19.05.2015, 4374 Zeichen
Sehr geehrte Privatanleger,
in der letzten Zeit wurde ich gelegentlich auch von Profis aus der Finanzbranche auf den Film The Forecaster angesprochen, der die Lebensgeschichte von Martin Armstrong erzählt. Derzeit ist Martin Armstrong wieder unterwegs und sagt für den 17. Oktober 2015 einen massiven Kursabsturz bei Staatsanleihen voraus – und für 2017 oder 2018 gleich den allgemeinen Börsencrash.
Martin Armstrong, Jahrgang 1949, machte zunächst als Münzhändler und später als Rohstoffanalyst ein Vermögen. Schon als junger Mensch war er von der Börse fasziniert. Sein Vater, ein Rechtsanwalt, hatte beim großen Börsencrash 1929 ein Vermögen verloren. Mit seiner Firma Princeton Economics beriet er auch große institutionelle Anleger und verdiente viel Geld. Armstrong entwickelte das Economic Confidence Model (ECM), dass auf Konjunkturzyklen und der Zahl Pi beruhen sollte. Diese Zyklen sollen nach Armstrong alle 3,141 Tage ablaufen. Armstrong behauptet, dass er damit den Crash von 1987 tagesgenau vorhersagen konnte, ebenso den Kollaps des Nikkei 1989 und den Zusammenbruch der russischen Märkte 1998.
Zurück zur Lebensgeschichte: 1999 wurde Armstrong wegen gewerbsmäßigen Betrugs zusammen mit der Republic New York Holding, einer damaligen Holdinggesellschaft der Republic National Bank of New Work und der Safra Republic Bank, angeklagt. Republic New York bekannte sich schuldig und zahlte im Jahr 2002 einen Schadenersatz von über 600 Millionen Dollar. Armstrong verteidigte sich selbst und saß sieben Jahre in Beugehaft, weil der Richter diese immer wieder routinemäßig verlängerte. 2006 bekannte er sich eines geringeren Vergehens schuldig, in eigenen Worten, weil ihm der Richter sonst lebenslänglich angedroht habe. Nach einer Verurteilung zu weiteren fünf Jahren kam Armstrong 2011 frei.
Das Vorgehen der Justiz war in diesem Falle zweifelsohne skandalös. Man wollte Armstrong brechen. Er wurde nach eigenen Aussagen im Gefängnis zusammengeschlagen und bekam teilweise verschärfte Haftbedingungen. Armstrong behauptet, dies sei der Fall gewesen, weil bestimmte Personen gierig auf seinen Quellcode gewesen seien, mit dem er die Krisen voraussagte. The Forecaster erzählt die Geschichte aus der Perspektive Amstrongs.
Da traf es sich gut, dass ich von Prof. Dr. Claus Dierksmeier, dem Direktor des Weltethos-Instituts der Universität Tübingen, eingeladen wurde, um zusammen mit Martin Armstrong nach der Premiere öffentlich über den Film und die Vorhersagbarkeit von Wirtschaftsereignissen zu diskutieren. Wir konnten vor einigen Wochen einige Freitickets für diese Veranstaltung an unseren Leser verlosen.
Ich denke, dass Martin Armstrong von der Justiz übel mitgespielt wurde. Aber als Wirtschaftshistoriker und Kenner der Finanzmärkte hat er keinen besonderen Eindruck auf mich hinterlassen. Einen Collegeabschluss hat er nie gemacht, geschweige denn einen Master oder eine Promotion. Nun ist all dies keine Voraussetzung, aber eine Argumentation blieb oft im Vagen und Allgemeinen. Auch die Logik war nicht immer klar. Das steht im Widerspruch zu seinen sehr präzisen Voraussagen und zu den Ereignissen, die er behauptet, vorausgesagt zu haben.
Eine spannende Debatte entbrannte um die Themen „Wirtschaftszyklen" und „freier Wille". Wie Martin Armstrong vertrat ich die Ansicht, dass es gewisse Zyklen im Weltsystem gebe und dass sich eben nicht alles frei gestalten lasse. Der Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Dierksmeier und auch Dieter Schnaas, Chefreporter der Wirtschaftswoche, sahen das anders. (Natürlich kommen pathetische Aussagen, dass wir doch unseres eigenen Glückes Schmied sind und die Zukunft „frei" gestalten können, beim Publikum auch gut an.)
Zyklen schaffen für mich jedoch zumindest gewisse Rahmenbedingungen und verändern damit Wahrscheinlichkeiten. Derzeit zum Beispiel befindet sich das Weltsystem im Umbruch, und die gigantischen und wachsenden Schuldenberge sind Teil des Umverteilungsspiels. Leider waren Armstrong und ich uns in einem einig: der Kriegszyklus („War Cycle") steht auf Krieg. Das heißt nicht, dass der Krieg kommen muss, aber die Gefahren sind größer als sonst. Und auch ich kann mir vorstellen, dass in zwei bis drei Jahren die Aktienmärkte heißlaufen und dann eine größere Korrektur oder ein Crash stattfindet.
Auf gute Investments,
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
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