestehen muss. Zumal die Redner ein wirkliches Anliegen hatten, das sie schon lange mit sich herumschleppten, sie konnten es in wenigen Minuten mitteilen. Und wenn es ein Großprojekt gab, dann gab es mitunter Projektgegner, die die Bühne der HV zum Vorbringen ihres Anliegens nutzten. Themen, die die anderen Aktionäre oft nicht interessierten, aber den Rednern war es wichtig, direkt mit Vorstand und Aufsichtsrat zu reden. Und mal gab es Demos beim Eingang zur HV: gegen Stellenabbau, gegen fossile Brennstoffe, gegen Geschäft mit Staaten, wo keine Menschenrechte zählen. Im Moment änderten sie nichts, aber sie wurden wahrgenommen, und selbstverständlich dachte man an der Spitze der Unternehmen nach, warum es diese kritischen Stimmen gibt. Hierzulande läßt man im Normalfall auch Kritiker zu Wort kommen, jedenfalls auf Präsenz-HVs, das ist einfach ein Akt der Höflichkeit, ganz abgesehen vom gesetzlichen Rede- und Fragerecht. Wenn der Redner sein Anliegen vorgetragen hat, bekommt der nächste Redner seinen Auftritt. Verschiedene Fragen, Kritiken, Anregungen erfrischen die HV, darum bin ich immer gerne auf HVs gegangen, der interessierte Aktionär hat immer Neues erfahren.

Auf virtuellen HVs gibt es die freie Rede nicht mehr. Man kann auch als angemeldeter HV-Teilnehmer schwer auf Geschehnisse während der HV reagieren. Einige Aktionäre mit üblicherweise wertvollen Fragen oder Kritiken melden sich gar nicht mehr zu virtuellen HVs an, andere halten sich sehr viel kürzer als üblich, die HV ist ein liebloses Herunterspulen der Formalitäten geworden. Soll sein, Corona-Zeit ist Ausnahmezeit, es geht halt nicht anders. Aber dass die Lücke, die die Redner von damals hinterlassen haben, jetzt von Copy-und-Pastern gekapert wird, die einen endlos langen Antrag und endlos lange Listen von Fragen und Forderungen schreiben und diese ungschaut einfach bei allen AGs einreichen, an denen sie ein paar Anteile halten, das muss nicht sein. Ein paar Hundert Kleinaktionärskollegen sind es ja doch noch, die sich eine HV anschauen, und das tut schon sehr weh, wenn man sich den gleichen Sermon auf jeder HV anhören muss, auch wenn der Verfasser versucht, einen akademischen Witz einzubauen, spätestens beim zweiten Mal ist er nicht mehr lustig.

Die Rechtsform der AG ist doch eh schon so bürokratisch, dass für jede HV einige teure Berater beschäftigt werden. Die wir indirekt als Aktionäre bezahlen müssen. Und je länger sie auf der HV sitzen müssen, weil jemand es in einer Stunde nicht schafft, sein Anliegen zu erklären, desto teurer wird es. Da wirkt es mehr als befremdlich, wenn die Aktionäre (die ihre Anträge, Fragen und Kritiken durch die von der AG bezahlten besonderen Stimmrechtsvertreter vortragen lassen müssen/dürfen, weil Aktionäre auf virtuellen HVs kein Recht auf Rede mit eigener Stimme haben) noch teurere Aufsichtsräte und Berater fordern, und natürlich noch viel mehr Bürokratie. Ich habe in meinem Bekanntenkreis die Stimmung erfragt, sie ist am Tiefpunkt: etwa zwei Drittel verzichten auf die Teilnahme an virtuellen HVs, vor allem weil sie elendslange Vorträge über sich ergehen lassen müssten, um eventuelle Highlights nicht zu versäumen, sie tun sich das einfach nicht mehr an, es ist ermüdend. Etwa ein Drittel hat eine sehr ablehnende Haltung zu diesen neuen Sitten, man schaut noch zu, aber der Ärger wächst.

Ein Aktionär fordert penetrant regelmäßig die Anhebung der AR-Bezüge, mit dem Hinweis, dass man für dieses Geld keine gute Arbeit erwarten könne. Was, bitte, sollte an 4.200 Euro im Monat plus 1.800 Euro Sitzungsgeld pro Sitzung sittenwidrig niedrig sein? Und warum sollen nur hoch bezahlte Menschen gute Arbeit leisten können? Eine Forderung nach noch mehr, das ist absolut weltfremd. In Österreich gibt es genug Menschen, die weniger als 2.000 im Monat verdienen und gute Arbeit leisten. Und diejenigen, die unter 1.000 Euro verdienen, arbeiten auch gut, sonst hätten sie nicht einmal diesen gering bezahlten Job. Von Menschen, die ehrenamtlich und unbezahlt viel leisten, rede ich gar nicht. Und wenn gerade 20% Bezugserhöhung für den ohnehin gut bezahlten Aufsichtsrat auf der Tagesordnung stehen, muss man sich da wirklich zu Wort melden und zu einer noch stärkeren Erhöhung aufrufen? In Zeiten, wo viele Menschen gar keinen Job mehr haben? Ja, ich weiß, ein Aufsichtsrat hat Verantwortung. Aber es ist und bleibt ein Nebenjob, keiner arbeitet 40 Stunden pro Woche im Aufsichtsrat. Und bei aller Verantwortung: ins Geschäft des Vorstands einmischen kann sich der allerengagierteste Aufsichtsrat nicht. Die Hauptverantwortung liegt in der Auswahl des Vorstands und im Beschluss der Vorstandsvergütung. Daneben darf man noch ab und zu bei der Unternehmensstrategie mitarbeiten, die wirkliche Arbeit aber macht der Vorstand, er trägt die Verantwortung für Werksschließungen, Investitionen und dergleichen. Das ist reines Lobbying, das hat mit einem berechtigten Aktionärsanliegen nichts zu tun. Beim Verlesen der Forderungen kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Herr aufgrund seiner Kenntnisse (also dass MDAX-Aufsichtsräte verhältnismäßig mehr verdienen, im Vergleich zu Vorstandsgehältern, als ihre ATX-Kollegen) gerne das Unternehmen diesbezüglich beraten würde. Und, ja, alles vorgetragen in einem Ton, den ich als Befehlston werten würde, man muss den unwissenden Vertretern dieser AG ja einmal sagen, was sie zu tun haben.

Ein anderer Aktionär fordert ähnlich penetrant regelmäßig eine stärkere Berücksichtigung von grüner Nachhaltigkeit bei den Vorstandsvergütungen. Egal, um welches Unternehmen es geht, jedes fordert er auf, etwas gegen die Erderwärmung zu tun. Das Anliegen ist ja gut und schön, aber ich könnte das in weniger als fünf Minuten formulieren, dafür brauche ich nicht den Großteil der Generaldebatte. Das sollte er auch wissen: Es kommt überhaupt nicht gut an, in den Raum zu stellen, dass den Leuten höheren "biologischen Alters" alles wurscht wäre. Genauso wenig Freude findet seine Feststellung, dass die Vorstände die Interessen aller "Stakeholder" zu erfüllen hätten, weil es so im Gesetz geschrieben stünde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem Land mit deutscher Amtssprache das Wort "Stakeholder" in Gesetzestexten vorkommt. Der Vorstand ist nur seinen Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Aktionären verpflichtet, sonst fällt mir ad hoc keine weitere berücksichtigungswürdige Interessengruppe ein. Das deutsche Wort für Stakeholder lautet übrigens "Anspruchsberechtigter". Die Fragen nach den Konditionen der Nachhaltigkeitsberater und auch die Kritik, diese seien zu billig, für 20.000 Euro könne man keinen guten Nachhaltigkeitsbericht machen, kann man vielleicht dahingehend verstehen, dass er es teurer und besser machen würde. Und wieder: vorgetragen in einem Ton, den ich als Befehlston werten würde.

Auf der Hauptversammlung durch stundenlange Vorträge ohne jeglichen Anlass Druck auszuüben, ist jedenfalls der falsche Weg. Auch wenn das für ihn ein akademisches Projekt ist, wie er zuletzt gesagt hat (in der Art "Wie verbessere ich durch die Bearbeitung von Vorständen börsenotierter Unternehmen auf HVs die Welt"?), eine Hauptversammlung ist kein Spiel und kein akademisches Projekt. Diese virtuellen HVs gibt es heuer, probeweise, und wenn man sich anschaut, wie das so abläuft, kann es uns passieren, dass es zu einer Einschränkung des Rederechts kommt. Und das zu riskieren, bei aller Wertschätzung, finde ich ziemlich unfair den anderen Aktionären gegenüber. Die Stimmung ist am Kippen, wie die letzte HV gezeigt hat, wo es diesbezüglich mahnende Worte von anderen Aktionären gegeben hat. Gerne sollen sich Aktionärskollegen eingeladen fühlen, auf der OMV-HV am Dienstag Umweltthemen anzusprechen, und gerne kann man auch beantragen, dass die OMV von Öl und Gas auf Solar und Wind umsteigt, aber bitte in wenigen klaren Worten. Wenn jemand eine Stunde lang redet und wenig sagt, hört doch niemand mehr zu. Bitte kein Filibustern mehr.

(Der Input von Günter Luntsch für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 28.09.)


(28.09.2020)

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